Reichsbürger muss mit Mordanklage rechnen

  20 Oktober 2016    Gelesen: 793
Reichsbürger muss mit Mordanklage rechnen
Brutale Eskalation in Mittelfranken: Ein renitenter Waffenbesitzer eröffnet bei einer Durchsuchungsaktion durch die Behörden das Feuer auf Polizeibeamte. Der Fall in Georgensgmünd lenkt Licht auf eine gemeingefährliche Bewegung. Wie konnte es so weit kommen?
Wolfgang P. ist gewarnt. Bevor die Polizei seine Haustür aufbricht, stellen die Beamten Blaulicht und Martinshorn an. Der 49-jährige Franke soll nicht glauben, dass in den frühen Morgenstunden Einbrecher sein Haus im mittelfränkischen Georgensgmünd stürmen. Doch die Polizei unterschätzt, dass P. alle staatlichen Institutionen für illegal hält - der "Reichsbürger" schießt unvermittelt los, ein 32-jähriger Polizist wird lebensgefährlich verletzt.

Um etwa 6.00 Uhr am Mittwochmorgen rücken ein Sondereinsatzkommando und Mitarbeiter des Landratsamts Roth bei dem ehemaligen Betreiber einer Kampfsportschule an. Überraschen wollen die Beamten P. nicht. Kurz nachdem sie ins Haus eingedrungen sind, beginnt der Jäger und Sportschütze durch eine geschlossene Tür aus dem ersten Stock herunter auf die Polizisten zu schießen.

"Skurriler" Charakter?

Alleine der lebensgefährlich verletzte Beamte wird dreimal getroffen. Einem weiteren Polizisten durchschießt P. den Oberarm, zwei Polizisten werden durch Glassplitter verletzt. P. selbst bleibt unbeschadet. Er hatte sich eine schusssichere Weste übergezogen. Mittelfrankens Polizeipräsident Johann Rast glaubt, dass seine Waffen und die Weste neben dem Bett des Mannes lagen.

In seiner Umgebung wird Wolfgang P. dem Rother Landrat Herbert Eckstein zufolge als "skurril" beschrieben. In den vergangenen Monaten bekannte er sich immer offensiver zu den "Reichsbürgern" - einer Bewegung, die die Bundesrepublik ablehnt, Deutschland in den Grenzen von 1937 sieht und zum Teil einem rechtsextremen Gedankengut anhängt.

"Alles Spinner", sei die laienhafte Reaktion auf das, was die Gruppe propagiere, sagt Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) nach der Tat im benachbarten Roth. Wenn es so wie am Mittwoch verlaufe, sei es "eben keine Spinnerei mehr".

"Ich bin Reichsbürger"

Im Mai wollten Mitarbeiter des Landratsamt erstmals in das Haus in Georgensgmünd, um zu kontrollieren, ob P. seine mehr als 30 angemeldeten Waffen ordnungsgemäß aufbewahrt. Eine solche Kontrolle durch die Behörden ist für Waffenbesitzer eigentlich nichts Ungewöhnliches.

Doch schon damals verweigerte P. den Behördenvertretern Zutritt zu seinem Haus. Ein weiterer Kontrollbesuch Ende Juli blieb ebenfalls erfolglos. Anfang August bekam P. ein Anhörungsschreiben ausgestellt, das er mit einem eigenen Schreiben quittierte. "Ich bin Reichsbürger", habe er darin mitgeteilt, sagt Landrat Eckstein.

Der Inhalt des Briefes des selbst ernannten "Reichsbürgers" an den Rother Landrat wirke "verrückt", heißt es aus Behördenkreisen. Der 49-Jährige aus Georgensgmünd weist darin von sich, jene "Person" zu sein, mit der die Behörden dringend sprechen wollten. Vielmehr sei er der "autorisierte Repräsentant Ihres Handelsnamens", heißt es in dem Schreiben - allgemeine Geschäftsbedingungen schickt der Verfasser gleich mit.

Mit Schutzweste und Pistole

Die Kfz-Steuer zahlte er nicht, weil er den Staat allgemein für eine illegale Einrichtung hielt. Eine Institution wie die Bundesrepublik dürfe demnach keine Steuern eintreiben. In seiner Gemeinde meldete er sich offiziell ab - blieb aber in dem Haus, das ihm gehört, wohnen. In Anbetracht dieses Verhaltens entschied das Landratsamt, P. als unzuverlässig einzustufen und ihm den Waffenschein zu entziehen, was schließlich zu der Razzia führen sollte.

Mit Schutzweste und Pistole in der Hand soll P. die Einsatzkräfte erwartet haben. Mit welcher seiner Waffen er schließlich auf die Beamten schoss, ist allerdings noch unklar. Dabei hatte er in seinem Brief noch geschrieben: "All mein Tun geschieht immer in friedlicher und liebevoller Absicht." Die Angelegenheit solle geregelt werden, "ohne dass ein Mensch zu Schaden kommt".

"Reichsbürger", "Reichsdeutsche" oder auch "Germaniten" halten die Bundesrepublik Deutschland für einen Unrechtsstaat und erkennen ihn grundsätzlich nicht an. Ihrer Meinung nach besteht das Deutsche Reich bis heute fort - oft mit den Grenzen von 1937. Manche Reichsbürger haben sogar eigene Fantasiepapiere - "Reichsausweise" -, die sie wie einen amtlichen Personalausweis mit sich führen. Wie viele "Reichsbürger" es in Deutschland gibt, ist unklar. Weder das Bundesamt für Verfassungsschutz noch das bayerische Innenministerium äußern sich zu Zahlen.

Gemeingefährliches Verhalten

Es ist schon das dritte Mal in nicht einmal zwei Monaten, dass Polizisten durch einen "Reichsbürger" zu Schaden kommen. Ende August schoss in Sachsen-Anhalt ein 41 Jahre alter ehemaliger "Mister Germany" auf Polizisten und verletzte zwei Beamte. Ebenfalls im August schleifte ein 60-Jähriger in Baden-Württemberg mit seinem Auto einen Polizisten mit - der Mann akzeptierte eine Verkehrskontrolle nicht.

"Man hält die für verrückt, wenn einer sagt: `Diesen Staat gibt es überhaupt nicht. Ich weigere mich, Anordnungen zur Kenntnis zu nehmen und ich definiere mein Grundstück als eigenes Staatsgebiet`", kommentierte Bayerns Innenminister Herrmann. Dies sei jedoch keine Frage einer Geisteskrankheit, sagte er. Hier gehe es um eine Ideologie. Nach dem Vorfall kündigt er an, alle bekannten "Reichsbürger" im Freistaat nochmals genau zu überprüfen - vor allem hinsichtlich ihres Waffenbesitzes.

Schon seit längerem warnen etwa Linke und Grüne vor den "Reichsbürgern". Sie werfen der Bundesregierung vor, die Gruppe nicht ausreichend ernst genommen zu haben. Nach dem Vorfall aus Franken sieht die Linken-Innenexpertin Ulla Jelpke die "Mär" widerlegt, es handle sich bei den Reichsbürgern "vor allem um Querulanten und Spinner".

Innenminister Herrmann will nun in Bayern den Verfassungsschutz auf die Bewegung ansetzen - es sollten "alle präventiven und repressiven Maßnahmen" zum Einsatz kommen. "Reichsbürger" Wolfgang P. dürfte unterdessen schon bald der Haftbefehl eröffnet werden - der Staat, den er nicht akzeptiert, wirft ihm nun versuchten Mord vor.

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