Agieren in der Grauzone

  29 Dezember 2016    Gelesen: 728
Agieren in der Grauzone
Zahlreiche ausländische Nichtregierungsorganisationen sind in China aktiv. Ein neues Gesetz stellt deren Arbeit nun unter Polizeiaufsicht. Auch deutsche Stiftungen sind davon betroffen. Es herrscht große Unsicherheit, was das für sie bedeutet.
Sie betreiben Heime für Behinderte und Schulen für Wanderarbeiterkinder, beraten bei der Altenpflege, engagieren sich im Umweltschutz, organisieren Fachkonferenzen und schulen Anwälte. Ausländische Initiativen, Stiftungen und karitative Organisationen auch aus Deutschland sind in China in vielen gesellschaftlichen Bereichen aktiv. Ob sie ihre Projekte weiterführen, ja ob sie überhaupt in China bleiben dürfen, ist für viele von ihnen jetzt fraglich.

Am 1. Januar tritt das erste chinesische Gesetz über die ausländischen Nichtregierungsorganisationen in Kraft, und viele Organisationen, die schon seit Jahren in China tätig sind, fürchten um ihre Zukunft in China, weil sie den neuen Vorschriften nicht genügen.

Das neue Gesetz wird von Seiten der chinesischen Regierung als Fortschritt präsentiert. Endlich werde die Arbeit der ausländischen Organisationen in China auf eine rechtliche Basis gestellt. Nach Angaben der chinesischen Regierung sind in China 7000 solcher Organisationen aktiv, die nur zum Teil registriert seien. Das Gesetz biete eine Rechtsgrundlage für ihre Arbeit in China.

Kritiker sehen dagegen in dem Gesetz einen weiteren Schritt der Regierung Xi Jinping, die Nichtregierungsorganisationen zu kontrollieren und ihre Arbeitsmöglichkeiten einzuschränken. Besonders Organisationen, die sich in politisch brisanten Bereichen wie Rechtsberatung, Rechtshilfe oder Menschenrechtsfragen engagieren, sind im Visier der Behörden. In der staatlichen Propaganda werden solche Organisationen als Agenten „feindlicher Mächte“ dargestellt, die nur zum Ziel hätten, westliche Werte in China zu verbreiten, Unruhe in China zu stiften und die Regierung zu stürzen.

Das neue Gesetz schreibt vor, dass sich alle ausländischen Nichtregierungsorganisationen (NGOs) in China neu registrieren lassen und unter die Aufsicht einer chinesischen Organisation oder Behörde stellen müssen. Oberaufsicht über die NGOs hat von nun an die Polizei und nicht mehr das Innenministerium. Beim Polizeiministerium ist auch ein neues „NGO-Büro“ angesiedelt, das, so Pekinger NGO-Aktivisten, mit der Koordination und Umsetzung der neuen Bestimmungen derzeit anscheinend überfordert ist.

So hat die chinesische Regierung erst vor wenigen Tagen detaillierte Ausführungsbestimmungen veröffentlicht, darunter eine Liste mit Behörden und Organisationen, die überhaupt als Partner für die ausländischen Organisationen in Frage kommen. Darunter sind Ministerien wie das der Erziehung und der Justiz und staatliche Verbände wie der Frauenverband und die Einheitsgewerkschaft. Als Betätigungsfelder sind in den Bestimmungen Wirtschaft, Erziehung, Wissenschaft, Kultur, Gesundheit, Sport, Umweltschutz, Armutsbekämpfung und Katastrophenhilfe und andere Gebiete aufgelistet. Unter diesen Bereichen sind konkrete Aktivitäten subsumiert, die erlaubt oder von der Regierung erwünscht sind.

