Jetzt wird es richtig schmutzig

  06 Oktober 2016    Gelesen: 1671
Jetzt wird es richtig schmutzig
Amerika macht sich bereit für die nächste Fernsehdebatte von Donald Trump und Hillary Clinton. Sollte Trump seine Ankündigungen wahrmachen, droht am Sonntagabend eine gewaltige Schlammschlacht.
„Den muss er doch machen“, sagen Sportreporter gerne, wenn ein Fußballer allein vor dem leeren Tor steht, den Ball nur noch reinschieben muss und dann trotzdem vorbeibolzt. Glaubt man vielen politischen Beobachtern in den Vereinigten Staaten, dann hatte der republikanische Präsidentschaftskandidat Donald Trump in dieser Woche im Wahlkampf im übertragenden Sinne eine Großchance auf dem Fuß. Doch anstatt kühl zu verwandeln, vergab er hitzköpfig. Eine Szene, die viel aussagt, vor allem über den Stil des Kandidaten.

Was war passiert? Bill Clinton, ehemaliger Präsident und Ehemann von Trumps demokratischer Rivalin Hillary Clinton, hatte in einer Rede in Michigan am Montag doch tatsächlich das unter Präsident Obama eingeführte Krankenversicherungssystem als „verrückteste Sache der Welt“ bezeichnet. Zwar habe die unter dem Schlagwort „Obamacare“ durchgeführte und von Hillary Clinton im Wahlkampf immer wieder gelobte Reform vielen Millionen Amerikanern Versicherungsschutz gebracht, aber, so Bill Clinton, gleichzeitig vielen Kleinunternehmern sehr viel höhere Kosten beschert. Es ist eine Kritik, die viele Republikaner schon lange üben, der führende Demokraten aber gerne auszuweichen versuchen.

Die Reaktion von Trump auf das unverhoffte Wahlkampfgeschenk: Anstatt den unglücklich agierenden Bill Clinton sofort und sachlich als unfreiwilligen Kronzeugen für seine eigene Ablehnung von Obamacare zu vereinnahmen, wird er lieber zotig: „Ich wette, dass Bill dafür in der letzten Nacht durch die Hölle gegangen ist“, ätzt Trump bei einer Veranstaltung in Arizona. „Aber, mal ehrlich, er ist doch schon viele Nächte mit Hillary durch die Hölle gegangen.“ Es soll wohl eine Anspielung auf angebliche Eheprobleme im Hause Clinton sein, auf Bills Fremdgeh-Geschichten. „Ich kann nicht verstehen, warum er in so einer Situation so etwas sagt“, schüttelt John King, politischer Chefkorrespondent bei CNN, den Kopf. „Aber Trump ist Trump.“

Nach der von ihm gründlich vergeigten ersten Fernsehdebatte mit Hillary Clinton Ende September, fragen sich viele Amerikaner vor dem möglicherweise schon vorentscheidenden zweiten Duell in der Nacht von Sonntag auf Montag, welchen Trump sie dieses Mal wohl zu sehen bekommen werden. Nicht nur in Arizona, auch bei einem Wahlkampfauftritt in Pennsylvania vor wenigen Tagen gab dieser möglicherweise bereits einen Vorgeschmack: Unter dem Juchzen seiner Anhänger machte sich Trump über die jüngsten Gesundheitsprobleme seiner Kontrahentin lustig, äffte sie nach und spekulierte einmal mehr über den Zustand ihrer Ehe: „Ich glaube nicht, dass sie Bill treu ist.“

Da ist er also wieder, der unberechenbare Trump, der unseriöse Trump, auf den sogar dessen eigenes Wahlkampfteam gerne verzichten würde. Der Politiker, der in Playboy-Clips auftaucht, aus gekränkter Eitelkeit nachts bei Twitter gegen eine ehemalige Schönheitskönigin wettert und über ein angebliches Sexvideo fabuliert. Der Kandidat, der zu Beginn seiner Kampagne Mexikaner als Vergewaltiger und Drogenschmuggler verhöhnte und sich über einen behinderten Reporter lustig machte. Nun also nimmt er sich Clintons Privatleben vor, beziehungsweise das ihres Mannes. Zum Ende der Auftaktdebatte, in der er sich immer wieder von Clinton provozieren ließ, deutete er bereits an, dass er Bills außereheliche Affären sowie die Rolle, die Hillary dabei spielte, jederzeit auf die Tagesordnung setzen könne. Allein aus Respekt vor Clintons Tochter Chelsea im Publikum habe er bisher, wie er gönnerhaft einräumte, darauf verzichtet.

