Die emotionale Rückkehr der Anna Veith

  28 Dezember 2016    Gelesen: 1505
Die emotionale Rückkehr der Anna Veith
Anna Veith war die dominierende Skirennläuferin. Dann stürzte sie und verletzte sich schwer. Nun ist die Österreicherin zurück auf der Skipiste und fährt Weltcup-Rennen. Für Experten ist das ein kleines Wunder.
Der Arbeitstag, der erste auf der Rennpiste seit 646 Tagen, endet früh für die zweimalige Gesamtweltcup-Siegerin. Anne Veith war nur noch Zuschauerin, als die Amerikanerin Mikaela Shiffrin am Dienstag am Semmering zum zweiten Mal in ihrer Karriere in einem Weltcup-Riesenslalom triumphierte. Um 1,20 Sekunden hatte sie die Qualifikation für den zweiten Durchgang verpasst, sich im Klassement hinter ihrer österreichischen Mannschaftskollegin, der Slalom-Spezialistin Bernadette Schild, und vor der zehn Jahre jüngeren Schweizerin Camille Rast eingereiht – auf Position 49. Aber weder die Zeit noch die Plazierung spielten an diesem besonderen Tag eine große Rolle. Wesentlich wichtiger war für Anna Veith, „zu wissen, dass es körperlich funktioniert“.

Der Salzburgerin, einst die dominierende Skirennläuferin der Welt, war klar gewesen, dass sie nicht ganz vorne würde mitmischen können. Sie hatte sich keine großen Ziele gesetzt 14 Monate nach ihrem schweren Sturz. „Das Ergebnis ist zweitrangig“, sagte sie in einem Interview mit einer Schweizer Zeitung. Über die sozialen Medien, über die Anna Veith ihre Rückkehr in den Sport verkündet hatte, teilte sie mit, sie wolle „ein paar lässige Schwünge in den Schnee zaubern, nicht mehr und nicht weniger“. An die grandiosen Erfolge, Olympia-Gold und WM-Titel unter ihrem Mädchennamen Fenninger, verschwendete sie keinen Gedanken.

Für Experten ist es ein kleines Wunder, dass die Österreicherin überhaupt wieder Leistungssport betreiben kann. Im Oktober 2015 war sie in Sölden bei der Vorbereitung auf den Weltcup-Start gestürzt. Dabei rissen das vordere Kreuzband des rechten Knies, das rechte Seitenband, Innen- und Außenmeniskus sowie die Patellasehne. Die Prognosen der Ärzte sind bei solch komplexen Verletzungen nicht allzu optimistisch, auch für Anna Veith waren sie es nicht.

Die Reha verlief wie erwartet mit vielen Rückschlägen. Die 27 Jahre alte Salzburgerin war ein paar Mal nahe dran, alles hinzuwerfen. Sie heiratete, sie entschied sich dafür, ihren Mädchennamen abzulegen – allen Marketing-Prinzipien zum Trotz, und sie schrieb ein Buch, in dem sie Einblick in ihre Gedanken- und Gefühlswelt gewährte, von Zweifeln berichtete. Es war fast so, als ob Anna Veith abschließen würde mit diesem alten Leben, mit der erfolgreichen Ski-Karriere; zumindest beschäftigte sie sich mit der Möglichkeit, sich neue Ziele setzen zu müssen. Sie wolle nicht immer in der Vergangenheit suchen und „mit dem Kopf dem Alten nachhängen“, sagte Anna Veith im vergangenen Herbst, als sie nur wegen eines Sponsorentermins nach Sölden gekommen und noch vor dem Weltcup-Auftakt wieder abgereist war.

Damals schien ein Comeback in weiter Ferne, aber im Dezember habe sie „deutliche Fortschritte im Training gemacht“, so dass das zunächst anvisierte Ziel, in Semmering, wo an diesem Mittwoch noch ein zweiter Riesenslalom und am Donnerstag ein Slalom stattfinden, wieder an den Start zu gehen, immer realistischer wurde. Als die Entscheidung gefallen war am ersten Weihnachtsfeiertag, postete Anna Veith auf Facebook: „Ich kann’s kaum erwarten.“ Die 431 Tage zwischen dem Sturz im Training und der Rückkehr in den Weltcup waren begleitet von „Schmerz, Angst, Enttäuschung, Überwindung, Arbeit, Herausforderung, Mut“.

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Die genesene Anna Veith spürt das „Renn-Gen“ noch in sich. Wenn sie am Start steht, will sie nicht nur ein paar lässige Schwünge in den Schnee zaubern, sondern so schnell wie möglich ins Ziel kommen. Deshalb hat sich die Österreicherin am Dienstag zunächst vor allem über einen Stein im oberen Teil des Kurses geärgert, der die Kante ihres Skis ruiniert hat. Auf der eisigen Piste des Zauberberges fehlte dann nicht nur die Rennpraxis, sondern auch noch der Grip. „Das war nicht ganz so, wie ich mir das vorgestellt habe. Aber ich bin froh, dass ich wieder dabei bin. Es war wichtig, den ersten Schritt zu machen“, sagte Anna Veith im Zielraum.

Dass die sensible Athletin sogar ein paar Tränen verdrückte, hatte dann doch wohl weniger mit dem Malheur zu tun, sondern mit den Emotionen, die sie nach dem langen Rückweg im Ziel packten. Als sie morgens an der Strecke angekommen war, sei es so gewesen, „wie wenn man heimkommt“. Für Anna Veith ist wie einst für Anna Fenninger die Rennpiste doch wie ein Wohnzimmer. Und vielleicht darf sie sich dort auch bald wieder länger aufhalten – nicht nur einen Durchgang lang.


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