Auch das Potential einer stark wachsenden jungen Bevölkerung und einer neuen Mittelschicht hebt McKinsey hervor. Die Zeitschrift „Economist“ schrieb von „1,2 Milliarden Opportunitäten“ – so viele Menschen gibt es mittlerweile in Afrika. China hat sich mit Wucht auf den rohstoffreichen Kontinent geworfen, hat Milliarden-Deals im Stil „Rohstoffe gegen Infrastrukturbauten“ vereinbart.
Deutsche Unternehmen halten sich dagegen bisher zurück. Insgesamt hat die deutsche Wirtschaft auf der ganzen Welt fast 1 Billion Euro Direktinvestitionen plaziert – doch nur ein Prozent davon – gut 9 Milliarden Euro – in Afrika. Das ist viel weniger als die chinesischen Direktinvestitionen, die laut Weltbank auf 24 Milliarden Dollar kommen.
Etwas mehr als 800 Unternehmen mit deutscher direkter oder indirekter Mehrheitsbeteiligung sind laut Bundesbank-Statistik auf dem Schwarzen Kontinent aktiv. Zwei Drittel der Investitionen, etwa 6 Milliarden Euro, flossen nach Südafrika, in das einzige industrialisierte Land Afrikas. Am Kap sind etwa 400 deutsche Unternehmen tätig, die großen Automobilbauer wie BMW, Daimler und VW haben dort Fabriken, die meisten Dax-Unternehmen von Bayer bis Siemens haben ebenfalls Produktionsstandorte oder Niederlassungen.
Im Rest Afrikas sind die deutschen Engagements spärlich. 70 Unternehmen in Ägypten haben laut Bundesbank-Statistik etwa 1 Milliarde Euro Direktinvestitionen gebracht. Eine Handvoll Unternehmen wie die BASF-Tochtergesellschaft Wintershall aus der Ölbranche ist in Libyen mit einer Drittel Milliarde Direktinvestitionen tätig; in Marokko, Algerien und Tunesien sind es zusammen etwas mehr als eine halbe Milliarde. Mit der „Arabellion“ und dem folgenden Chaos hat Nordafrika, das zuvor recht stark wuchs, wirtschaftlich stark abgebremst.
Einige der wichtigsten Ölproduzenten Afrikas, die in den Jahren hoher Preise regelrecht boomten, sind wegen des Preisverfalls sogar in eine Rezession gerutscht. Deutsche Unternehmen waren in Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, schon vorher nur wenig präsent. Nur rund 20 deutsche Gesellschaften in Nigeria führt die Bundesbank-Statistik auf, sie haben dort 65 Millionen Euro investiert.
VW produziert in Nigeria und Kenia
Teils ist die Zurückhaltung durch historisch schlechte Erfahrungen begründet. In den siebziger Jahren baute etwa Volkswagen nahe der nigerianischen Hauptstadt Lagos ein Montagewerk. Später war zu lesen, die „schlampige Montage des Käfers“ schade dem Absatz und dem Ansehen des deutschen Autoherstellers. Der Zusammenbruch des Ölbooms in den achtziger Jahren verschlechterte die wirtschaftliche Lage. Und dann kamen noch Probleme mit der Bürokratie und Korruption hinzu: Die Zentralbank stellte sich quer bei der Devisenzuteilung. Ein Beamter soll sogar in großem Stil Gelder abgezweigt haben, erinnert ein Afrika-Experte. Entnervt gab der VW-Konzern in den frühen neunziger Jahren auf.
Doch inzwischen ist er zurück in Nigeria. In Lagos ist wieder ein Werk entstanden, wo Passat und Jetta zusammengeschraubt werden. Der Markt für Neuwagen ist zwar klein, jährlich werden 56 000 Autos produziert und 100 000 Wagen importiert. Nur jeder zwanzigste Afrikaner hat überhaupt ein Auto. Deutsche Neuwagen sind für die allermeisten unerschwinglich, höchstens Gebrauchtwagen deutscher Marken sieht man auf den Straßen. Doch entwickelt sich nach und nach eine Mittelschicht, die deutsche Qualitätsprodukte schätzt. Die Unternehmensberatung PWC schreibt von Schätzungen, dass allein im derzeit 180-Millionen-Menschen-Land Nigeria der Markt für Neuwagen mittelfristig auf eine Million jährlich wachsen könnte.
