Kiffen hat Konjunktur

  10 November 2015    Gelesen: 671
Kiffen hat Konjunktur
"Deutschlands härtester Jugendrichter" ist für die Legalisierung von Cannabis. Die Fronten dieser Debatte verlaufen ungewöhnlich.
Die Andeutungen und Halbsätze begleiten Andreas Müller seit mehr als zehn Jahren. Ob der nicht selber...? So, wie der...? Früher gab es noch laute Anschuldigungen: "Dieser Mensch ist eine Gefahr für unsere Kinder!" So sagte es ein CDU-Abgeordneter im Jahr 2002, als der Brandenburger Richter Müller zum ersten Mal öffentlich für die Legalisierung von Cannabis eintrat. Jetzt, 13 Jahre später, hat er ein Buch mit dem Titel "Kiffen und Kriminalität - Der Jugendrichter zieht Bilanz" veröffentlicht. Die Reaktionen sind weit weniger drastisch als 2002.

Das liegt daran, dass die Legalisierungsdebatte in den vergangenen Jahren in Deutschland gewaltig an Schwung gewonnen hat. Müller ist nicht der einzige Jurist, der sich für eine Legalisierung einsetzt. Mehr als hundert deutsche Strafrechtsprofessoren unterzeichneten kürzlich eine Petition, die die Entkriminalisierung von Cannabis forderte. Die Prohibition sei weltweit gescheitert, fördere kriminelle Strukturen und treibe Klein-Konsumenten in die Illegalität. Von denen gibt es nach Schätzung von Experten in Deutschland etwa 2,5 Millionen - schon einmal gekifft haben etwa 23 Prozent aller Deutschen.

Auch harte Hunde sind für die Legalisierung

Politisch sind es vor allem die Grünen, die sich seit Jahren für eine Legalisierung einsetzen. Vor einigen Jahren kam die Linkspartei dazu, kürzlich hat sich auch die FDP angeschlossen. Mediziner und Suchtforscher betonen, dass Tabak und Alkohol hierzulande das weit größere Problem seien.

Dennoch sind bisher je nach Umfrage nur 30 bis 40 Prozent der Deutschen für eine Legalisierung der Droge. Dieser Wert allerdings steigt seit einigen Jahren kontinuierlich - befeuert von der Debatte in den USA, wo einige Staaten Cannabis inzwischen in Fachgeschäften anbieten. Befeuert auch vom Versagen der internationalen Gemeinschaft im Kampf gegen die Drogen. Und nicht zuletzt von der Diskussion um die medizinische Nutzung von Cannabis, die weniger umstritten ist als der Verkauf in Fachgeschäften.

Müller ist unter den vielen Protagonisten der Debatte deswegen interessant, weil er zeigt, wie wenig vorhersehbar die Fronten inzwischen verlaufen. Bundesweit berühmt geworden ist der 54-Jährige nämlich gerade nicht mit seinem Kampf für die Legalisierung. Sondern mit seinem ersten Buch "Schluss mit der Sozialromantik", das ihm den Titel "Deutschlands härtester Jugendrichter" einbrachte und ihn zu einem beliebten Gast auf konservativen Podien machte. Und so einer sagt dann beim Thema Kiffen auf einmal: Macht mal langsam?

Für Müller ist das kein Widerspruch. "Ich hatte schon so viele Jugendliche, die eindeutig zu viel kiffen - trotz der Kriminalisierung." Ihnen könnte er besser helfen, wenn Cannabis nicht stigmatisiert würde, glaubt er. "Ich war halt besoffen": Dieser Satz käme jugendlichen Straftätern vor Gericht leicht über die Lippen. Aber wer gibt schon gegenüber einem Richter freiwillig zu, dass er ein Problem mit einer illegalen Droge hat?

Der eine Bruder Richter, der andere Junkie

Dass ihn dieses Thema mehr als andere aufreibt, hat aber auch mit seiner Kindheit zu tun. Müller wuchs im Emsland auf. Der Vater, ein traumatisierter Kriegsheimkehrer, "hat sich totgesoffen". So drastisch sagt Müller - ein schmaler Mann mit heller Haut und vom Zigarettenrauch rauer Stimme - das immer wieder in Talkshows und auf Podien. Gleichzeitig war sein Bruder Jonas "ein stadtbekannter Kiffer" - zu einer Zeit, als Cannabis noch die in Bürgerkreisen verpönte Droge der "Langhaarigen" war.

Jonas flog in diesen Jahren von der Schule, kam ins Heim und geriet schließlich an härtere Drogen. Mit 30 Jahren war er heroinabhängig, ein gebrochener Mann, der bis zu seinem Tod vor zwei Jahren nicht von den Drogen loskam. Müller empört besonders, dass der ältere Bruder wenige Jahre vor seinem Tod noch für den Besitz von zwei Gramm Haschisch verurteilt wurde - während er längst im Methadonprogramm mit weit größeren Problemen zu kämpfen hatte.

Müller ist sich sicher: Wäre sein Bruder auf andere Gesetze, verständnisvollere Erwachsene getroffen, dann wäre das alles nicht passiert. Ein mit weichen Strichen gezeichnetes Porträt von Jonas Müller - es zeigt einen gutaussehenden, lachenden Mann mit langem Haar - hängt im Haus des jüngeren Bruders, der am Stadtrand von Berlin in einer bürgerlichen Wohngegend lebt.

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