Britische Regierung jetzt doch für Einwanderung?

  02 Dezember 2016    Gelesen: 598
Britische Regierung jetzt doch für Einwanderung?
Zuerst signalisierte London, trotz Brexit weiter in den EU-Haushalt einzuzahlen. Nun zeigen sich die Briten auch beim brisantesten Thema zu Kompromissen bereit.
Die britische Regierung sendet vor dem geplanten EU-Austritt des Vereinigten Königreichs weitere Signale der Kompromissbereitschaft: Wenn es um die avisierte Beschränkung der Einwanderung solle auf „nationale Interessen“ und die heimische Wirtschaft Rücksicht genommen werden, sagte der für die Austrittsverhandlungen zuständige Minister David Davis vor Unternehmensvertretern in Wales. Erst wenige Stunden vorher hatte Davis im Parlament in London erstmals eingeräumt, dass die Briten nach dem Brexit weiter in den EU-Haushalt einzahlen könnten, wenn das Land im Gegenzug einen möglichst freien Zugang zum EU-Binnenmarkt zugesichert bekomme.

Davis bekräftigte zwar, Großbritannien wolle „die Personenfreizügigkeit, so wie sie bisher gehandhabt wurde, beenden“. Aber er fügte hinzu: „Wir werden das nicht in einer Art und Weise machen, die nationalen und wirtschaftlichen Interessen zuwider läuft.“

„Billige ausländische Arbeitskräfte“

Großbritannien müsse trotz Brexit im globalen Wettbewerb um gute Arbeitskräfte zu den Gewinnern zählen. „Niemand will Personalengpässe in Schlüsselbereichen.“ Der für die Kommunen zuständige Minister Sajid Javid sagte, es dürfe für „die Bauindustrie und keinen anderen Sektor“ schwieriger werden, Arbeitskräfte anzuheuern. Die Baubranche zählt zu den Wirtschaftszweigen in Großbritannien, die besonders stark von Arbeitern aus Ost- und Südeuropa abhängig ist.

Die Worte von Davis und Javid sind das bislang deutlichste Signal, dass die Regierung die Bedeutung von Arbeitnehmern aus anderen EU-Staaten für die britische Wirtschaft anerkennt. Frühere Äußerungen der Regierungschefin Theresa May waren dagegen so interpretiert worden, dass für sie die angestrebte Eindämmung der Einwanderung Priorität gegenüber den Interessen der Wirtschaft habe. Noch im Oktober hatte May die britischen Unternehmen aufgefordert, mehr Briten einzustellen und auszubilden, statt auf „billige ausländische Arbeitskräfte“ zu setzen.

Die neue Tonlage des Brexit-Ministers deutet darauf hin, dass die Regierung in London auf einen „weicheren“ Brexit aus sein könnte als bisher angenommen. Vor allem die Wirtschaft fordert im Interesse des britischen Wohlstands Kompromisse bezüglich des EU-Austritts.

Die Einwanderungsfrage und der Binnenmarktzugang sind die beiden schwierigsten Themen in den bevorstehenden Austrittsverhandlungen zwischen London und Brüssel. Sie hängen eng zusammen, denn die Briten wollen zwar einen möglichst guten Zugang zum Binnenmarkt bewahren. Andererseits wollen sie auch die in den vergangenen Jahren stark gestiegene Zuwanderung aus anderen EU-Staaten beschränken.

Die sogenannte Personenfreizügigkeit zählt jedoch zu den Grundregeln des Binnenmarkts. Und andere europäische Regierungen pochen bisher geschlossen darauf, dass es für Großbritannien keine Ausnahmeregelung geben solle.

Bauern bangen um ihre Ernte

In dieser Woche haben 75 der größten Lebensmittelhersteller und -händler auf der britischen Insel in einem offenen Brief an Premierministerin May darauf hingewiesen, wie wichtig Personal aus anderen EU-Staaten für sie sei: „Der Sektor braucht Zugang zu Arbeitskräften von innerhalb und außerhalb der EU“, heißt es in dem Brief, der unter anderem von der Supermarktkette Sainsbury´s, dem Molkereiunternehmen Dairy Crest und dem Nahrungsmittelhersteller Weetabix unterschrieben wurde.

Der britische Bauernverband warnt vor einem Personalnotstand: Trotz Rekordzahlen bei der Einwanderung vom Kontinent habe es in diesem Sommer und Herbst auf der Insel einen Mangel an kontinentaleuropäischen Saisonarbeitern gegeben. „Es gibt ganz klar eine Krisensituation am Arbeitsmarkt“, sagte Minette Batters, die stellvertretende Präsidentin des Bauernverbands. Es bestehe die Gefahr, dass Früchte und Gemüse im kommenden Jahr auf britischen Feldern verrotteten, weil es zu wenige ausländische Erntehelfer gebe.


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