Deutschlands Terrorfürst

  24 Dezember 2016    Gelesen: 382
Deutschlands Terrorfürst
Prediger wie der Iraker Abu Walaa werben mitten in Deutschland für den bewaffneten Dschihad. Auch Anis Amri hatte Kontakt zu seinen Leuten. Sie sind schwer zu fassen.
Wenn Abu Walaa über das Internet zu seinen Anhängern sprach, sah man ihn immer nur von hinten und höchstens einen kleinen Teil seines Gesichts. Manchmal konnte man ein Ohr erkennen, manchmal den Bart, der über sein weites Gewand hinausragte. Abu Walaa heißt eigentlich Ahmad Abdulaziz Abdullah A. und predigte von Hildesheim aus über den Islam und über das Leben zwischen den Kuffar, den Ungläubigen. Auch der mutmaßliche Attentäter von Berlin, Anis Amri, soll sich im Umfeld Abu Walaas bewegt haben.

Walaa gehört zu den Hardlinern der Salafistenszene. Laut Bundesanwaltschaft bekennt er sich offen zum Islamischen Staat. Walaas Ziel sei es gewesen, Personen an den IS zu vermitteln. Deswegen wurden die Räume seines Vereins "Deutschsprachiger Islamkreis" im August durchsucht.

Neben einer Moschee soll es einen Raum gegeben haben, in dem keine technischen Geräte zugelassen waren. Dort instruierte Walaa Ausreisewillige, wie sie nach Syrien kommen können, um sich dem Islamischen Staat anzuschließen. So erzählte es einer der Ausgereisten später der ARD. Als er später vor dem IS fliehen wollte, so der Zeuge, habe man ihn wegen Spionage angeklagt. Nur weil sich Abu Walaa für ihn eigesetzt habe, wurde er nicht hingerichtet. Auch beim Anschlag auf einen Sikh-Tempel im April in Essen führt eine Spur zu Abu Walaa.

Generalbundesanwalt hat nur wenig in der Hand

Walaa gilt manchen Beobachtern als höchster Vertreter der Terrororganisation in Deutschland. Auch Pierre Vogel, der redseligste unter den deutschen Salafisten, rückt Walaa in die Nähe des IS. Vogel selbst nennt den IS den "Idiotischen Staat" und warnte vor seinen Vertretern in Hildesheim – ein unverhohlener Hinweis auf Abu Walaa. Dieser verstand die Aussage genau so, wie sie gemeint war, und giftete gegen Vogel und seine Freunde zurück. "Möge Allah sie alle erniedrigen", sagt er kurz nach der Razzia gegen ihn. Ausgetragen wird dieser Kleinkrieg zwischen religiösen Fanatikern zum großen Teil öffentlich via Youtube.

Wer sich die Videos anguckt, kann sich amüsieren über Vogels Prolligkeit oder Walaas Selbstverliebtheit. Andere fühlen sich von ihrem Selbstbewusstsein und ihrem religiösen Wissen angezogen. Die Verfassungsschutzbehörden sehen beide im Zusammenhang mit Ausreisen von potenziellen Terroristen.

Auf wie viele dieser Reisen Walaa Einfluss hatte, lässt sich kaum abschätzen. Die Bundesanwaltschaft hat bislang wenig gegen ihn in der Hand. Bei der Festnahme teilte sie mit, er habe "nachweislich jedenfalls einen jungen Mann samt seiner Familie" zum IS geschleust. Viel ist das nicht.

Schlüssel zur Clique ist ein Glaubensbekenntnis

Wird Walaa nur deswegen verurteilt, entgeht er möglicherweise den Strafen für viele weitere geschleuste IS-Kämpfer und Spenden an den IS. Die Sicherheitsbehörden warten darum oft sehr lange, bis sie einen Verdächtigen festnehmen und versuchen lieber, ihm weitere Straftaten nachzuweisen. Eine Methode dabei ist die Überwachung von Kommunikation. Wenn die IS-Unterstützer vorsichtig genug sind, lässt sich auf diesem Wege aber wenig erreichen. Dann bleiben nur die Aussagen von Ausgereisten, die sich nachträglich vom Salafismus abwenden und gegen ihren ehemaligen Mentor aussagen.

Sicher ist, dass die Netzwerke viel weiter reichen, als das, was auf Youtube zu beobachten ist oder ab und zu in den Medien auftaucht. "Bis Ende des Jahres 2015 lagen Erkenntnisse zu mehr als 780 Personen vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen", heißt es im Verfassungsschutzbericht des Bundes. Fast jede Woche lässt die Bundesanwaltschaft mutmaßliche Unterstützer des IS oder anderer dschihadistischer Organisationen festnehmen oder erhebt Anklage.

Was man in den Terrorprozessen gegen Kämpfer des IS oder anderer Terrororganisationen in Syrien hören kann, entspricht fast immer dem gleichen Muster: Es sind junge Männer mit Brüchen in der Biographie und mit wenig Erfolg im Leben. Sie suchen nach einem Umfeld, in dem sie nicht als Versager wahrgenommen werden und finden es bei den Salafisten: Ein Glaubensbekenntnis reicht, um in der neuen Clique aufgenommen zu werden. In manchen dieser Cliquen werden die Attentäter und Kämpfer verehrt, die mit vollem Einsatz gegen die Ungläubigen kämpfen. Der Schritt, selbst zum Attentäter zu werden, liegt dann nahe.

In italienischem Gefängnis radikalisiert?

Was von seiner Biografie bislang bekannt ist, enthält viele Hinweise auf Kriminalität. Ein Kiffer, Dealer, Räuber und Brandstifter war Amri laut Berichten verschiedener Medien, in Italien soll er vier Jahre im Gefängnis gesessen haben. Passt das zum Bild eines Attentäters mit religiösen Motiven, wo doch fromme Muslime Drogen ablehnen? Absolut. Denn gerade wer das Gefühl hat, viel gesündigt zu haben, kann dazu neigen, diese Sünden durch eine große Tat wieder wettzumachen.

Wie groß war der Einfluss der salafistischen Netzwerke auf Anis Amri? Laut "Spiegel" hielt er sich seit 2015 zeitweilig bei Boban S. in Dortmund auf, einem 36-jährigen Serben, der im November gemeinsam mit Abu Walaa festgenommen wurde. Auch in Berlin verkehrte er offenbar in salafistischen Moscheegemeinden. Noch nach der Tat wurde er vor einer solchen Gemeinde gefilmt.

Seine Radikalisierung hat aber möglicherweise schon stattgefunden, bevor er nach Deutschland kam. Im italienischen Knast sei er erstmals mit radikalisierten Arabern zusammengekommen, heißt es. Sie könnten ihm ihre gewaltverherrlichende Version des Islam nahegebracht haben. Das wäre nichts Ungewöhnliches. Auch in Deutschland sind Gefängnisse oft der Ort, an dem gescheiterte Jugendliche zum ersten Mal in Kontakt mit Dschihadisten kommen.

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