Einen Tag nach dem gescheiterten Putschversuch verließen sie ihr Land in einem Militärhubschrauber, landeten in Griechenland und beantragten dort politisches Asyl. Das war am 16. Juli 2016. Die Türkei beantragte umgehend ihre Auslieferung. Aus Sicht der Regierung sind die Männer Landesverräter, Komplizen der Putschisten.
Seitdem pendeln "die Acht", wie sie in Griechenland genannt werden, zwischen Gerichtssälen und der Polizeistation in Aharnes, einem Vorort von Athen. Dort sind sie untergebracht, sie dürfen keine Handys haben, nicht das Internet benutzen. Essenslieferungen, einige Bücher und Zigaretten und stundenlange Spaziergänge auf dem Flur sind ihre einzige Abwechslung.
Das könnte sich schon bald ändern. Voraussichtlich am Donnerstag entscheidet der Oberste Gerichtshof Griechenlands über den Auslieferungsantrag der Türkei - und damit über das Schicksal der acht Männer. Lehnen die Richter das Gesuch aus Ankara ab, kommen die Ex-Offiziere frei. Entscheidet das Gericht zugunsten der Türkei, werden die Männer zurückgeschickt. Im Zweifel auch, wenn das Asylverfahren noch läuft.
Der Gedanke an eine Auslieferung macht den Männern Angst. "Wenn wir zurück in die Türkei geschickt werden, sind wir in Lebensgefahr", sagen sie SPIEGEL ONLINE und verweisen auf das Vorgehen gegen politische Gegner in ihrer Heimat.
Wie das Gericht sich entscheiden wird, ist völlig offen. Omiros Zelios ist einer der Anwälte der Acht, er geht von einem positiven Urteil für seine Mandanten aus. "Wir sind optimistisch", sagt er. "Unter diesen Umständen ist es unvorstellbar, dass acht Nato-Offiziere in die Türkei ausgeliefert werden."
Mit den Umständen meint Zelios die umstrittenen Razzien und Säuberungsaktionen gegen das Militär, Universitäten, das Justizsystem und Beamte, die Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem gescheiterten Putschversuch in Auftrag gegeben hat.
Aus Sicht der türkischen Behörden gibt es keine Zweifel daran, dass die Männer am Putschversuch beteiligt waren. Man habe Griechenland "eindeutige Beweise" gegen die Acht geschickt. So sollen die Männer unter anderem Kontakt zu Offizieren gehabt haben, denen ein Mordversuch auf Präsident Erdogan vorgeworfen wird. Das gehe aus Telefondaten hervor, so die Behörden.
Die acht Männer hingegen wollen nur versucht haben, ihren Befehlshaber zu erreichen. Der Anruf habe nur ein paar Sekunden, gedauert und sie hätten nicht mit ihm gesprochen, sagen sie. "Wir sind unschuldig. Wir haben nichts falsch gemacht. Es gibt keine belastenden Beweise gegen uns", verteidigen sie sich.
Seit dem ersten Tag ihrer Flucht betonen sie immer wieder, dass sie nur eine Such- und Rettungscrew seien. Dass sie in der Nacht des Putschversuchs eigentlich frei hatten, und dann einbestellt wurden, um Verletzte in Krankenhäuser zu fliegen. Und dass sie die Türkei erst verlassen haben, als sie beobachteten, wie Demonstranten und Polizei wahllos auf Soldaten losgingen und sie lynchten. Ihre Flucht bereuen sie nicht: "Wir waren eigentlich zu neunt, aber ein Soldat hat sich entschieden zu bleiben. Er sitzt nun im Gefängnis."
Staatsanwälte gegen Auslieferung
Für die Entscheidung des Obersten Gerichts ist es irrelevant, ob die Männer am Putschversuch beteiligt waren. Die Richter haben das Beweismaterial aus der Türkei nicht geprüft.
Für sie sind allein zwei Fragen entscheidend:
Bekommen die Acht in der Türkei ein faires Verfahren?
Und werden sie dort von den Behörden menschenwürdig behandelt?
