Im "Stern" nennt Gabriel die wichtigsten Voraussetzungen für eine Kandidatur. Die Partei muss hinter dem Kandidaten stehen und dieser wiederum restlos überzeugt sein. Beides traf auf ihn nicht zu. Es war deshalb nur konsequent, sich das nicht anzutun. Gabriel wäre auch nicht das verheißungsvolle Aufbruchssignal für die SPD gewesen. Den ganzen Wahlkampf über hätte er mit der Frage zu kämpfen gehabt, warum er Kandidat ist, wenn ein anderer womöglich wesentlich besser wäre. Aber so kommt es nun nicht. Mit Schulz tritt die Person an, mit der die Wahlchancen der SPD am besten sind. Er bringt viele Vorteile mit. Nach siebeneinhalb Jahren Gabriel steht er für einen Neuanfang, das kann der kriselnden SPD einen Schub bringen. Da Schulz nicht Teil der Großen Koalition ist, kann er im Wahlkampf unabhängiger agieren und sich leichter als Alternative präsentieren. Für Gabriel wäre es schwer gewesen, aus der gemeinsamen Bundesregierung heraus die Kanzlerin anzugreifen.
Dass Schulz Wahlkampf kann, hat er 2014 bewiesen, als er bei der Europawahl als Spitzenkandidat ein ordentliches Ergebnis holte. Für ihn spricht auch, dass er in der Bevölkerung deutlich beliebter ist als Gabriel. Er genießt sogar annähernd so große Sympathien wie Amtsinhaberin Angela Merkel. Auch Anhänger von Grünen und Linken halten ihn für den wesentlich besseren Kanzlerkandidaten. Womöglich kann es dadurch gelingen, einige Wähler von ihnen zur SPD zu lotsen. Schulz ist auch der unangenehmere Gegner für die Union. Gabriel wäre als Gegner weitaus kalkulierbarer gewesen und hätte mehr Angriffspunkte geboten. Wäre er Kanzlerkandidat geworden, wären die Strategen der Union wohl gut vorbereitet gewesen. Schulz ist schwerer berechenbar, CDU und CSU müssen sich nun erst einmal auf ihn einstellen. Seine überraschende Nominierung setzt die Gegenseite unter Druck, insofern ist Gabriel ein Coup gelungen.
Einzige Machtoption: Rot-Rot-Grün
Also alles gut? Mit Schulz wird es im Wahlkampf einfacher für die SPD, dennoch verschwinden mit ihm nicht alle Probleme. Das Erste: Die SPD durchlebt eine ihrer schwierigsten Phasen. In der Großen Koalition hat die Partei einiges durchgesetzt. Daraus konnte sie jedoch ebenso wenig Kapital schlagen wie aus der Tatsache, dass die Unionsparteien seit eineinhalb Jahren über die Flüchtlingspolitik streiten. Umfragewerte von 20 Prozent sind längst kein Ausrutscher mehr, sondern Normalität. Nur zur Erinnerung: Immer wenn die SPD den Kanzler stellte, holte sie doppelt so viel. Wenig deutet daraufhin, dass die Partei daran in absehbarer Zeit anknüpfen kann.
Für die SPD wird es schwer, nicht in einem zwischen Merkel und der AfD polarisierten Wahlkampf zerrieben zu werden. Das liegt auch am zweiten großen Problem: Wie schon vor vier Jahren verfügt die SPD über keine echte Machtoption. Rot-Rot-Grün hat seit Langem in keiner Umfrage eine Mehrheit. Außerdem ist es fraglich, ob Schulz, ein rechter Sozialdemokrat, dieses Bündnis unterstützt. Der Kanzlerkandidat wird dazu bald Stellung beziehen müssen. Ansonsten bliebe nur die wenig verlockende Aussicht, wieder Juniorpartner in einer Großen Koalition zu werden. Das dürfte eher Wähler kosten, als neue einzubringen.
Dabei impliziert das Wort Kanzlerkandidat, dass die SPD im Herbst eine reelle Chance hätte, wieder den Regierungschef zu stellen. Mit gutem Willen kann man es mutig finden, dass sie einen Kandidaten benennt. Tatsächlich bleibt ihr gar nichts anderes übrig. In dem Moment, wo sie es nicht mehr täte, würde die Partei ihren Bedeutungsverlust öffentlich eingestehen. Es wäre eine kleine Bankrotterklärung für die deutsche Sozialdemokratie. Für die SPD kommt es heute vor allem darauf an, jemanden zu finden, der dazu bereit ist, sich in ein so aussichtsloses Projekt zu stürzen. Eine Person, die sich voll reinhaut und nicht an sich selbst zweifelt. "Die SPD hat die Chance, die stärkste Partei zu werden", hat Schulz vor einigen Wochen gesagt. Es wird interessant sein, ihm dabei zuzusehen, wie er dafür kämpft.
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