Was bringen verkürzte Asylverfahren?

  07 Januar 2017    Gelesen: 491
Was bringen verkürzte Asylverfahren?
Die Silvesternacht hat die Debatte über sichere Herkunftsländer wiederbelebt. Gestritten wird darüber, ob Deutschland wirklich sicherer wäre, wenn die Rechte von Asylbewerbern aus Nordafrika eingeschränkt werden.
Abgeräumt, so sah es im Sommer aus. Die Große Koalition fand im Bundesrat nicht die nötige Mehrheit, um die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern zu erklären. Doch nach der jüngsten Silvesternacht in Köln ist diese Maßnahme wieder Thema. Winfried Kretschmann, grüner Ministerpräsident Baden-Württembergs, nannte "die kriminelle Energie", die von "Gruppierungen junger Männer aus diesen Staaten" ausgehe, bedenklich. Sie müsse mit aller Konsequenz bekämpft werden.

Nach dem Jahreswechsel hatte die Bundespolizei von rund 2000 "fahndungsrelevanten" Personen berichtet, die in Nordrhein-Westfalen unterwegs gewesen seien – fast ausschließlich junge Männer aus Algerien, Marokko und Tunesien. Bundes- und Landespolizei erteilten rund 1000 Platzverweise und nahmen in Hunderten Fällen Personalien auf, weil von den Männern eine "aggressive Grundstimmung" ausgegangen sei. Die Angst, die massenhaften sexuellen Übergriffe des Vorjahres könnten sich wiederholen, war groß.

Zwar gilt für Flüchtlinge aus den Maghreb-Staaten, was auch für Flüchtlinge aus allen anderen Ländern gilt: Die große Mehrheit dieser Menschen ist friedliebend und begeht keine Straftaten. Bei Migranten aus Nordafrika liegt laut einer Statistik des Bundeskriminalamtes aber im Vergleich zu Migranten aus anderen Ländern eine höhere Kriminalitätsrate vor.

Kretschmann vom Realo-Flügel der Grünen zeigte sich schon früher offen für eine Einstufung dieser Länder als "sicher". Damit die Reform, die die Große Koalition im Bundestag bereits beschlossen hat, in Kraft treten kann, ist aber die Zustimmung zweier weiterer Länder mit grüner Regierungsbeteiligung nötig. Nach der Silvesternacht und Kretschmanns jüngsten Äußerungen steigt der Druck.

Einstufung verkürzt Asylverfahren und beschränkt die Bewegungsfreiheit

Angesprochen auf den Vorstoß seines Parteikollegen Kretschmanns zu sicheren Herkunftsstaaten, sprach Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter im Interview mit n-tv.de trotzdem von "reiner Symbolpolitik". Der migrationspolitische Sprecher, Volker Beck, sagte: "Das Instrument der sogenannten sicheren Herkunftsstaaten ermöglicht weder schnelle Abschiebungen, noch verhindert es die Begehung von Straftaten." Haben Hofreiter und Beck Recht? Oder blockieren die Grünen ein Instrument, das für mehr Sicherheit sorgen könnte?

Zunächst einmal würde die Einstufung als "sicher" die meist aussichtslosen Asylverfahren von Menschen aus den Maghreb-Staaten beschleunigen. Die Anerkennungsquoten lagen in den vergangenen Monaten bei Algerien mit 2,7 Prozent, Marokko mit 3,5 Prozent und Tunesien mit 0,8 Prozent auf sehr niedrigem Niveau. Die meisten Flüchtlinge aus diesen Ländern kommen, weil sich ihre Heimat nach der arabischen Revolution nicht so verändert hat, wie sie es sich erhofft haben. Politische Verfolgung ist der Ausnahmefall. Die Asylverfahren dauerten im Schnitt in der Regel dennoch rund ein Jahr (Stand Sommer 2016).

Wären die Maghreb-Staaten als "sicher" eingestuft, könnte man Anträge von Personen aus diesen Ländern Vorrang vor denen aus anderen Ländern gewähren und sie relativ schnell als "offensichtlich unbegründet" ablehnen. Menschen aus sicheren Herkunftsländern unterliegen zudem unbefristet der Residenzpflicht und müssen in Flüchtlingsunterkünften wohnen, je nach Bundesland in speziellen Einrichtungen für Personen mit geringer Bleibeperspektive.