Aus Sicht von drei Staatsanwälten lassen sich beide Fragen mit Nein beantworten. In mehreren Anhörungen vor dem Obersten Gericht haben sie unabhängig voneinander empfohlen, die Männer nicht auszuliefern. Ein Staatsanwalt argumentierte am vergangenen Mittwoch, das Gericht solle nicht nur die Dokumente berücksichtigen und "so tun, als würde nichts in der Türkei passieren. Wir können nicht sagen: Ich wasche meine Hände in Unschuld, nehmt sie". Bereits die Möglichkeit, dass die Rechte der Männer in der Türkei verletzt werden könnten, wäre ein Argument gegen die Auslieferung.
"Das Härteste, was wir je gemacht haben"
Stunden nach der Anhörung waren die Männer zurück im Gefängnis. Ihre dunklen Anzüge und Krawatten, die sie im Gericht getragen hatten, hingen an Haken in ihren Zellen. Stattdessen trugen sie Trainingsanzüge und Latschen. Sie seien keine Anhänger von Fethullah Gülen, beteuerten sie, sondern "Säkularisten". Und sie hätten keinen Grund gehabt, Erdogan zu stürzen.
Ein Pilot aus der Gruppe erzählte von seinen Zukunftsplänen, die sich nun zerschlagen hätten. Einen Monat nach dem Putsch habe er das Militär verlassen und eine zivile Laufbahn beginnen wollen. "Ich habe schon Pläne für mein neues Leben gemacht. Ein Putsch war das letzte, woran ich gedacht habe", sagte er. Er und seine Kollegen seien seit ihrem 15. Lebensjahr Soldaten gewesen. "Unser Heimatland, unsere Familien und unsere Karrieren zurückzulassen, war das Härteste, was wir je gemacht haben - aber wir mussten es tun, um unsere Leben zu retten", sagte ein anderer Ex-Offizier.
Sie zahlten jetzt schon einen hohen Preis für "eine Tat, die wir nicht begangen haben". Ihren Kindern sei gesagt worden, die Väter seien im Ausland stationiert oder nähmen an einer Nato-Übung teil. Sie wurden unehrenhaft aus der Armee entlassen. Ihre Vermögen in der Türkei wurden eingefroren.
Entscheidet das Oberste Gericht gegen ihre Auslieferung, sind sie immerhin wieder frei. Erst einmal wollen sie dann "einen langen Spaziergang in der griechischen Sonne machen".
Athen steht unter Druck
Sollte das Oberste Gericht aber anders entscheiden und dem Auslieferungsantrag doch stattgeben, haben die Männer eine letzte Hoffnung: den griechischen Justizminister. Er könnte ihre Auslieferung verhindern. Politisch ein riskanter Schritt, der die ohnehin schon angespannte Beziehung zwischen Griechenland und der Türkei noch weiter belasten würde.
Die Regierung in Athen hat bereits verlauten lassen, dass es gewichtige Argumente für eine Auslieferung gebe. Premierminister Alexis Tsipras versicherte Erdogan, Putschisten seien in Griechenland nicht willkommen.
Griechenland gibt sich im Umgang mit der Türkei vorsichtig, zu viele Punkte sind derzeit offen. Da sind zum Beispiel die andauernden Gespräche über die Zukunft Zyperns oder der Disput über den ungeklärten Status der Ägäis.
Doch Athen steht unter Druck: Europa beobachtet die Entscheidung genau. 80 Prozent der griechischen Bevölkerung sind gegen eine Auslieferung. Und Tsipras` Regierung will auch nicht den Eindruck erwecken, vor Erdogan zu kuschen.
Omiros Zelios, der Anwalt, glaubt nicht, dass ein griechischer Minister die Männer ausliefern würde. Und obwohl er sich optimistisch gibt, bereitet er sich mit seinem Kollegen auf den schlimmsten Fall vor. Sollte das Oberste Gericht dem Auslieferungsantrag zustimmen, wollen sie vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen.
Quelle : spiegel.de
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