DDR-Geborene drängen auf Antworten

  03 Oktober 2016    Gelesen: 818
DDR-Geborene drängen auf Antworten
Sie sind noch in der DDR geboren, aber im wiedervereinigten Deutschland erwachsen geworden. Die Dritte Generation Ost hat inzwischen selbst Kinder und noch immer viele Fragen an die eigenen Eltern.
Wie habt Ihr gelebt? Was habt Ihr damals gemacht? Wie habt Ihr gedacht? – Fragen, die erwachsene Kinder ihren Eltern irgendwann stellen. Auf den ersten Blick sind sie offen und wertfrei, doch besonders, wenn die Eltern auf ein Leben in der DDR zurückblicken, schwingen schnell Vorwürfe und Schuldgefühle mit.

Doch die Fragen werden mehr als 25 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung drängender. So beschreiben es die Angehörigen der Dritten Generation Ost, jener 2,4 Millionen Männer und Frauen, die Anfang der 1970er bis Mitte der 1980er Jahre in der DDR geboren wurden und ihr ganzes Erwachsenenleben in der wiedervereinigten Bundesrepublik verbracht haben. Wie war das wirklich mit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf? Wolltet ihr jemals weg? Wie habt Ihr Eure Arbeit gefunden? Wie war das, als du nicht studieren durftest? Warum war ich in der Wochenkrippe? Sie fragen und ihre Eltern antworten: "Ihr fragt ja wie die Wessis!". Oder sie schweigen.

In "Wie war das für Euch?" geben die Kinder Auskunft darüber, warum sie trotzdem nicht aufhören können, sich mit der eigenen Herkunft und der Familiengeschichte auseinanderzusetzen. Mit-Herausgeberin Judith C. Enders glaubt, dass sie etwas nachzuholen haben. "Die Pubertät fiel bei der Dritten Generation Ost genau mit der Wende- und Nachwendezeit zusammen. Da ist die Auseinandersetzung mit den Eltern bei den meisten irgendwie ausgefallen, weil die Eltern zu sehr damit beschäftigt waren, ihr eigenes zusammengebrochenes Leben wieder aufzubauen und für diese Konfrontationen keine Zeit hatten", sagt Enders n-tv.de.

Verdrängung oder Schweigen

Es habe ein richtiger Rollentausch zwischen Eltern und Kindern stattgefunden. Die Kinder kamen oft besser zurecht in der neuen Gesellschaft, passten sich schnell an. Doch die Eltern, die sich beruflich etabliert wähnten und deren Kinder aus dem Gröbsten raus waren, mussten sich plötzlich völlig neu orientieren. Gleichzeitig änderte sich die Schullandschaft, stellten die Kinder erste berufliche Weichen. "Die Eltern hatten da keinen Kopf für, die mussten sehen, dass sie ihr Leben wieder geordnet bekommen", so Enders.

Die promovierte Politikwissenschaftlerin kam 1976 im thüringischen Altenburg zur Welt und wuchs in Brandenburg auf. Sie beobachtet, dass es in vielen Familien nur die Wahl zwischen Sprachlosigkeit und dem Bedürfnis, das alles hinter sich zu lassen, gibt. Mehr als 25 Jahre nach der Wende sei es jedoch an der Zeit, diese ausgefallenen Gespräche nachzuholen.

Die DDR sitzt ihnen im Nacken, ist Teil ihrer Sozialisation. Bekommen die DDR-Geborenen Kinder sehen sie an ihrem Erziehungsstil unvermittelt die eigenen Prägungen. Zu den alten kommen neue Fragen hinzu. Wo komme ich her, wo gehe ich hin? Was gebe ich unbewusst an Vorstellungen und Werten weiter? Was für Eltern wollen wir sein? So wie unsere Eltern oder ganz anders? "Das fragen sich alle, aber wir besonders, weil unsere Eltern mitten in unserem Aufwachsen plötzlich nicht besonders präsent waren", meint Enders. "Das hat uns geprägt."

Familienalltag in der Diktatur

Heute kann genau das eine Chance sein, wieder miteinander zu sprechen, über mehr als das Wetter am jeweiligen Heimatort oder die Gesundheit der Enkel. Leicht ist das nicht immer, das zeigen nicht zuletzt die Erfahrungen der Autorinnen und Autoren im Buch. Schweigen kann sehr bedrückend und verletzend sein, Sprechen sehr anstrengend und emotional fordernd. Um die Auseinandersetzung komme trotzdem niemand herum, sagt der Psychoanalytiker Hans-Joachim Maaz in einem Interview im Buch. Denn die Beschäftigung mit der "Frage, was man Gutes und Schlechtes von den Eltern mitbekommen hat und welche Lasten man mit sich herumträgt, die braucht eigentlich jeder Mensch, wenn er erwachsen geworden ist und sein eigenes Leben leben will".

Wurde bisher über die DDR gesprochen, ging es um Wendeerfahrungen, Stasitäter und -opfer, Fluchterfahrungen oder politische Opposition. So sieht es Judith C. Enders. Kaum benannt worden sei hingegen der normale Alltag, der auch in der Diktatur stattfand. Für sie und die Vertreter der Dritten Generation Ost sind diese Diktaturerfahrungen ihre Familienerinnerungen, Kindheit und Jugend, die Lebensgeschichten der Eltern und Großeltern. "Wir wollen anregen, selbst das Gespräch zu suchen, egal ob man zur Eltern- oder zur Kindergeneration gehört. Oder auch, wenn man gar nicht aus der DDR kommt", betont Enders. Damit die Geschichten erzählt werden und nicht verloren gehen.

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