Was spricht für Türkeiurlaub - und was dagegen?

  13 April 2017    Gelesen: 955
Was spricht für Türkeiurlaub - und was dagegen?
In wenigen Tagen steht das Ergebnis des Erdogan-Referendums fest, der türkische Präsident will seine Macht massiv ausbauen. Sollen Urlauber jetzt noch in das Land reisen? Ein Pro und Kontra.
Am Sonntag stimmt die Türkei über die umstrittene Verfassungsänderung ab, Auslandstürken können schon seit Tagen an dem Referendum teilnehmen. Sollte sich Präsident Recep Tayyip Erdogan mit seinen Vorstellungen durchsetzen, würde er seine Machtfülle massiv ausbauen.

Aber was heißt das für Touristen? Kein Reiseziel polarisiert derzeit so stark wie die Türkei. Einerseits ist das Land immer noch Massenziel für Millionen Deutsche, die in die Sonne möchten. Andererseits wettert Erdogan gegen Deutschland, die Sicherheitslage gilt als fragil.

Der Tourismus ist bereits stark zurückgegangen, Reiseveranstalter hoffen auf das Last-Minute-Geschäft. Und mancher Urlauber dürfte sich fragen: Soll ich dieses Jahr eine Türkeireise buchen - oder nicht?

KONTRA: Was spricht gegen einen Türkeiurlaub?

Oppositionelle und Journalisten sitzen im Gefängnis, der Präsident teilt gegen Deutschland und Europa aus, will seine Macht ausbauen und die Todesstrafe wiedereinführen. Das klingt nicht nach einem Land, in dem man gerne seine Ferien verbringen möchte.

"Als Urlauber würde ich mich in so einer Umgebung nicht wohlfühlen", sagt Marie-Luise Raters, Dozentin für Ethik an der Universität Potsdam. Und als Urlauber habe man eine moralische und persönliche Verantwortung: "Genauso wie man wissen sollte, wie das eigene T-Shirt produziert wurde, sollte man sich auch Gedanken machen, wen man mit seinem Urlaub finanziell unterstützt."

Doch ist es sinnvoll, mit einem Boykott der Regierung Erdogan die ganze türkische Bevölkerung zu bestrafen? "Die Türken leiden ja nicht alle unter dem Wegfall des Tourismus. Es gibt auch Türken, die unter der Regierung Erdogan leiden", erklärt Raters. Und nicht alle Türken arbeiten im Tourismus. Diese würde man nicht bestrafen, sondern mit einem Boykott politisch sogar unterstützen. Wer bloß einen Strand zum Sonnen sucht, kann also auch nach Griechenland.

Auch der Tourismusexperte und ehemalige TUI-Vorstand Karl Born aus Hannover spricht sich für einen Boykott aus - allerdings nicht aus moralischen Gründen. Für ihn steht die Sicherheit im Vordergrund.

Präsident Erdogan hatte deutlich gegen Deutschland gehetzt. Er warf zum Beispiel Kanzlerin Angela Merkel "Nazi-Praktiken" vor. Das Auswärtige Amt sah sich Mitte März genötigt, seinen Reisehinweis mit Blick auf das türkische Referendum zu ändern: Es könne zu Protesten kommen, die sich auch gegen Deutschland richten können, heißt es. Davon könnten auch deutsche Reisende in der Türkei betroffen sein.

Für Born sind diese Entwicklungen viel gefährlicher als der Terror, der das Land immer wieder heimsucht - "der kann überall passieren". Erdogan hingegen sei eine "flächendeckende Gefahr", die jeden Urlauber treffen könne. Unter Erdogan sei vor allem Denunziation ein großes Problem. Auch vermeintlich unpolitische Touristen könnten davor nicht sicher sein. "Wissen Sie, ob der Hotelangestellte nicht ein politischer Streber ist und einem das Wort im Munde rumdreht?"

Und auch das Auswärtige Amt warnt: Personen, gegen die türkische Behörden zum Beispiel wegen des Verdachts auf Verbindungen zur sogenannten Gülen-Bewegung vorgehen, könne die Ausreise untersagt werden. Das gelte auch für Menschen, die nicht die türkische Staatsbürgerschaft besitzen.

