Kurz nach der US-Wahl wandte er sich mit einem Gastbeitrag für den britischen "Guardian" zunächst an Trump. "Die USA stemmen derzeit fast 70 Prozent der Verteidigungsausgaben und haben völlig zu Recht zu einer gerechteren Lastenteilung aufgerufen", schrieb er und gelobte Besserung: Die Ausgaben Kanadas und der europäischen Staaten stiegen seit dem vergangenen Jahr nach etlichen Kürzungen schließlich schon wieder und würden dies auch in Zukunft tun.
Trump hatte – wie seine Vorgänger im Weißen Haus – die geringen Veteidigungsetats der meisten europäischen Staaten kritisiert. Trump setzte aber noch einen drauf, als er im Wahlkampf ankündigte, er werde nur noch den Nato-Mitgliedern bei einem Angriff zur Hilfe kommen, die (wie eigentlich in dem transatlantischen Bündnis vereinbart) zwei Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für Verteidigung ausgeben. Das tun derzeit nur eine Handvoll EU-Staaten. Die USA stemmen deshalb den Großteil der Kosten für die Bündnisverteidigung, obwohl sie nach den folgenschweren Interventionen in Afghanistan und dem Irak eigentlich schon seit Barack Obamas erster Amtszeit als US-Präsident auf stärkere Zurückzuhaltung in der Welt pochen.
EU will nach dem Brexit Geschlossenheit demonstrieren
Nur Tage nach diesem Signal an die USA über den "Guardian" wandte Stoltenberg sich in einer Rede bei der Stiftung German Marshall Fund an die EU und appellierte auch an ihre Bündnistreue. Er fürchte, dass die EU eigene Nato-ähnliche Kommandostrukturen aufbauen könnte, sagte Stoltenberg. "Das würde bedeuten, mit uns selbst in Wettstreit zu treten."
In der EU existieren seit Jahren Pläne, die eigene Verteidigungsfähigkeit grundlegend zu stärken. Vor allem Großbritannien stemmte sich allerdings gegen alle Vorhaben, die London wie eine Unterwanderung der Nato vorkamen. Als die Briten im Sommer für den Brexit stimmten, ging ein neuer Impuls durch die EU. Die Deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach von einem "Momentum", das es zu nutzen gelte. Berlin, Paris und die EU-Kommission in Brüssel warben für den Aufbau eines gemeinsamen militärischen Hauptquartiers und einer Vielzahl weiterer Strukturen und militärischer Fähigkeiten. Sie verbanden mit diesem Schritt nicht nur die Möglichkeit, ein Machtvakuum durch den Rückzug der USA aus der Welt zu kompensieren, sondern sahen darin in den chaotischen Tagen nach dem Brexit-Votum auch die Chance, Geschlossenheit und Fortschrittsfähigkeit der EU zu demonstrieren.
Nach dem Trump-Triumph trafen sich die zuständigen Minister im Rat für auswärtige Angelegenheiten in Brüssel und versuchten, ihre Pläne für den Aufbau einer "europäischen Verteidigungsunion" voranzutreiben. Stoltenberg war dabei. Vereinzelt, aber unüberhörbar ertönten in den vergangenen Tagen aber auch Rufe nach einer europäischen Armee. Dabei handelt es sich um ein altes Konzept, das über die Verteidigungunion hinaus geht und viele eigentlich schon als nicht umsetzbar abgeschrieben haben.
Angst vor Doppelstrukturen
Stoltenberg lehnt eine europäische Armee ab. Zwar setzt auch er auf mehr Verteidigungsausgaben der EU-Staaten – und das nicht nur, um Trump zufriedenzustellen, sondern auch angesichts wachsender Spannungen auf der Welt, sei es nun im Verhältnis zu Russland, angesichts des Chaos im Nahen Osten oder des omnipräsenten Terrorismus. Diese Mehrausgaben sollten aber unbedingt in Ergänzungen, nicht in den Ersatz von Nato-Strukturen fließen.
Stoltenberg klagt, dass es schon jetzt in Europa unsinnige Dopplungen gebe. Die USA hätten ein Kampffahrzeugtyp für die Infanterie, die EU 19 verschiedene. Die USA hätten drei verschiedene Luft-Luft-Raketensysteme, die EU 13. Vier Fregattentypen der USA stünden 29 in Europa gegenüber. "Was denken Sie, wie sich das auf unsere Fähigkeiten auswirkt, zusammen zu arbeiten und zusammen zu kämpfen?"
Europäische Verteidigungsunion oder EU-Armee?
Stoltenberg ergänzt seine Appelle an Washington und Brüssel, indem er versucht, die Stärke und Einigkeit des transatlantischen Bündnisses auch ein wenig herbeizureden. All der Nato-feindlichen Zitate Trumps zum Trotz behauptete Stoltenberg, der künftige US-Präsident sei ein "Nato-Fan". Über die EU sagte Stoltenberg wiederum, sie hätte einige "der Geister früherer Tage", gemeint ist die Idee einer europäischer Armee, offenbar begraben.
Tatsächlich ist aber weder Trumps außen- und verteidigungspolitischer Kurs klar, noch der Europas. Zwar pochen etliche Minister in Europa darauf, keine Doppelstrukturen zu schaffen. Ausgerechnet Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker bringt aber immer wieder das Langfristziel einer EU-Armee ins Spiel. Die Planlosigkeit ist nicht zu vergleichen mit jener, die in Washington zu herrschen scheint: Doch auch die EU sucht noch nach einem stimmigen Konzept, auf das sich alle Mitgliedstaaten einigen können.
Tags: