Erst der Butler soll Schlimmeres verhindert haben

  14 Oktober 2016    Gelesen: 417
Erst der Butler soll Schlimmeres verhindert haben
Fünf Frauen beschuldigen Donald Trump der sexuellen Belästigung. Die Enthüllungen haben in den USA eine Debatte über sexuelle Übergriffe entfacht – ein Massenphänomen, dessen Opfer oft schweigen
Es scheint, als hätte Donald Trump gerade mit seinem Versuch, die Video-Affäre abzuhaken, eine Lawine ausgelöst, die noch wesentlich gefährlicher für ihn ist als die Mitschnitte seiner frauenverachtenden Äußerungen. Nachdem CNN-Moderator Anderson Cooper beim letzten TV-Duell mehrfach nachgefasst hatte, behauptete Trump, dass die von ihm im Video geschilderten Übergriffe nie stattgefunden hätten, sondern nur Angeberei gewesen seien. Tatsächlich gibt es jedoch Frauen, die genau das Gegenteil behaupten und Trump als Täter beschreiben – und nicht nur als jemanden, der den Mund zu voll nimmt. Und es werden immer mehr.

„Ich wollte den Bildschirm schlagen“, sagt Jessica Leeds der „New York Times“ über jenen Moment im TV-Duell. Sie erzählt, dass Trump einmal im Flugzeug zufällig neben ihr saß und plötzlich anfing, ihren Busen zu begrapschen, und versuchte, mit der Hand unter ihr Kleid zu kommen. „Er war wie ein Krake, seine Hände waren überall“, erzählt sie. Sie ist dann in den hinteren Teil des Flugzeugs geflüchtet. Eine andere Frau, mit der die „New York Times“ sprach, erinnerte sich, wie Trump sie 2005 vor einem Fahrstuhl im New Yorker Trump Tower ohne ihre Einwilligung und ohne Vorwarnung geküsst habe. Das war exakt die Handlung, die Trump in dem Videomitschnitt beschrieben hatte und nach der Moderator Cooper ihn gefragt hatte.

Einen ähnlichen, aber noch drastischeren Fall beschreibt die Journalistin Natasha Stoynoff aus ihrer Zeit als Reporterin des Prominentenmagazins „People“. Trump habe sie während einer Interviewpause durch sein Anwesen geführt, sei plötzlich über sie hergefallen und habe sie zu einem Zungenkuss gezwungen. Nur weil der Butler plötzlich hereingekommen sei, habe sie sich retten können.

Eine weitere Frau berichtet der „Palm Beach Post“, Trump habe sie begrapscht, als sie einem befreundeten Fotografen bei Aufnahmen in Trumps Haus geholfen habe. Die frühere Miss Washington Cassandra Searles berichtet im Online-Netzwerk Facebook, Trump habe sie während der von ihm veranstalteten Miss-Universe-Ausscheidung wiederholt begrapscht. Damit sind es bisher fünf Frauen, die von tätlichen sexuellen Übergriffen Trumps berichten. Dazu werden immer neue Episoden aus der Vergangenheit gemeldet, etwa von penetranter Anmache Trumps am Rande seiner Fernsehshows oder ein Video, in dem Trump auf eine Zehnjährige deutet und erklärt: „In zehn Jahren werde ich mit ihr gehen. Unglaublich.“

Das Problem geht über Trump hinaus

Inzwischen ist jedoch deutlich geworden, dass Amerika ein Problem hat, das weit über Trump hinausgeht. Ein kulturelles Problem mit Männern, die glauben, Frauen hätten sexuell verfügbar zu sein. Und es ist oft nur ein kurzer Weg von jenem männlichen „Umkleidekabinengerede“, mit dem Trump seine Bemerkungen zu verharmlosen sucht und das Frauen zu Sexobjekten degradiert, bis zu echtem Gegrapsche oder noch Schlimmerem. Aber der Fall Trump hat in den USA eine neue Debatte über die Grenzen des Zulässigen entfacht.

