Aber mit dem Frieden ist es jetzt auch schon wieder vorbei. Angela Merkel weiß das. Die Aufarbeitung des Anschlags von Berlin steht erst am Anfang, genauso die Debatte über mögliche Konsequenzen. Die Menschen im Land, vor allem ihre politischen Gegner, werden genau hinhören, was die Kanzlerin in ihrer anstehenden Neujahrsansprache zu sagen hat - und was nicht.
2017 wird Merkels Schicksalsjahr, ihre härteste Bewährungsprobe. Schon vor dem 19. Dezember ahnte die Regierungschefin, dass der kommende Wahlkampf schwieriger als alle bisherigen werden würde. Doch nun, nach der Terrorfahrt des Tunesiers Anis Amri, dürfte die Auseinandersetzung bis zur Bundestagswahl im September noch schärfer, noch polarisierender, noch schmutziger werden.
Das Ringen um den richtigen Kurs
Angela Merkel wird im Zentrum dieser Auseinandersetzung stehen. Der Vertrauensvorschuss, der bei den letzten Wahlen zum Sieg gereicht hat, ist aufgebraucht, bei ihrer vierten Kandidatur scheiden sich an ihr die Geister.
Es ist eine Rolle, die der CDU-Chefin noch nie behagt hat, geht sie dem politischen Nahkampf doch wenn möglich stets aus dem Weg. Das wird im nächsten Jahr kaum mehr möglich sein. Die zurückliegenden Monate, das Ringen um den richtigen Kurs in der Flüchtlingspolitik, die Anfeindungen vom rechten Rand werden nur ein Vorgeschmack darauf gewesen sein, was vor Merkel liegt.
Natürlich weiß die Kanzlerin: Die "Merkel muss weg"-Rufer wird sie nicht mehr für sich gewinnen. Aber auch jenseits des AfD-Klientels gibt es viele, die die Regierungschefin persönlich in der Verantwortung sehen, dass nun auch Deutschland vom Terror heimgesucht wurde. Da hilft es nicht, dass Anis Amri gar nicht im Zuge der Willkommenspolitik Merkels nach Europa kam. Es hilft auch nicht, dass die einstige Flüchtlingskanzlerin ihren Kurs in den vergangenen Monaten nach und nach korrigiert und das Asylrecht verschärft hat.
Anschlag setzt Merkel unter Druck
Wäre Deutschland verschont geblieben von einem schweren islamistischen Angriff, Merkel hätte sich womöglich durchwinden können bis zur Wahl, ohne ihren Kritikern zu große Zugeständnisse machen zu müssen. Selbst im Dauerzoff mit der CSU standen die Zeichen zuletzt ja auf Versöhnung.
Der Angriff auf den Berliner Weihnachtsmarkt aber setzt Merkel unter Druck. Getrieben von der AfD fordert CSU-Chef Horst Seehofer seit dem Anschlag auf allen Kanälen eine Neujustierung der Flüchtlings- und Sicherheitspolitik. Die Innenexperten aller Parteien diskutieren laut über konsequentere Abschiebungen, Transitzentren, Videoüberwachung, elektronische Fußfesseln für islamistische Gefährder.
Es ist nicht so, dass sich Merkel gegen diese Debatten grundsätzlich sträuben würde. Manches ist ohnehin bereits in Arbeit: Innenminister Thomas de Maizière verweist auf seinen Gesetzentwurf, der Abschiebehaft erleichtern und die Duldung abgelehnter Asylbewerber strenger regeln soll. Anderes scheiterte bisher am Widerstand in der Koalition: So sträubt sich die SPD bisher gegen Transitzentren in Grenznähe.
Und vieles muss angesichts des Falls Amri tatsächlich auf den Prüfstand: Wie konnten die Behörden den Mann aus den Augen verlieren? Wie konnte er überhaupt so lange hier geduldet werden? Lief bei den Ermittlungen nach dem Anschlag etwas schief? Wie konnte Amri trotz Fahndung nach Italien entkommen?
Viele Fragen sind offen, und nicht nur die, die Merkels Politik bislang ohnehin skeptisch gegenüber standen, wittern ein fatales Behördenversagen. Dass am Ende erst eine Zufallskontrolle in einem Mailänder Industrievorort die Flucht Amris stoppte, dürfte das beunruhigende Gefühl noch verstärken.
Vorboten eines Kurswechsels?
Schwierig aber für Merkel ist: Es widerspricht ihrem Stil, in Aktionismus zu verfallen. Nach den - im Vergleich zu Berlin glimpflich verlaufenen Anschlägen von Würzburg und Ansbach - war die Kanzlerin mit einem Neun-Punkte-Plan an die Öffentlichkeit getreten, der auf den zweiten Blick kaum Neues enthielt. Der Auftritt diente der Beruhigung, und das funktionierte. Die CSU zürnte zwar, weil Merkel es wagte, ihr "Wir schaffen das"-Credo zu wiederholen. Aber den Satz entsorgte sie später still und leise.
Nun aber weiß Merkel, dass sie wirklich liefern muss. Nach dem Tod des Attentäters hat die Kanzlerin versprochen, "jeden Aspekt des Falles" zu analysieren, die Ergebnisse sollen "baldmöglichst" vorliegen. "Dort, wo Bedarf für politische oder gesetzliche Veränderungen gesehen wird, werden wir notwendige Maßnahmen innerhalb der Bundesregierung zügig verabreden und umsetzen."
Sind das die Vorboten eines echten Kurswechsels? Angela Merkel würde ihn niemals als solchen einräumen. Aber dass die CDU-Chefin auch "politische Veränderungen" nicht ausschließt, zeigt: Merkel stellt sich darauf ein, im Wahljahr eine neue Rolle spielen zu müssen.
Der "humanitäre Imperativ" war gestern, 2017 wird Merkel nicht mehr die Flüchtlingskanzlerin sein, sondern die Sicherheitskanzlerin. Sie muss den "starken Staat" verkörpern, den sie jetzt beschworen hat, allein schon, um sich die Unterstützung der eigenen Reihen zu sichern.
Ob ihr die Wähler diese Rolle abnehmen? Ob sie damit jene verschreckt, für die sie die CDU in den vergangenen Jahren erst wählbar gemacht hat? Im Frühjahr sind drei Landtagswahlen - die ersten Tests in Merkels Schicksalsjahr.
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