Prozess zum Anschlag auf Flüchtlingsheim

  25 November 2016    Gelesen: 556
Prozess zum Anschlag auf Flüchtlingsheim
Sechs Männer sind angeklagt, 2015 in Nauen am Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft beteiligt gewesen zu sein. Zum Prozessauftakt legt der Hauptangeklagte einen denkwürdigen Auftritt hin.
Der Verhandlungstag ist schon sechs Stunden alt, da darf Maik Schneider endlich tun, was er schon die ganze Zeit tun möchte: reden. Und er hat viel zu sagen. Aus seiner Sicht: viel richtigzustellen. Denn die Staatsanwaltschaft Potsdam hat das NPD-Mitglied und fünf weitere Männer angeklagt, Mitglieder einer kriminellen Vereinigung gewesen zu sein.

Staatsanwalt Nils Delius sagt, die Gruppe habe zum Ziel gehabt, die Unterbringung von Flüchtlingen im brandenburgischen Nauen zu verhindern und ein Zeichen gegen Zuwanderung zu setzen. Schneider, damals NPD-Stadtverordneter, soll der Rädelsführer gewesen sein.

Unterschiedliche Mitglieder der Gruppe sollen 2015

in der WhatsApp-Gruppe "Heimat im Herzen" ihre Pläne koordiniert;
bei einer Stadtverordnetenversammlung zum Thema Bau eines Flüchtlingsheimes ausländerfeindliche Parolen gebrüllt und zu Tumulten angestachelt;
das Auto eines polnischen Bürgers angezündet;
an einer Lidl-Filiale einen Sprengsatz gezündet;
ein Linken-Parteibüro mit Farbbeuteln beworfen;
ein Dixi-Klo auf einer Flüchtlingsheim-Baustelle angezündet und
vor einer Sporthalle, in der vorübergehend hundert Flüchtlinge unterkommen sollten, einen Brand gelegt haben, der das Gebäude zerstörte. Sachschaden: 3,5 Millionen Euro.

Schneider - groß gewachsen, rotes Kapuzen-Sweatshirt, Jeans, die Haare akkurat zurechtgegelt - soll Treffen einberufen, die Aufgaben verteilt und manchmal selbst übernommen haben. Er spricht schnell und über eine Stunde lang. Wie bei einem übereifrigen Schüler, der die richtige Antwort zu kennen glaubt, sprudelt es nur so aus ihm heraus. Ganz gleich ob er von seinen eng beschriebenen Zetteln abliest oder frei redet: Es ist nicht leicht, ihm zu folgen.

Buchtipps für die Staatsschutzkammer

So kommt die Staatsschutzkammer des Landgerichts Potsdam unter Vorsitz von Theodor Horstkötter in den Genuss eines Buchtipps zum Thema unzuverlässige Zeugenaussagen und manipulierte Erinnerungen. Auch bei ihm, sagt Schneider, hätten sich womöglich Tätererinnerungen eingeschlichen. Dabei wisse die Staatsanwaltschaft, dass die meisten Anklagepunkte nicht zu beweisen seien. Er äußere sich, weil er "so schnell wie möglich nach Hause" möchte. Lachen im Saal, selbst sein Anwalt Jens-Michael Knaak wirkt amüsiert.

Mehrmals muss Horstkötter Schneider ermahnen, doch bei der Sache zu bleiben. Schneiders Kurzversion: Der Hallenbrand sei "krimineller Unfug" gewesen, für den er die Verantwortung trage. Der mitangeklagte Sebastian F. habe ihm geholfen, sonst niemand. In allen anderen Punkten sei er unschuldig.

Was die Halle angehe: ein Unfall. Er habe nur "für ein bisschen Qualm sorgen" wollen, als Zeichen des Protestes. "Ich bin hundertprozentig davon ausgegangen, dass man eine Turnhalle nicht mit ein paar Reifen abfackeln kann."

