Sefik Alp Bahadir: Ja, ich werde zu dem Referendum gehen, weil es wichtig für die Zukunft der Türkei ist.
Es gibt das Wahlgeheimnis, aber als hier lebender Türke kann man für eine Einschränkung der dortigen Meinungs- und Presserechte doch nicht ernsthaft sein, oder?
Bahadir: Nein, das wird man auch nicht sein. Aber ich stimme bei dem Referendum auch nicht über Einschränkung oder Liberalisierung von Presse- oder Freiheitsrechten ab. Abgestimmt wird über die Einführung des Präsidialsystems: darauf bezieht sich das Ja oder Nein.
Dadurch aber soll Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan mehr Macht gewinnen, die er zur weiteren Einschränkung der Meinungsfreiheit nutzen dürfte. Das lässt die jüngste Entwicklung in dem Land vermuten.
Bahadir: Das ist ein Irrtum. Der türkische Präsident hat nach der jetzigen Verfassung von 1982 unbeschränkte Befugnisse in allen Bereichen. Die Verfassung hat der damalige Putschist erlassen, als er selbst Präsident wurde. Das Problem ist, dass der Präsident weitestgehende Vollmachten hat, allerdings keine Verantwortung.
Das heißt?
Bahadir: Der türkische Präsident kann nur für Landesverrat verantwortet werden. Selbst wenn er auf der Straße jemanden erschießt, kann er nach der jetzigen Verfassung weder belangt noch angeklagt werden. Und das wird jetzt geändert.
Sieht man Erdogans Vorgehen gegen Kritiker, Oppositionelle und Journalisten, ist die Gefahr, dass mit der Verfassungsreform seine Macht ausgeweitet wird, sehr groß.
Bahadir: Nein, das ist ein Irrtum. Es ist keine Machtausdehnung , sondern das Gegenteil. Das wird teilweise eingeschränkt und der Präsident wird jetzt vollkommen verantwortlich sein. Seine absolute Immunität in der jetzigen Verfassung wird aufgehoben.
Das sehen und sagen Sie so.
Bahadir: Wie ich sage, seine jetzige Immunität wird aufgehoben. Stattdessen kann er durch einen Parlamentsausschuss oder durch das Verfassungsgericht belangt und nach bestimmten Regeln sogar abgewählt oder gestürzt werden. Seine Befugnisse werden nicht erweitert. Vielmehr hat er jetzt mehr Verantwortung, indem er de facto das Amt des Ministerpräsidenten übernimmt, also ein echter Präsident wird.
Also werden Sie beim Referendum mit Ja stimmen?
Bahadir: Ich werde mit Ja stimmen, weil es nicht nur um die Wahl des Präsidenten geht. Das parlamentarische System hat in der Türkei nicht funktioniert. In den vergangenen 60 Jahren hat es dort im Schnitt jährlich eine neue Regierung gegeben. Der Grund dafür ist, dass wir in der Türkei keine homogene Gesellschaft wie in Deutschland haben.
Aber in Deutschland gibt es Meinungsfreiheit und auch -vielfalt.
Bahadir: Ja, in Einzelfragen. Aber in allen Grundüberlegungen hat man in Deutschland durch die homogene Gesellschaft einen relativ einfachen Konsensus: etwa in der Einstellung zur Türkei, zu Russland, zu Flüchtlingen oder zu Trump.
Im Gegensatz zur Türkei?
Bahadir: Natürlich, in der Türkei haben wir stark ethnische Widersprüche, wir haben dort ideologische, religiöse und kulturelle Unterschiede. Bei so großen Differenzen funktioniert das parlamentarische System, das auf Konsensus baut, in der Türkei nicht. Die Parteien werden sich in keinem einzigen Punkt einig. Es gibt in der Türkei eine Spaltung, die alle Bereiche in der Gesellschaft betrifft.
Es ist verwunderlich, dass viele Deutschtürken, die schon lange hier leben, sich jetzt an einer türkischen Abstimmung beteiligen wollen.
Bahadir: Wieso will man gerade den Türken, die auch noch einen Pass haben, das Interesse an dem Land absprechen? Ganz Deutschland verfolgt alles, was in der Türkei passiert, und wir selbst sollten das nicht tun? Schauen Sie sich die Stimmung auf der Straße an, diese Frage von Ihnen verstehe ich überhaupt nicht.
Sie sprechen von der Stimmung auf der Straße. Wie ist denn die Meinung unter den in der Metropolregion lebenden Deutschtürken?
Bahadir: Es wird eine sehr große Wahlbeteiligung geben, weil alle sehr an dem Referendum interessiert sind. Und zwar nicht nur für die Verfassungsreform, sondern auch dagegen. Nicht nur die Bevölkerung in der Türkei ist heterogen, auch die Auslandstürken sind sehr gespalten.
Quelle:nordbayern
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