Ist der Asylantrag abgelehnt worden, bleibt Personen aus sicheren Herkunftsländern zudem nur eine Woche statt einem Monat, bis sie ausreisen müssen. Eingeschränkt sind auch die Möglichkeiten, gegen das Ergebnis des Asylverfahrens zu klagen. Die Zeit, in der das möglich ist, halbiert sich auf eine Woche.

Entscheidend sind Rücknahmeregelungen

Derzeit halten sich rund 21.000 Algerier, 76.000 Marokkaner und 33.000 Tunesier in Deutschland auf. Ausreisepflichtig sind trotz der geringen Anerkennungsquote aber nur knapp 10.000 von ihnen. Mit schnelleren Asylverfahren könnte diese Zahl entsprechend schneller steigen. Das heißt allerdings noch nicht, dass diese Personen auch wirklich das Land verlassen.

Oft fehlen Papiere, oft weigern sich die Heimatländer, die Menschen zurückzunehmen. Hinzu kommen diverse andere Abschiebehindernisse. Von Januar bis November 2016 wurden nur 257 Menschen aus Algerien, 208 Menschen aus Marokko und 142 Menschen aus Tunesien abgeschoben. Selbst verkürzte Asylverfahren bringen unter Sicherheitsgesichtspunkten wenig, wenn die Leute nach Abschluss trotzdem im Land bleiben.

Die Bundesregierung hat mit den Maghreb-Ländern aus diesem Grund Rücknahmeregelungen ausgehandelt. Die haben zunächst allerdings nichts mit dem Status als sicheres Herkunftsland zu tun. Auch mit Afghanistan gibt es so ein Abkommen.

Der Fall Anis Amri demonstriert, dass auch diese Vereinbarungen nicht wie erhofft wirken. Der Asylantrag des Berlin-Attentäters wurde als "offensichtlich unbegründet" abgelehnt. Sein Heimatland Tunesien, mit dem es ein Rücknahmeabkommen gibt, verweigerte die Abschiebung, obwohl Amri nicht nur ein Krimineller war, sondern vorübergehend auch als islamistischer Gefährder eingestuft wurde. Amri hatte keine gültigen Papiere. Bis Tunis seine Staatsbürgerschaft anerkannte und die notwendigen Ersatzpapiere eintrafen, vergingen Monate. Mitunter dauert dies bei strittigen Fällen mehr als ein Jahr.

Fragen jenseits der Effektivität

Unter Sicherheitsgesichtspunkten bringt der Status "sicher" nur etwas, wenn er mit konsequenteren Abschiebungen einhergeht. Indirekt räumt das auch das CDU-geführte Innenministerium so ein: "Eine Beschleunigung des Asylverfahrens, die mit der Einstufung als sicherer Herkunftsstaat erreicht werden kann, kann natürlich auch mit Blick auf schnelle Durchsetzung der Ausreisepflicht von kriminellen Personen und sogenannten Gefährdern relevant sein", heißt es dort auf eine Anfrage von n-tv.de. Das Siegel "sicher" könnte auch dazu führen, dass sich weniger Menschen aus diesen Ländern auf den Weg nach Deutschland machen. Die Zahlen sind bereits im vergangenen Jahr stark gesunken.

Unabhängig von der Effektivität des Instrumentes "sichere Herkunftsländer" für die innere Sicherheit stellt sich aber noch eine andere Frage: Was hat der Wunsch nach mehr Sicherheit in Deutschland mit der asylrelevanten Sicherheitslage in Algerien, Marokko und Tunesien zu tun?

"Als sicheren Herkunftsstaat definiert das Gesetz Länder, von denen sich aufgrund des demokratischen Systems und der allgemeinen politischen Lage nachweisen lässt, dass dort generell keine staatliche Verfolgung zu befürchten ist und dass der jeweilige Staat grundsätzlich vor nichtstaatlicher Verfolgung schützen kann", heißt es auf der Webseite des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge. Zwar handelt es sich bei der Mehrzahl der Migranten aus den Maghreb-Staaten um Menschen, die vor Armut und Perspektivlosigkeit fliehen. Misshandlungen in Gefängnissen, Illegalität von Homosexualität, beschränkte Meinungsfreiheit - politische Verfolgung existiert aber trotzdem. Daran hat sich in der jüngsten Silvesternacht nichts geändert.

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