Der Liido Beach in Mogadiscio ist so etwas wie der Fiebermesser Somalias. Bleiben die Menschen zu Hause, steht es schlecht um das Land. Ist der Strand bevölkert, scheint Gesundung möglich für den Patienten am Horn von Afrika.
An diesem Donnerstagabend im April stehen die Zeichen auf Hoffnung. Im Sand promenieren junge Frauen und Männer, kleine Gruppen lassen sich in Booten aufs Meer hinausfahren, in den Restaurants am Strand wird hinter Stacheldraht Tee getrunken. «Vor drei Jahren war hier kaum ein Mensch zu sehen», sagt Abdifatah Ahmed Halane, Sprecher der Hauptstadtregion. Halane sitzt in einem blauen Plasticstuhl im Sand, vor sich einen grossen Teller Reis und Meeresfrüchte. Er erzählt, wie er vor einem Jahr einen Angriff der islamistischen Terrormiliz al-Shabab überlebte. «Von da hinten sind sie gekommen», sagt Halane und zeigt dem Strand entlang Richtung Norden. Am Haupteingang zündeten Terroristen eine Bombe. Mehr als zwanzig Personen verloren ihr Leben. Was wie eine Horrorgeschichte klingt, dient Halane zur Illustration einer positiven Entwicklung. «Am Tag nach dem Anschlag standen die Menschen wieder am Strand», sagt er. «Die Angst vor dem Terror schwindet langsam.»
Zuversicht trotz Krise
Stacheldraht und Optimismus, Katastrophe und Hoffnung – Somalia ist im Jahr 2017 mehr denn je ein Ort der Extreme. Weite Teile des Landes sind von einer schlimmen Dürre betroffen, mehr als sechs Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Dazu kommen Spannungen zwischen Regionen und Clans sowie der Terror der al-Shabab. Nachdem es in der Hauptstadt lange relativ ruhig gewesen war, hat die islamistische Miliz seit der Präsidentenwahl im Februar ihre Angriffe wieder intensiviert. Kaum ein Tag vergeht ohne Explosion oder Schusswechsel.
Dass in diesem Umfeld trotz allem der Optimismus keimt, hängt stark mit der Präsenz eines Landes zusammen, das Somalia als Eintrittstor zum afrikanischen Kontinent sieht: die Türkei. Drei der wichtigsten Infrastrukturprojekte – der grösste Hafen Somalias, der Hauptstadt-Flughafen sowie das modernste Spital des Landes – wurden in Kooperation mit Ankara gebaut. Als sich Präsident Recep Tayyip Erdogan Mitte April zum Gewinner der Referendumsabstimmung in der Türkei erklärte, ertönten Freudenschüsse in Mogadiscio. Vergangene Woche reiste der neue somalische Präsident, Mohamed Abullahi Mohamed, zu einem dreitägigen Staatsbesuch zum «engen Freund und Alliierten» nach Ankara. Somalia, das fremden Mächten für gewöhnlich skeptisch gegenübersteht, scheint die Türkei ins Herz geschlossen zu haben.
Eine erste Erklärung für die unübliche Partnerschaft findet sich im Rathaus von Mogadiscio, einem renovierten, weitläufigen Gebäudekomplex inmitten zerbombter Altstadt-Ruinen. «Lassen Sie mich mit einem Vergleich antworten», sagt Yusuf Hussein Jimale, der bis Mitte April Bürgermeister der Hauptstadt war. «Stellen Sie sich vor, Sie liegen krank im Spital und Ihre Verwandten besuchen und umsorgen sie. Glauben Sie nicht, dass Sie zu diesen auch eine andere Beziehung aufbauen würden als zu denen, die Sie liegenlassen?»
