Nervengift auf der Fassade

  16 November 2015    Gelesen: 541
Nervengift auf der Fassade
Gedämmte Hausfassaden setzen Gifte frei, die Mensch und Umwelt schaden können. Das Problem ist lange bekannt - doch Behörden unternehmen nichts.
Das Gift dient einem guten Zweck, es soll Schimmel verhindern. Nachts kühlen Oberflächen gedämmter Hausfassaden stark ab, da sie keine Sonnenwärme speichern und keine Wärme von innen durchlassen. Deshalb bleiben sie länger feucht, bieten gute Lebensbedingungen für Algen und Schimmelpilze. Als Gegenmittel setzen viele Maler auf biozidhaltige Putze und Farben.

Spuren der Giftstoffe finden sich allerdings in der Umwelt. Schweizer Studien zeigen, dass die Gifte vor allem in kleinen Gewässern bedenkliche Konzentrationen erreichen. Darunter sind Nervengifte wie Terbutryn, dessen Einsatz in der Landwirtschaft seit 2002 verboten ist.
Auch Menschen werden direkt bedroht: "Gefahr besteht nicht nur für die Umwelt", sagt Susanne Smolka vom Pestizid-Aktions-Netzwerk (PAN), "sondern auch für die Personen, die solche Putze und Farben an den Fassaden anbringen".

Zulassungsstelle für Biozid-Produkte in Deutschland ist die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) im Einvernehmen mit dem Umweltbundesamt und dem Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR) für den Bereich Gesundheitsschutz.

Das BfR hat bisher noch überhaupt keine biozidhaltigen Fassadenschutzmittel auf Risiken überprüft. Begründung: "Dem BfR lagen bislang noch keine Anträge im Biozidzulassungsverfahren vor". Risiken würden "im Rahmen der derzeit stattfindenden Bewertungen der Wirkstoffe" geprüft, schreibt die BAuA auf Anfrage.

Verkauf ohne Prüfung

Klingt gut, allerdings läuft diese Bewertung seit über zehn Jahren. Stichtag war eigentlich der 15. Mai 2014, doch zuvor wurde das "EU-Altwirkstoffprogramm" bis 2024 verlängert. Für alle Biozide, die vor dem 14. Mai 2000 auf dem Markt waren, gilt also weiterhin eine großzügige Übergangsregelung: Sie sind "zulassungsfrei verkehrsfähig", bis die Prüfung Dutzender Wirkstoffe abgeschlossen ist.

"Allein die Wirkstoffprüfung bei den Bioziden dauert Jahrzehnte", kritisiert Smolka. "In der Zwischenzeit dürfen die Hersteller ihre Biozidprodukte ohne behördliche Prüfung weiter verkaufen". Die BAuA verweist auf das europäische Verfahren: "Im Rahmen der Biozid-Verordnung werden immer zuerst die Wirkstoffe und dann die Produkte, welche diese Wirkstoffe enthalten, einer Überprüfung unterzogen", sagt BAuA-Sprecher Christian Schipke.

Für die Wirkstoff-Bewertung verlange die Behörde von den Herstellern verschiedene Gutachten, etwa zur Toxikologie. Sie prüfe aber auch Umwelteinträge sowie die Wirksamkeit der Biozidprodukte: "Wenn ein biozider Wirkstoff aus einer Fassade herausgewaschen wird und dies zu einem Risiko für Gewässer und Böden führt oder dazu führt, dass dadurch die Wirksamkeit in der Fassade nicht ausreichend gewährleistet ist, kann die Zulassung verweigert werden". Doch dazu müsste eben erst mal geprüft werden.

Problem mit der Auswaschung

Für eine Abschätzung des Umwelt-Risikos braucht es zudem Umwelt-Daten, etwa über Biozide in Gewässern. Und da gibt es offenbar erhebliche Lücken: "Ein Programm zur gezielten Messung von Bioziden in der Umwelt und damit auch in Oberflächengewässern und im Grundwasser gibt es nach unserer Kenntnis bisher in Deutschland nicht", schreibt das Umweltbundesamt (UBA) auf Anfrage.

"Es gibt da ein Problem mit der Auswaschung ", sagt der parlamentarische Staatssekretär im Bundesumweltministerium, Florian Pronold (SPD). Im Interview mit der NDR-Sendung "45 Min" zeigt er sich jedoch überrascht, dass die Umweltüberwachung mangelhaft ist: "Ich bin davon ausgegangen, dass ein systematisches Monitoring existiert. Dann bring ich das auf den Weg", verspricht er.

Nicht die einzige Baustelle für Pronold: Deutschen Behörden liegen bisher nicht mal Verbrauchs-Daten vor: "Über die eingesetzten Mengen an Bioziden in Fassadenschutzmitteln und Putzen in Deutschland haben wir leider gar keine Informationen", schreibt das UBA. Auch Produktions- und Absatzmengen seien "leider nicht bekannt", obwohl diese Daten "dringend benötigt werden".

"Angaben liegen nicht vor"

Der Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie kann bei der Frage nach dem Biozidverbrauch nicht weiter helfen: "Angaben dazu liegen uns nicht vor", antwortet ein Sprecher. Für alle eingesetzten Wirkstoffe werde die Umweltverträglichkeit "durch strenge europäische Zulassungsverfahren sichergestellt".
Strenger ist die Marktüberwachung bei den von Landwirten verwendeten Pestiziden, trotz teilweise gleicher Wirkstoffe. "Die Hersteller von Pestiziden müssen jährlich melden, was sie hier in Deutschland vermarkten und was sie importieren bzw. exportieren", sagt Smolka, "diese Daten haben wir bei den Fassadenfarben nicht".

Pronold will nun handeln: "Wenn dieses Wissen nicht existiert, dann muss man alles tun, um die Zahlen zu bekommen".

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