Der Tourismusforscher Torsten Kirstges von der Jade-Hochschule in Wilhelmshaven betont zwar, dass es weltweit auch andere Länder gibt, in denen das politische System durchaus fragwürdig sei - und die man deshalb streng genommen auch nicht mehr bereisen dürfte.

"Allerdings ist die Türkei ständig in den Schlagzeilen und präsent", sagt er. Und es kommt noch etwas hinzu: Durch Erdogans Wettern gegen Merkel, die Deutschen oder auch den in der Türkei inhaftierten "Welt"-Journalisten Deniz Yücel gebe es eine deutsche Betroffenheit. "Wenn die Chinesen die ganze Zeit gegen uns wettern würden, würde da wahrscheinlich auch keiner mehr hinwollen."

Kurzum: Das ganze Gebaren Erdogans macht die Türkei für viele Urlauber derzeit schlicht unsympathisch. Sie sagen sich: Da fahre ich lieber in ein anderes Land - die Auswahl ist schließlich groß.

Türkei - Touristenzahlen stark rückläufig
Vergleich der monatlich ankommenden ausländischen Touristen mit den Vorjahreswerten

PRO: Und was spricht für einen Türkeiurlaub?

Zwei gewichtige Argumente führt die deutsche Reiseindustrie ins Feld, wenn es um Gründe für einen Türkeiurlaub geht: Zum einen ist das der gute Preis, zum anderen die Gastfreundschaft.

"Die Qualität der türkischen Hotels ist extrem hoch und das bei wirklich guten Preisen", sagt TUI-Produktchef Stefan Baumert. Er spricht vom besten Preis-Leistungs-Verhältnis im Mittelmeerraum. Der Spezialist Öger Tours rechnet vor: Urlaub in einem sehr guten Hotel in der Türkei sei im Durchschnitt um bis zu 40 Prozent günstiger als ein vergleichbarer Urlaub im westlichen Mittelmeerraum.

Der Preis ist vor allem für Familien mit knappem Budget ein wichtiges Argument. Viele Hotels bieten All-inclusive-Angebote. Wer im Urlaub den Euro zweimal umdrehen muss, hat so die Kosten im Griff. Und die touristische Infrastruktur in der Türkei ist gut.

Und dann ist da die viel beschworene Gastfreundlichkeit der Türken, die so gar nicht zu Erdogans scharfer Rhetorik gegen Europa passt. "Die türkischen Hoteliers rollen Urlaubern den roten Teppich aus", wirbt TUI-Mann Baumert. "Die türkische Gastfreundschaft führt bei unseren Kunden zu Top-Werten bei der Gästezufriedenheit."

Wer einmal in der Türkei Urlaub gemacht hat, kommt oft gerne wieder. "Unsere Gäste kehren sehr zufrieden aus ihrem Türkeiurlaub zurück", sagt Öger-Tours-Sprecherin Katrin Rüter. Insbesondere deutsche Urlauber seien bei den Hoteliers sehr beliebt.

Die Türken sollte man nicht kollektiv bestrafen, lautet ein weiteres Argument. "Ein Boykott eines Landes schadet meist nicht der Regierung, sondern vor allem den Menschen, die ihren Lebensunterhalt aus dem Tourismus beziehen", sagt der Präsident des Deutschen Reiseverbands (DRV), Norbert Fiebig. Reisen ermögliche Begegnungen und den Dialog zwischen Menschen; es helfe so, Vorurteile abzubauen.

Und das Thema Sicherheit? Kirstges weist darauf hin, dass das Risiko eines Terroranschlags in der Türkei nicht unbedingt höher sein müsse als in vielen anderen Ländern. "Opfer eines Anschlags kann man auch im hohen Norden Europas werden."

Das Auswärtige Amt stellt fest, dass aus den Touristengebieten an der Mittelmeerküste bislang keine Ereignisse gemeldet wurden, bei denen ausländische Touristen zu Schaden gekommen sind.

FAZIT

Auf der einen Seite steht ein vielen Urlaubern unsympathischer Präsident Erdogan, der Stimmung gegen Deutschland schürt und Gegner verfolgt. Auf der anderen Seite Top-Hotels zu niedrigen Preisen. Am Ende muss jeder selbst entscheiden, was er wichtig findet und was für ihn überwiegt.

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