Einen solchen künftigen Markt wollen sich die deutschen Hersteller nicht entgehen lassen. VW hat nicht nur in Lagos, sondern vor kurzem auch in Kenia ein kleines Werk gestartet. Auch das Pharma- und Medizingerätehersteller B. Braun Melsungen hat seine Investitionen in Kenia gerade stark ausgebaut. „Ostafrika ist stark im Kommen“, sagt Matthias Wachter, Abteilungsleiter im Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der dort für Außenwirtschaftsförderung, Entwicklungszusammenarbeit und Subsahara-Afrika zuständig ist. Kenia sei ganz vorne dabei, sagt er. Insgesamt nennt er Afrika einen „spannenden Markt, die Bevölkerung wächst enorm und das bedeutet viele potentielle Kunden.“
Afrikas Bedeutung bleibt marginal
Es bleibt aber von deutscher Seite noch viel zu tun, um diese Märkte zu erschließen. Eine Studie des Handelsfachmanns Gabriel Felbermayr vom Münchner Ifo-Institut zeigt, wie mäßig erfolgreich das bisherige Engagement war. Afrika habe „für die deutsche Exportwirtschaft nur eine marginale und sogar abnehmende Bedeutung“. Für 23 Milliarden Euro im Jahr exportieren deutsche Unternehmen Güter und Dienstleistungen nach Afrika – das sind nur 2 Prozent ihres Gesamtexports.
Damit steht Deutschland in Afrika auf Rang fünf hinter dem Export aus China, Amerika, Frankreich und Indien. Auch der deutsche Import ist eher bescheiden: Zuletzt kaufte Deutschland aus Afrika Waren für etwa 20 Milliarden Euro, überwiegend Energieprodukte (Erdöl), zudem andere Rohstoffe und Agrarprodukte.
Exportiert werden vor allem Autoteile, hinzu kommen einige Maschinen. Doch verglichen mit chinesischen Produkten sind hiesige Qualitätswaren den meisten Afrikanern zu teuer. Auch ein paar deutsche Bank- und Versicherungsdienstleistungen gehen nach Afrika. Insgesamt sind es aber sehr überschaubare Volumina, nur 2 Prozent des deutschen Gesamtexports. Während die Ausfuhren anderer Länder nach Afrika in den vergangenen zwei Jahrzehnten durchschnittlich um 11 Prozent stiegen, nahm die deutsche Ausfuhr nur um etwa 4 Prozent im Jahr zu. Daher ist der deutsche Marktanteil geschrumpft: von 14 Prozent in den frühen neunziger Jahren auf jetzt 5 Prozent.
Politik soll als „Türöffner“ fungieren
Mehr Unterstützung durch die deutsche Politik wünscht sich die hiesige Wirtschaft. „Der Ruf der Politik nach einem stärkeren Engagement deutscher Unternehmen auf dem afrikanischen Kontinent wird immer lauter, und trotzdem reisen Politiker oftmals – zuletzt auch Kanzlerin Merkel – ohne Beteiligung von Wirtschaftsvertretern dorthin“, moniert Stefan Liebing, Vorsitzender des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft. Die Politik müsse mehr als „Türöffner“ tätig werden. Außerdem fordert Liebing, dass die Instrumente der Außenwirtschaftsförderung stärker auf die afrikanischen Gegebenheiten zugeschnitten werden.
Konkret geht es um Garantieinstrumente für Exporte, Projektentwicklung und Investitionen, bei denen gerade in Afrika hohe finanzielle Risiken eingegangen werden. Auch Ifo-Ökonom Felbermayr mahnt, dass Exportkreditversicherungen des Bundes verbessert werden sollten. Im internationalen Vergleich gebe es viel einfachere und wirkungsvollere Instrumente, sagt Liebing. „Hier ist die Bundesregierung immer noch erstaunlich zögerlich.“ Beobachter sehen, wie gerade die Chinesen diese Strategie verfolgen. Deren politische Flankierung und Finanzierungsangebote sind oft schlagende Argumente.
„Wir brauchen einen Paradigmenwechsel“
Andererseits hat BDI-Mann Wachter den Eindruck, dass manche Regierungen gerade in Ostafrika gern stärker mit deutschen Partnern zusammenarbeiten möchten. Denn chinesische Unternehmen bringen bei Bauprojekten sehr häufig ihre Arbeiter mit. Für die Afrikaner gibt es somit keinen direkten Beschäftigungseffekt.
Wachter ist überzeugt, dass Deutschland mit in der Verantwortung ist, Afrika wirtschaftlich voranzubringen. „Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in der Entwicklungspolitik, hin zu mehr nachhaltiger Investitions- und Arbeitsplatzförderung.“ Die bisherige Entwicklungshilfe sei größtenteils verpufft. Wenn es nicht bald gelänge, Afrika zu stabilisieren und einen nachhaltigen Aufschwung anzuschieben, werde die Migration stark anschwellen, prophezeit er. „Dann werden wir noch ganz andere Wanderungsbewegungen als im vergangenen Jahr erleben.“
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