Die feinen Unterschiede: Frankreich als nächster Ehrengast der Buchmesse

  24 Oktober 2016    Gelesen: 673
Die feinen Unterschiede: Frankreich als nächster Ehrengast der Buchmesse
Wir wissen schon: Man soll ein Buch nicht nach seinem Cover beurteilen und einen Ehrengast nicht danach, was auf der ersten Präsentation der Planungen ein Jahr zuvor kundgetan wird. Und doch machen wir uns Sorgen. Sorgen, zur kommenden Buchmesse könnte auf dem Frankfurter Messegelände ein derart dimensionierter Gastlandauftritt angeschwemmt werden, dass er dort vor aller Augen gleich einem Wal an seinem eigenen Gewicht erstickt.
Wem fiele ein Land ein, das seinen Auftritt mit einem Maß an Pathos und Geltungsbewusstsein planen würde wie Frankreich, „das Land der Kunst und Kultur“, wie Frankfurts Oberbürgermeister Feldmann bei seinen Grußworten so trefflich sagte? In den Saal „Harmonie“, den größten des Kongresszentrums an der Messe, hatte Frankreich geladen, der Premierminister war da, hatte die Kulturministerin nur zum Zuhören mitgebracht und einen Herrn in eindrucksvoller Uniform, eigens dafür da, um nach der Rede des Regierungschefs dessen Manuskript vom Rednerpult zu pflücken. Weil der Saal so groß ist, waren die Seitenbereiche abgesperrt, die mittleren Plätze vor der Bühne waren mit Blättern mit dem Ausdruck „Reserviert“ belegt, so weit das Auge reicht. Frankreich ist nicht nur das Land der Kunst und Kultur, sondern auch das der bürokratischen Sorgfalt.

Nein, nein, wurde den verwunderten Gästen bedeutet, die ihr Kommen bestätigt hatten und nun nicht wussten, wohin sie sich setzen sollten: Genau für sie seien die Plätze reserviert. Doch wer sich allerdings in die ersten beiden Reihen setzen wollte, hatte außer Acht gelassen, dass Frankreich nicht nur das Land der Kunst, Kultur und Bürokratie ist, sondern auch das der feinen Unterschiede. Hier lagen Blätter mit dem Aufdruck „Reserviert“, den anderen weiter hinten zum Verwechseln ähnlich.

Nein, nein, wurde den verwunderten Gästen bedeutet: Diese Plätze seien vorgesehen für die französische Delegation und ihre Gastgeber. Es folgten Sätze voller gravité und ambition, communauté und importance. Während man sich nebenan beim Ehrengast dieses Jahres auf Wunsch ein Gedicht über die See ins Ohr flüstern lassen konnte, was wir jetzt schon vermissen. Zum Glück ist Frankreich nicht nur das Land der Kunst, Kultur, Bürokratie und feinen Unterschiede, sondern auch des Charmes, des Verves, der Légèrté. Ein Land zudem voller Schriftsteller und Künstler, die ihren eigenen Willen haben, ihren eigenen Kopf und ihre eigene Widerborstigkeit, und unter den „Hunderten“, mit denen Frankreich die Messe, die Stadt und das Land plangemäß im kommenden Jahr überziehen will, werden wohl auch ein paar von ihnen zu finden sein. Darauf ruht unsere Hoffnung. Immerhin ist Frankreich auch das Land der Subversion.

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