Kelly Oxford hat eine spontane Idee, wenige Stunden, nachdem am Freitagnachmittag das Video aufgetaucht ist, in dem Trump mit sexuellen Übergriffen prahlt. Die in Los Angeles lebende kanadische Autorin fordert Frauen auf Twitter auf, ihre ersten eigenen Erfahrungen mit sexuellen Übergriffen zu tweeten, um zu zeigen, dass sich hinter den Statistiken echte Schicksale verbergen. „Ich fange mal selbst an“, schreibt sie. „Ein alter Mann fasst mir in einem städtischen Bus in den Schritt und lächelt mich an, ich bin 12.“

Was dann passiert, hat Oxford nicht erwartet. „Ich dachte, das war so eine persönliche Frage“, erzählt sie später der „New York Times“, „niemand wird irgendetwas darüber auf Twitter teilen.“ Doch damit hat sie sich getäuscht. Unter dem Hashtag „#notokay“ bricht eine Welle von Missbrauchsberichten über sie herein, Frauen aus den ganzen USA teilen ihre Erfahrungen. Am Samstag erhält Oxford auf Twitter schon etwa 50 solcher Reaktionen pro Minute. Frauen erzählen, wie Männer sich ungefragt an ihnen reiben. Wie sie im öffentlichen Raum begrapscht werden, an den Brüsten, im Schritt oder anderswo. Manchmal sind es Wildfremde, die die Anonymität im öffentlichen Raum ausnutzen. Oft sind es aber auch Freunde der Eltern, Kollegen, Chefs. Viele Frauen berichten, dass sie erst zehn, zwölf oder 14 Jahre alt waren, als sie zum ersten Mal zum Opfer von Übergriffen wurden. Die Täter verließen sich offenbar darauf, dass ihre Opfer schon nichts sagen würden, weil sie die Erfahrung voller Scham für sich behalten.

Bis jetzt. Viele Frauen berichten in Oxfords Twitter-Feed zum ersten Mal von ihren traumatischen Erlebnissen. Es ist, als hätten die öffentlichen Entgleisungen von Trump eine Welle losgetreten von Bekenntnissen. Manche Frauen berichten auch von Angstzuständen, weil Trumps Angeberei mit sexuellen Übergriffen die eigenen Erfahrungen wieder wachgerufen habe. Trump, so scheint es jedenfalls, ist kein Einzelfall.

„Über 30 Millionen Menschen haben meinen Twitter-Feed gelesen oder dazu beigetragen, seit ich am vergangenen Freitag #notokay getweetet habe“, schrieb Oxford am Mittwochnachmittag.

Vergewaltigung und sexuelle Übergriffe gehören in den USA zu den Verbrechen mit der größten Dunkelziffer, auch weil viele Opfer lieber schweigen, als die Täter anzuzeigen. Laut US-Justizministerium wird fast ein Sechstel der amerikanischen Frauen in ihrem Leben zu Opfern von Vergewaltigung. Etwa 43 Prozent der heterosexuellen Frauen berichten, Opfer sexueller Übergriffe geworden zu sein. Nur 16 Prozent der Vergewaltigungen im Land werden den Behörden gemeldet, bei sexuellen Übergriffen sind es 30 Prozent. Und 91 Prozent der Opfer sind Frauen.

Der Grund für das Schweigen mag in Einschüchterungen durch die Täter liegen, aber auch in einem gesellschaftlichen Klima, das Opfer tendenziell mitverantwortlich macht. Auch die Journalistin Stoynoff berichtet, nach Trumps Übergriff habe sie sich mit Selbstzweifeln gequält: „Hatte ich irgendetwas getan, was ihn ermutigt hatte?“ Nun wird auch über die kulturelle Prägung männlicher Amerikaner neu nachgedacht.

Trump hat eine nationale Debatte ausgelöst

„Die Wahrheit ist, dass ich diese Trumps mein ganzes Leben lang gekannt habe“, schreibt Shaun Harper in der „Washington Post“. „Unglücklicherweise wird diese Art von Worten, die wir von Trump gehört haben, gemeinhin gesagt, wann immer Männer unter sich sind.“ Harper ist Professor an der Universität von Pennsylvania und forscht unter anderem über Männlichkeitsbilder. Sein Beitrag gehört laut der Analysefirma Mediametric zu den am meisten auf Facebook geteilten, seitdem Trumps Video-Skandal öffentlich wurde. Harper schreibt, dass diese Art, über Frauen zu reden, keinesfalls auf Umkleidekabinen beschränkt sei. Man begegne ihr auch in den an Amerikas Universitäten weitverbreiteten Studentenverbindungen, auf dem Golfplatz, beim Friseur und in Bars, und manchmal würden sogar bei Kindergeburtstagen Sottisen über die Mutter des Geburtstagskindes ausgetauscht.

„Ich habe einen großen Teil meiner Karriere damit verbracht, Männer und ihre Männlichkeitsbilder zu untersuchen“, schreibt Harper. Vor allem habe er Highschool-Schüler und Unistudenten analysiert. „Viele haben mir gesagt, dass sie in der Mittelschule gelernt haben, Trumps zu sein, manche schon früher.“ Die Medien, Eltern, Familienmitglieder und ihre Altersgenossen würden schon früh prägen, wie diese jungen Männer über Frauen denken und reden.

Quelle : welt.de

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