Die Gründung der Bundeswehr war eine ziemlich trostlose Veranstaltung. Es trat keine Kapelle an, um die Zeremonie musikalisch zu begleiten. Die Nationalhymne gab es noch nicht einmal von Band. Die Wände der Fahrzeughalle in der Bonner Ermekeilkaserne waren nur notdürftig mit dunklem Tuch dekoriert. Und einige der 101 Soldaten, die am 12. November 1955 ihre Ernennungsurkunde erhielten, trugen nicht einmal Uniform. Einen Namen hatte die Armee, in die sie aufgenommen wurden, auch noch nicht. Die "neuen Streitkräfte" wurde sie übergangsweise genannt. Bundeskanzler Konrad Adenauer soll verärgert über den glanzlosen Auftakt für die Wiederbewaffnung Deutschlands gewesen sein. Es war aber nicht verwunderlich, dass der Gründungsakt fast schon etwas verschämt wirkte.
Der Zweite Weltkrieg war gerade einmal zehn Jahre her. Drei Viertel der Westdeutschen waren dagegen, dass die Bundesrepublik wieder eine Armee erhält. Und in den Nachbarländern traute man dem neuen demokratischen Deutschland auch noch nicht so ganz über den Weg. Ein Gründungsakt mit lautem Tschingderassabum wäre da nicht so gut angekommen - im Inland wie im Ausland. Also lieber erst einmal leise anfangen.
Frontstaat im Kalten Krieg
Adenauer hatte sich schon früh für die Wiederbewaffnung stark gemacht. Er war der festen Überzeugung, dass die volle Souveränität Westdeutschlands nur so erreichbar sei. Seine Gegner befürchteten, dass sich das Ziel der deutschen Einheit damit praktisch erledigen würde. Die Kontroverse führte im Oktober 1950 zum Rücktritt des Innenministers Gustav Heinemann. "Wir legitimieren unser Deutschland selbst als Schlachtfeld, wenn wir uns in die Aufrüstung einbeziehen", schrieb der spätere Bundespräsident in seinem Rücktrittsschreiben an Adenauer.
Zum Schlachtfeld wurde Deutschland nicht, aber über Jahrzehnte zog sich der Eiserne Vorhang durch das Land. Im Mai 1955 trat die Bundesrepublik der Nato bei. Nur eine Woche später gründete die Sowjetunion den Warschauer Pakt, dem auch die DDR angehörte. Die Aufteilung Europas in zwei Blöcke war damit besiegelt. Die Aufgabe der Bundeswehr in der ersten Hälfte ihrer bisherigen Geschichte war klar definiert und eindimensional: Die Wehrpflichtarmee konzentrierte sich auf die Bündnis- und Landesverteidigung als Frontstaat im Kalten Krieg.
NVA-Soldaten fielen durch Sicherheitsprüfung
Nach dem Mauerfall passierte am 3. Oktober 1990 dann etwas, das in der Militärgeschichte wohl einzigartig ist. Zwei gegnerische Armeen wurden vereint. Besser gesagt: Das, was von der Nationalen Volksarmee der DDR noch übrig war, ging in der Bundeswehr auf - 89.000 Soldaten waren es am Einheitstag noch. Mit der Integration der NVA wurde Generalleutnant Jörg Schönbohm beauftragt. "Wir kommen nicht als Sieger zu Besiegten, sondern als Deutsche zu Deutschen", sagte er den Soldaten damals. Trotzdem waren 1998 nur noch 9300 von ihnen übrig. Viele konnten sich mit dem neuen Arbeitgeber nicht arrangieren, andere bestanden die Sicherheitsüberprüfung nicht, wurden als frühere Mitarbeiter der Staatssicherheit entlarvt.
Für die Einheitsarmee begann 1990 eine sehr wechselhafte Geschichte. Schon nach zwei Jahren wurden Sanitäter in den ersten Auslandseinsatz der Bundeswehr unter UN-Mandat nach Kambodscha geschickt. Es folgten der erste Kampfeinsatz der Bundeswehr im Kosovo-Krieg 1999. Im Afghanistan-Einsatz zog die Bundeswehr erstmals mit Bodentruppen in einen Krieg - auch wenn sich die Politik aus völkerrechtlichen Gründen weiter schwertat, das Wort "Krieg" in den Mund zu nehmen.
Neues Wettrüsten mit Russland?
Die Ukraine-Krise stellt die Truppe nun vor neue Herausforderungen. Jetzt gibt es wieder große Manöver, die an das Prinzip Abschreckung des Kalten Krieges erinnern. Kampfpanzer sind auf einmal wieder en vogue, der Etat der Bundeswehr steigt. Wo das hinführt weiß niemand. Dass die Bundeswehr wieder in die Zeit zurückfällt, in der sie angefangen hat, kann sich der Potsdamer Militärhistoriker Michael Epkenhans nicht vorstellen. "Ich glaube nicht, dass wir uns auf ein Szenario einstellen müssen, wie wir es im Kalten Krieg hatten. Keine Seite hat Interesse, in eine Situation zu kommen, in der man sich am Ende totrüstet", sagt der Professor am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr.
Eins hat sich die Bundeswehr in den 60 Jahren ihres Bestehens ganz sicher verschafft: Anerkennung. Sie wird heute von vier Fünfteln der Bevölkerung akzeptiert und geachtet. Nur mit den Auslandseinsätzen können sich die meisten Deutschen nicht anfreunden. Aber das sei weniger ein Problem der Bundeswehr als derjenigen, die die Bundeswehr in Einsätze schicken, sagt Epkenhans. "Es ist Aufgabe der Politik zu sagen, warum die Freiheit am Hindukusch verteidigt wird."
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