Angeblicher Plastik-Seetang schockt China

  28 März 2017    Gelesen: 367
Angeblicher Plastik-Seetang schockt China
Ein Video über vermeintlich mit Kunststoff gepanschten Seetang sorgt in China für Aufregung. Kunden sind verunsichert, die Preise brechen ein, Produzenten verlieren Millionen Yuan. Obwohl das Video ein Fake ist: Die Hysterie hat einen Grund.
Während derzeit Fake News - also vorsätzlich falsche Nachrichten - in den USA vor allem in der politischen Debatte kursieren, sorgen in China zuletzt vor allem Falschmeldungen über vermeintlich gepanschte Lebensmittel für Aufregung: Auslöser war ein Video, in dem suggeriert wird, dass das beliebte Lebensmittel Seetang mit Plastik gestreckt oder sogar dadurch ersetzt wurde. Zu sehen ist in dem kurzen Clip eine Frau, die erfolglos versucht, ein Stück Seetang zu zerreißen, wie die "South China Morning Post" berichtete. "Ist das echter Seetang? Er kann nicht zerrissen werden", sagt die Frau in dem Videoclip.

Das Video verbreitete sich rasant im Internet. Auf Weibo, Chinas beliebtestem Mikrobloggingdienst, ähnlich Twitter, wurde der Clip rund zwei Millionen Mal angesehen. Trittbrettfahrer hängten sich an den Trend und generierten mehr als 20 abgewandelte Versionen von Videos über vermeintlichen Plastik-Seetang.

Die schlechte Nachricht für die chinesische Seetang-Branche: Viele Verbraucher hielten die Videos für glaubhaft. Und der wirtschaftliche Schaden ist immens. Firmen berichteten von stornierten Bestellungen und zurückgesandten Lieferungen. Die Großhandelspreise für Seetang brachen laut der Firma Fuguangjia Food, deren Produkt in dem ursprünglichen Video zu sehen ist, um mehr als 50 Prozent ein - von 80.000 Yuan (10.700 Euro) pro Tonne auf rund 40.000 Yuan (5350 Euro), wie das US-Wirtschaftsportal "Quartz" berichtete.

Millionen-Verluste für Unternehmen

"Diese Videos kosten uns Millionen Yuan", sagte Zeng Huaqing, Chef des im südchinesischen Jinjiang angesiedelten Unternehmens Fuguangjia Food. Die Stadt Jinjiang ist Chinas größter Umschlagplatz für das grüne Meeresprodukt, Ursprungsort von 70 Prozent allen in China verkauften Seetangs. Rund 40.000 Tonnen werden dort jedes Jahr gehandelt. Die Seetang-Branche der Stadt macht üblicherweise einen Umsatz von rund zwei Milliarden Yuan (268 Millionen Euro) jährlich.

Auch der chinesische Produzent Ayibo Food leidet unter der Seetang-Hysterie. Das Unternehmen produzierte bisher Seetang mit einem Wert von 400 Millionen Yuan (53,5 Millionen Euro) pro Jahr. Mindestens sieben Fake-Videos mit Seetang aus eigener Produktion hat das Unternehmen identifiziert. "Dieses Jahr kann man nicht mal daran denken, Gewinn zu machen", sagte Li Xiaojiang, Manager bei Ayibo Food.

Die Unternehmen betonen, dass die Gerüchte über Plastik-Seetang absurd seien. Schließlich sei Kunststoff in der Herstellung teurer als Seetang, weshalb es auch keine Gründe gebe, diesen beizumischen oder das Naturprodukt dadurch zu ersetzen. Gleichzeitig berichteten einige Unternehmen, anonyme Anrufer hätten vor Erscheinen des ersten Videos versucht, Geld zu erpressen und mit der Veröffentlichung des Clips gedroht.

Auch für Lebensmittelsicherheit zuständige chinesische Behörden widersprechen den Behauptungen, dass Plastik dem Seetang beigemischt sei. Das unabhängige China Food Information Center, eine Non-Profit-Organisation, welche die Sicherheit von Lebensmitteln auf wissenschaftlicher Grundlage ermittelt, hat die Videos ebenfalls als Falschmeldungen entlarvt. Die demonstrierte plastikartige Konsistenz des Seetangs trete immer ein, wenn Seetang nicht gekocht, sondern in kaltem Wasser eingeweicht werde, hieß es.

Vogelgrippe nach Kirschen-Verzehr?

Die Aufregung über den vermeintlich gepanschten Seetang ist nicht der einzige Aufreger über letztendlich falsche Nachrichten zu Lebensmitteln in China. Im vergangenen Jahr war es ein Artikel über angeblich mit Parasiten verunreinigte Flusskrebse. Dieser Bericht wurde über den chinesischen Chat-Dienst WeChat mehr als 50 Millionen Mal geteilt. Allerdings hatte das Chinese Institute of Food Science and Technology (CIFST) Entwarnung für gekochte Flusskrebse gegeben und den Artikel als "übertrieben" bezeichnet.

Andere Beispiele für Lebensmittel-Fake-News in China waren laut CIFST: Gerüchte über Weintrauben, bei deren Herstellung Stoffe zur Empfängnisverhütung zum Einsatz kommen. In einem anderen Fall war von einem 20-Jährigen die Rede, der nach dem Genuss von Kirschen in Nordchina an Vogelgrippe erkrankt sein soll. Ebenfalls gemeldete angebliche Parasiten in Schweinefleisch stellten sich laut CIFST letztendlich als Sehnen heraus.

In China sind Unternehmen, Wissenschaftler und staatliche Stellen derzeit bemüht, Falschmeldungen über Lebensmittel zu enttarnen. Allerdings sind sie gleichzeitig mitverantwortlich für das große Misstrauen der Chinesen, welches ein fruchtbarer Nährboden für derartige Fake News ist.

Als Ursprung der Verunsicherung der chinesischen Verbraucher wird der große Milchskandal aus dem Jahr 2008 angesehen. Damals hatten Unternehmen Milch und auch Milchpulver für Babys mit dem Kunststoffvorprodukt Melamin gestreckt. Staatliche Stellen hatten die Bevölkerung teilweise Monate über die Gefahren im Unklaren gelassen. Am Ende führte das beigemischte Melamin bei rund 300.000 Babys zu Nierenstein und Nierenversagen, sechs von ihnen starben.

Quelle: n-tv.de

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