``Volkseigentum" wolle er nicht zerstören

Wenn er dies wirklich gewollt hätte, wäre es ihm ein Leichtes gewesen - aber damit hätte er ja "Volkseigentum" zerstört, dem Schul- und Vereinssport geschadet und seine eigene jahrelange politische Arbeit als Stadtverordneter der NPD torpediert. Abgesehen davon sei es falsch, Hunderte Menschen wie Tiere in einer Halle zusammenzupferchen.

Die kriminelle Vereinigung? Habe es nie gegeben, Ermittler hätten diese aus der WhatsApp-Gruppe "Heimat im Herzen" herbeikonstruiert.

Rädelsführerschaft? Wo keine Vereinigung, da kein Rädelsführer.

Das brennende Auto? Er habe die Sache gefilmt, aber keineswegs die Scheibe des Wagens eingeschlagen, damit der mitangeklagte Dennis W. einen Brandsatz hineinwerfen konnte.

Die Stadtverordnetenversammlung? Er habe ein Plakat mit der Aufschrift "Asylbetrug ist kein Menschenrecht - Nein zum Heim" hochgehalten. Aber richtig agitiert? Fehlanzeige. Abgesehen davon: "Wenn man `Nein zum Heim` brüllt, hat das nichts mit Ausländerfeindlichkeit zu tun."

Die Explosion bei Lidl? Er wisse von nichts; die Tat wird W. zugerechnet.

Trauriges Kleinstadtpanorama gescheiterter Existenzen

Schneiders Aussagen lösen im Publikum mehrmals Heiterkeit aus, das Gericht changiert zwischen Genervtheit und Ermattung. Ein Richter gähnt, ein Schöffe wendet sich erst demonstrativ ab und fragt Schneider dann, ob er den Quatsch glaube, den er da erzähle.

Anwalt Knaak sieht darin keinen Anlass für einen Befangenheitsantrag. Das, sagt der Verteidiger später, würde den Prozess nur weiter in die Länge ziehen. Ob er darauf Lust hat? Auf Richter Horstkötters Frage, ob er der Verteidiger Schneiders sei, antwortet Knaak: "Leider ja."

Vier Angeklagte sagen vor Schneider aus. Sebastian F. gibt zu, als Gehilfe am Sporthallenbrand beteiligt gewesen zu sein. Christian B. sagt, er habe in der Brandnacht nach der Polizei Ausschau gehalten. Christopher L. gesteht, betrunken das Dixi-Klo angesteckt zu haben. Und er und Thomas E. hätten ebenfalls betrunken die Farbbeutel gegen das Parteibüro geworfen.

In ihren Aussagen zeigt sich ein trauriges Kleinstadtpanorama gescheiterter Existenzen: Kinder, für die man Unterhalt zahlen muss. Ärger mit wechselnden Partnerinnen. Drogensucht, Suff, Arbeitslosigkeit, Schulden. Und noch etwas durchzieht ihre Einlassungen: Das Eingeständnis, irgendwie beteiligt gewesen zu sein. Aber Kernfigur, Antreiber und Ideengeber sei Schneider gewesen.

Ende der Kumpanei

Während F. und B. ihre Aussage machen und Fragen beantworten, blickt Schneider sie durchdringend an, der Gesichtsausdruck halb amüsiert, halb einschüchternd. Immer wieder grinst und feixt Schneider, versucht, Kontakt zu den anderen Angeklagten aufzunehmen. Erst auf einen Hinweis Horstkötters lässt er davon ab.

Beim nächsten Verhandlungstermin wolle er zu einzelnen Themen detaillierter aussagen, hat Schneider angekündigt. Zehn weitere Termine sind bis zum 24. Januar angesetzt. Das Gericht wird klären müssen, ob die Angeklagten eine Ansammlung mehr oder weniger gescheiterter Existenzen sind, die Schneider auf dumme Gedanken brachte. Oder ob sich in Nauen, das ohnehin als rechte Hochburg gilt, eine Gruppe zusammenfand, die nicht vor Brandstiftung zurückschreckte, um ihre Überzeugungen durchzusetzen.

Wie auch immer das Gericht diese Frage beantwortet, dürfte eines sicher sein: Die Zeit der Kumpanei unter den Angeklagten ist vorbei.

Quelle : spiegel.de

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