Gut möglich, dass er jetzt, da ihm aufgrund der aktuellen Diskussion über Steuertricksereien und zahlreiche andere fragwürdige Aussagen ohnehin viel Gegenwind entgegenschlägt, sein vermeintliches Ass aus dem Ärmel holen möchte. „Hillary war mit dem größten Frauenschänder in der Geschichte der Politik verheiratet. Hillary hat es möglich gemacht. Sie hat Frauen attackiert, nachdem sie von Bill Clinton misshandelt wurden. Ich denke, dass das ein ernstes Problem für beide ist – und ich ziehe es in Betracht, in der nahen Zukunft mehr darüber zu reden“, so Trump.

Doch wäre das überhaupt hilfreich? Gerade die Debatte der Vizepräsidentschaftskandidaten am Dienstagabend, als sich der Republikaner Mike Pence und der Demokrat Tim Kaine überwiegend ruhig und respektvoll über verschiedene politische Themenfelder unterhielten und am Ende eine Mehrheit der Zuschauer und Kommentatoren Pence zum Sieger erklärte, hat doch gezeigt, dass sich auch ohne Lästereien Sympathien gewinnen lassen. Trump scheint das offenbar anders zu sehen. Noch während des Duells ließ er via Twitter verlauten, dass Tim Kaine „wie ein böser Ganove in einem Batman-Film“ aussehe.

Unterdessen scheinen manche Wähler einem Schlagabtausch unter der Gürtellinie am Sonntag durchaus entgegenzufiebern. Auf Pro-Trump-Facebook-Seiten mehren sich die Kommentare, die fordern, Trump möge es der „lügenden Schlampe Hillary“ mal so richtig zeigen. Es dürften die gleichen Leute sein, die auf Trump-Wahlkampfveranstaltungen zu Hunderten in T-Shirts herumlaufen, auf denen ein Foto von Bill Clintons berühmter Seitensprung-Partnerin Monica Lewinsky zu sehen ist. „Hillary sucks, but not like Monica“, steht darunter zu lesen – ein Wortspiel, das sich ins Deutsche schlecht übersetzen lässt, aber, so viel lässt sich zusammenfassend sagen, Hillary Clintons angebliche politische Unfähigkeit auf wenig filigrane Weise mit den außerehelichen Sexpraktiken ihres Mannes in Verbindung zu setzen versucht.

Die Häme, die zahlreiche Amerikaner ihrer ehemaligen First Lady und möglicherweise zukünftigen Präsidentin entgegenbringen, kennt kaum Grenzen. Ob Trump sich mit schmutzigen Sprüchen und unpolitischen Gemeinheiten am Sonntag einen Gefallen tun würde, darf, auch wenn Clinton selbst gerne austeilt, trotzdem bezweifelt werden. Schließlich sollte es ihm nicht in erster Linie darum gehen, seine Kernwählerschaft zufriedenzustellen. Die hat er schließlich eh schon in der Tasche – oder wie es Glenn Thrush vom Magazin „Politico“ Anfang der Woche ausdrückte: „Die Republikaner hätten auch einen meilenhohen Haufen brennenden Medizinabfalls nominieren können. Zwischen 38 und 43 Prozent der amerikanischen Wähler würden eher für den Haufen stimmen als für Hillary Clinton.“

Vielmehr muss Trump, der den jüngsten Umfragen zufolge zuletzt gegenüber Clinton gerade in wichtigen Swing States deutlich an Boden verloren hat, möglichst viele bisher unentschiedene Wähler auf seine Seite ziehen – und die, das zeigen auch die Reaktionen auf die erste Debatte, können mit schlecht vorbereiteten Sprücheklopfern eher wenig anfangen. Hinzu kommt, dass das anstehende zweite Duell mit Clinton im so genannten Town-Hall-Format ausgetragen wird. Dabei antworten die Kandidaten direkt auf Fragen aus dem Publikum und kommen eher mit den anwesenden Bürgern als untereinander ins Gespräch. Es wäre schon sehr irritierend, wenn Trump diese Konstellation, die eher Diskussionen programmatischer Details als persönliche Abrechnungen begünstigt, für eine gewaltige Schlammschlacht nutzen würde.

Die Worte von Trumps ehemaligem Wahlkampfmanager Corey Lewandowski, der Trump immer noch sehr verbunden ist, klingen in verschiedenen Interviews in diesen Tagen gerade zu beschwörend: „Es wird am Sonntag allein um Politik gehen“. So richtig überzeugt allerdings scheint selbst er nicht zu sein. Wie auch? „Trump ist Trump“. Am Ende entscheidet nur er, ob sein Auftritt schmutzig wird oder nicht – und welche Steilvorlage er nutzt und welche nicht.

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