Als Krauze das sagte, hatte Donald Trump das Dekret zum Mauerbau an der Grenze zum südlichen Nachbarn noch gar nicht unterzeichnet. Doch als der neue US-Präsident am Mittwoch den Bau des 3200 Kilometer langen Grenzwalls tatsächlich anordnete, kippte in Mexiko die Stimmung von konsterniert zu wütend.
Intellektuelle, Aktivisten und Politiker aller Parteien fordern ihren Präsidenten Enrique Peña Nieto dazu auf, seinen Besuch in Washington am Dienstag abzusagen, es gehe um die Würde und die Souveränität des Landes. "Das Dekret ist ein Schlag ins Gesicht," sagte der ehemalige Außenminister Jorge Castañeda im Radiosender Fórmula. Man müsse wissen, wo die rote Linie verlaufe. Alejandro Solalinde, ein bekannter Geistlicher, der sich für die Rechte der Migranten einsetzt, sagte: "Der Präsident hat nicht die Zustimmung des mexikanischen Volkes, um mit Donald Trump die Übergabe Mexikos zu verhandeln." Dutzende Politiker und Abgeordnete verlangten von ihrem Staatschef, die für Dienstag geplante Reise nach Washington zumindest einige Zeit zu verschieben. Mexiko müsse jetzt ein Zeichen setzen.
Der mexikanische Außenminister Videgaray teilte jedoch mit, es bleibe bei dem geplanten Besuch.
Wer zahlt - und wie?
Am späten Mittwochabend wandte sich Präsident Peña Nieto in einer Fernsehansprache an sein Volk und bedauerte die Entscheidung Trumps, die Mauer wirklich bauen zu wollen. "Mexiko glaubt nicht an Mauern", betonte er und ergänzte: "Ich habe mehrfach bereits gesagt, dass wir für keine Mauer aufkommen werden."
Trump hingegen hatte das Wahlversprechen abgegeben, das Nachbarland werde letztendlich für den Grenzwall bezahlen, auch wenn die USA das Bauwerk zunächst aus der Staatskasse finanzieren müssten.
Allerdings ist nicht ganz klar, wie Trump seine Drohung in die Tat umsetzen könnte. Er sprach davon, die Kosten von geschätzten acht bis zwölf Milliarden Dollar über Steuern auf die Auslandsüberweisungen derjenigen mexikanischen Migranten zu finanzieren, die ohne gültige Papiere in den USA leben - vergangenes Jahr haben alle in den USA lebenden Mexikaner insgesamt rund 25 Milliarden Dollar an die Angehörigen daheim überwiesen.
Ferner will er die Visagebühren für Mexikaner drastisch erhöhen. Außerdem sollen die Strafzölle, die er für in Mexiko gefertigte und in die USA exportierte Produkte erheben will, für die Zahlung herhalten. Letzteres wäre eine klare Verletzung der Regeln der Nordamerikanischen Freihandelszone Nafta, die Trump ohnehin neu verhandeln will. Zumindest gegen die Strafzölle könnte Mexiko rechtlich vorgehen.
Auch der Zeitpunkt ist ein Affront
Mit Trumps Dekret, dessen Unterzeichnung er immer wieder angekündigt hatte, hat sich das über viele Jahrzehnte freundschaftlich-partnerschaftliche Verhältnis zwischen beiden Staaten endgültig in ein feindseliges verwandelt. Dabei war der Mauerbau in den vergangenen Jahren nie weniger notwendig als heute. Nach Angaben des Pew Research Center in Washington emigrieren so wenige Mexikaner wie nie in den vergangenen 15 Jahren in die USA. Inzwischen ist der Saldo aus US-Sicht sogar negativ. 2014 kehrten 140.000 Mexikaner mehr aus den USA nach Hause zurück, als den Weg ins scheinbar gelobte Land im Norden suchten.
Für die Mexikaner ist der Bau einer Grenzanlage daher keine Notwendigkeit, sondern ein Symbol der Abschottung und gleichbedeutend mit der Aufkündigung der guten Nachbarschaft. Oder, um im Bild von Enrique Krauze zu bleiben: Der Mauerbau wird wie eine Kriegserklärung aufgenommen. Das Dekret wird in Mexiko umso mehr als Affront aufgefasst, als sich gerade am Tag der Unterzeichnung die mexikanischen Minister für Äußeres und Wirtschaft, Luis Videgaray und Ildefonso Guajardo, zur Vorbereitung des Besuchs von Peña Nieto am 31. Januar in Washington befanden.
Es wirkt fast so, als glaubten die Mexikaner erst jetzt wirklich, dass der Präsident Trump die Vorhaben wahrmacht, die der Kandidat Trump angekündigt hatte, dass erstmals überhaupt in der modernen Geschichte der Nachbarländer im Weißen Haus jemand sitzt, der Mexiko offen feindselig gegenübersteht. Viele Mexikaner bemühen plötzlich die Historie und erinnern daran, dass die Vereinigten Staaten ihrem Land in einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen 1846 und 1848 große Teile des Territoriums nahmen.
Der Versuch, "die Geschichte zu stoppen"
Auch deswegen empfinden die Menschen in dem lateinamerikanischen Land so etwas wie Hassliebe zum großen Nachbarn. Es findet sich kaum ein Mexikaner, der nicht über die "Gringos" die Nase rümpfte. Wer es sich aber leisten kann, imitiert zugleich den "American Way of Life". Nach außen lehnen die Mexikaner die Amerikanisierung ab, nach innen haben sie sich mit ihr längst eingerichtet. US-Handelsketten und Industrieunternehmen prägen das Straßenbild genauso wie die Binnenwirtschaft, selbst in das mexikanische Spanisch haben sich englische Worte eingeschlichen.
Und so macht der republikanische Präsident mit einem Federstrich viele Jahre eines guten Verhältnisses zunichte und will nicht nur die 3200 Kilometer Grenze in eine Hochsicherheitsfestung verwandeln, sondern auch gleich den 23 Jahre alten Freihandelsvertrag Nafta mit Mexiko und Kanada begraben.
Es kehre das Paradigma zurück, wonach der Starke den Schwachen misshandle. Es sei das bekannte Muster von Bedrohung und Verfolgung, sagt der Schriftsteller Héctor Aguilar Camín. Trumps Pläne seien der Versuch, "die Geschichte zu stoppen". Aber Mexiko sei "Teil der USA und umgekehrt", betont Aguilar Camín. Daran ändere auch eine Mauer nichts. "Ich kann mich nicht an schlechtere Voraussetzungen für eine Reise eines mexikanischen Staatschefs in die USA erinnern als diese", sagt der Autor.
Jeder Mexikaner wächst mit einer Weisheit auf: "Pobre México, tan lejos de Dios y tan cerca de Estados Unidos", "Armes Mexiko, so fern von Gott und so nah an den USA". Nie in den vergangenen Jahrzehnten hatte das Bonmot mehr Berechtigung als heute. Wobei es eigentlich heißen müsste: "Armes Mexiko, so fern von Gott und so nah an Donald Trump."
Quelle : spiegel.de
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