Umso erstaunlicher erscheint das öffentlich zur Schau getragene Desinteresse Trumps an der Kanzlerin. Oder?
Trumps Vorgänger Barack Obama erklärte Merkel gewissermaßen zur wichtigsten Frau der Welt. Seinen letzten Anruf im Amt widmete er der deutschen CDU-Politikerin. Trump dagegen empfängt als ersten Staatsgast - Theresa May. Ausgerechnet die Frau, die Großbritannien aus der EU lösen will. Mit Merkel hat er seit seiner Amtseinführung nicht einmal telefoniert.
Die Aufregung ist groß. Auch bei n-tv.de war davon die Rede, dass Trump May nun auf der weltpolitischen Bühne nach ganz oben hievt. Womöglich beginnt mit Trump als Präsident tatsächlich eine neue Epoche der transatlantischen Beziehungen, eine Rückkehr zu Kleinstaaterei und Protektionismus, ein Bedeutungsverlust der großen internationalen Bündnisse, neue Freund-Feind-Schemen. Nur ist fraglich, ob die Besuchsplanung und die Telefongewohnheiten des US-Präsidenten ein geeigneter Indikator für diese Umwälzungen sind.
Listenplatz Eins für Abdel Fattah Al-Sisi
Schon kurz nach Trumps Wahlsieg zeichnete sich ab: Die Reihenfolge von Telefonaten sind in der möglichen neuen Epoche nicht das Produkt akribischer diplomatischer Arbeit, sie sind vor allem der Unbedarftheit von Trumps Team geschuldet. Die ersten Glückwünsche erhielt Trump von Ägyptens Präsident Abdel Fattah Al-Sisi. Warum? Viele Staats- und Regierungschef hatten schlicht keinen Kontakt zum President Elect. Wer dagegen einfach im Trump-Tower anrief, wurde teils direkt durchgestellt. Besagte Theresa May war nur Nummer elf – trotz der "Special Relationship", für die sich USA und Großbritannien seit jeher rühmen.
Die Einladung in die USA kam - so wurde es zumindest überliefert - bei diesem Telefonat zustande und fiel eher flapsig aus: "Wenn Sie in die USA reisen, sagen Sie mir Bescheid", soll Trump gesagt haben. May, die unter gewaltigem Druck steht, den Brexit zu einer Erfolgsgeschichte für die Briten zu machen, ergriff die Chance.
Auch Trump und Merkel sprachen in jenen Tagen im November bei ihrem ersten Telefonat über ein mögliches Treffen. Laut Regierungssprecher Georg Streiter habe Merkel ihm gratuliert und mitgeteilt, dass sie sich freue, ihn bis spätestens zum G20 Gipfel im Juli in Hamburg begrüßen zu dürfen. Selbst wenn daraus nichts wird, werden sich die beiden nur wenig später beim G7-Gipfel in Italien die Hand schütteln. Die Nachrichtenagentur Reuters zitiert zudem einen Insider, nach dem Merkel und Trump ihr erstes Telefonat nach Amtseinführung an diesem Samstag führen werden. Acht Tage nach der Inauguration. Ist das viel oder wenig?
Auch Obama ließ den Briten den Vortritt
Mittlerweile dürfte Trumps Team seinen Umgang mit ausländischen Staatenlenkern etwas professionalisiert haben. Selbst, wenn nun ganz gezielt Gesprächstermine vereinbart würden, wäre ein erstes Telefonat nach acht Tagen nicht völlig ungewöhnlich.
Zum Vergleich: Zu einem ersten Telefonat zwischen Merkel und Obama kam es nach dessen Amtseinführung nach sechs Tagen. Die beiden Staatschefs sprachen damals, im Januar 2009, vor allem über die Finanzkrise.
Auch wenn es um Besuche ging, hatten die beiden es nicht wirklich eilig. Vielleicht auch, weil Merkel Obama 2008 einen Auftritt vor dem Brandenburger Tor versagte, als dieser noch im Wahlkampf um das Amt steckte? Nach seinem Amtsantritt besuchte Obama die Bundesrepublik auf jeden Fall erstmals Anfang April. Dabei handelte es sich nicht um einen speziell in Szene gesetzten Termin. Anlass war ein Nato-Gipfel. In die USA wiederum reiste Merkel erst im Juni 2009, um den nächsten G8-Gipfel vorzubereiten.
Damals war übrigens auch ein Brite schneller: Der damalige Premierminister machte seinen Antrittsbesuch in den USA schon Anfang März. Für alle, die sich nicht mehr an ihn erinnern: Der Mann hieß Gordon Brown.
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