Verbot politischer Aktivitäten

Das neue Gesetz führt auch auf, was künftig verboten ist. Ganz klar ausgesprochen ist ein Verbot politischer Aktivitäten. Die Organisationen dürften nicht die staatliche Einheit Chinas und die nationale Sicherheit gefährden. Außerdem dürften sie nicht „die öffentlichen Interessen der Gesellschaft Chinas schädigen“ oder entsprechende Aktivitäten finanzieren und auch keine illegalen religiösen Aktivitäten organisieren oder finanzieren. Besteht der Verdacht eines Verstoßes gegen diese Bestimmungen, gibt das neue Gesetz der Polizei das Recht, jederzeit die Büros der Organisation zu durchsuchen, Einzelpersonen, die mit den beanstandeten Projekten befasst sind, zu verhören, Schriftstücke, Dokumente und Vermögenswerte zu beschlagnahmen. Bürgerrechtler weisen darauf hin, dass die Verbotsliste sehr vage und weit interpretierbar ist. So ist die „Gefährdung der nationalen Sicherheit“ ein weit dehnbarer Begriff, der von den chinesischen Sicherheitsbehörden immer bemüht wird, wenn sie gegen Oppositionelle vorgehen. Auch der Tatbestand der „Gefährdung der nationalen Einheit“ könnte schon bei Projekten mit Minderheiten wie Tibetern und Uiguren bemüht werden. Unklar ist auch, was genau als „religiöse Aktivitäten“ angesehen wird und ob allein schon die Tatsache, dass eine religiöse Organisation oder Kirche eine NGO in China betreibt, gegen das Gesetz verstößt. Europäische Diplomaten in Peking beklagen, dass sie auf entsprechende Fragen keine klaren Antworten bekommen hätten.

Vertreter von NGOs in China, die sich schon vor der Veröffentlichung der Liste um einen chinesischen Partner bemüht haben, berichten, es sei schwer, Partnerorganisationen für die Registrierung zu finden, weil die chinesischen Stellen davor zurückschreckten, für ausländische Organisationen verantwortlich zu sein, die potentiell als Unruhestifter gelten und der chinesischen Dachorganisation politische Probleme bereiten könnte.

„Wir wissen noch nicht, ob und wie wir uns registrieren können“, sagt ein Vertreter einer deutschen Organisation in Peking. Er befürchtet, dass seine Organisation, die karitative Projekte auf dem Land unterstützt, sich in einer Grauzone befinden wird und möglicherweise ihre Arbeit in China einstellen muss. Die Vertreterin einer kanadischen Nichtregierungsorganisation, die Mädchen auf dem Land zur Schulbildung verhilft, sagt, dass sie sich wegen der Unsicherheit über die künftige Entwicklung entschlossen hat, ihre Vereinigung ganz einer chinesischen Wohltätigkeitsorganisation anzuschließen, damit aber die Kontrolle über die Verwendung ihrer Spendengelder aufgeben muss. Andere Organisationen wollen ausweichen und erst einmal abwarten, wie das Gesetz konkret angewandt wird.

Deutsche parteinahe Stiftungen sind optimistisch

Die deutschen parteinahen Stiftungen, die in Peking vertreten sind, geben sich optimistisch, dass sie weiter in China arbeiten können, einige von ihnen sind bereits lange mit chinesischen Partnerorganisationen verbunden. So arbeitet etwa die Hanns-Seidel-Stiftung mit der Parteihochschule und die Konrad-Adenauer-Stiftung mit der Chinesischen Akademie für Sozialwissenschaften zusammen.

Trotzdem ist nicht ganz klar, ob und wie das Verbot politischer Aktivitäten auf die politischen Stiftungen, auch anderer Länder, angewandt wird und ob das Auswirkungen auf ihre künftige Arbeit haben wird. Schon jetzt sei zu beobachten, dass sich viele Stiftungen von politisch brisanten Themen, die sie früher noch aufgegriffen haben, fernhielten, sagt ein deutscher NGO-Mitarbeiter in Peking.

Vor Inkrafttreten des Gesetzes haben einige ausländische Organisationen ihre Projekte in China bereits zurückgefahren oder beendet. Einige wollen nach Hongkong ausweichen. Das Rechtsstaatsprogramm der amerikanischen Anwaltsvereinigung hat seinen Sitz bereits nach Hongkong verlegt. Andere wie eine kleine kirchliche NGO, die in Hongkong registriert ist, will lieber gar nicht mehr in Erscheinung treten und kleine Projekte durch Privatpersonen finanzieren lassen. Gleichzeitig haben etliche chinesische Initiativen und Vereinigungen, die mit ausländischen Gruppen in Projekten zusammenarbeiten, bereits signalisiert, dass sie sich aus der Zusammenarbeit zurückziehen wollen, weil sie Ärger mit den Behörden und mehr Kontrolle befürchten.


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