In Somalia erinnert man sich gut an die Hungersnot von 2011, als aufgrund der Sicherheitslage lange kaum Hilfe ins Land gelangte. Und man hat nicht vergessen, was damals im August geschah. Inmitten der Krise, die mehr als 250 000 Menschen das Leben kostete, reiste Erdogan, damals noch als Premierminister, nach Mogadiscio. Erdogan war seit zwei Jahrzehnten der erste nichtafrikanische Staatschef in der somalischen Hauptstadt. Er kam mit viel Geld und einer Delegation aus Familie, Politikern, Wirtschafts- und NGO-Vertretern. Seine Nachricht an die Welt: Schaut her, diese Stadt ist nicht die No-go-Zone, für die ihr sie hält. Schaut her, dieses Land braucht unsere Hilfe. Seither geniesst Erdogan in Somalia vielerorts Helden-Status. «Er kam in einer Zeit, in der niemand an uns glaubte», sagt Jimale. «Inzwischen hat sich eine Freundschaft entwickelt.» Im Büro des Ex-Bürgermeisters ist der türkische Halbmond ebenso präsent wie der somalische Stern auf hellblauem Grund. Wird Jimale nach konkreten Resultaten der türkisch-somalischen Freundschaft gefragt, beginnt er aufzuzählen: «Ambulanzen, Schulen, Kehrichtlastwagen. Aber auch die Strasse, die zum Rathaus führt, gäbe es ohne die Türkei nicht.»
Präsident mit Tatendrang
Den neuen Schwung, den die Türkei Somalia verliehen hat, will sich die neue Regierung zunutze machen. «Das Land hat seine Probleme, keine Frage», sagt Abdirahman Omar Osman. «Aber es herrscht das Gefühl, dass wir auf dem richtigen Weg sind.» Der somalische Informationsminister, seit März im Amt, sitzt auf einem weissen Ledersofa in der Lobby des Hotels Al Jazeera und ordert einen Latte Macchiato. «Dass al-Shabab im Moment vermehrt zuschlägt, ist nicht überraschend», sagt er. «Die Terroristen wollen uns verunsichern. Politische Stabilität – davor fürchten sie sich am meisten.» 2017, so ist Osman überzeugt, werde zum Wendepunkt in der somalischen Geschichte. «In den letzten Jahren ist vieles schiefgelaufen», sagt er. «Aber im Gegensatz zur vorigen Regierung haben wir die Unterstützung des Volkes.» Tatsächlich ist der neue Präsident, den alle Farmaajo nennen, in weiten Kreisen beliebt. Im Februar liess er in einer umstrittenen Wahl Amtsinhaber Hassan Sheikh Mohamud hinter sich. Gewählt wurde er durch das Parlament, eine geplante Volksabstimmung war aus Sicherheitsgründen abgesagt worden. Die Machtübergabe verlief friedlich, und schon in den ersten Wochen seiner Amtszeit demonstrierte Farmaajo Entschlossenheit: Erst wechselte er die Chefs von Polizei, Militär und Geheimdienst aus, dann trat er in Militäruniform vor die Medien und erklärte al-Shabab den Krieg. Das kommt gut an bei den Leuten. Doch die Erwartungen an den Präsidenten sind enorm: Er soll nicht nur die Terroristen besiegen, sondern auch die Regionen zusammenführen, die Stellung der Zentralregierung festigen, Jobs schaffen und die Dürre meistern. «Dass wir dafür internationale Unterstützung benötigen, ist klar», sagt Informationsminister Osman. «Am besten mehr Unterstützung türkischer Art.»
Während andere Geberländer in den letzten Jahren viel Geld in die Sicherheit und den Kampf gegen die Dürre gesteckt haben, investierte die Türkei vor allem in gut sichtbare Infrastrukturprojekte. Zudem betonen türkische Vertreter immer wieder, dass sie ihre Unterstützung nicht an Bedingungen knüpfen wollen. «Wir mischen uns nicht in die Innenpolitik hilfsbedürftiger Länder ein», meint etwa Serdar Çam, Leiter der staatlichen Entwicklungshilfeorganisation. Die Einhaltung von Menschenrechten und die Förderung der Demokratie spielen beim türkischen Engagement eine geringere Rolle als Stabilität und Sicherheit.
Das Erdogan-Spital
«Das türkische Modell hat dem somalischen Volk neue Türen geöffnet», meinte Afyare Abdi Elmi kürzlich gegenüber al- Jazeera. Der somalische Politologe fordert ein Umdenken der internationalen Unterstützung: mehr direkte Budgethilfe und mehr Investitionen in die Infrastruktur. «So wichtig humanitäre Hilfe auch ist, langfristig nützlicher sind Flughäfen oder Strassen», so Elmi.
Wie eine derartige Kooperation aussieht, zeigt sich am Beispiel des ehemaligen Digfer-Spitals in Mogadiscio. Mitten in der geschäftigen Stadt, hinter einer Mauer mit gut gesichertem Checkpoint, versteckt sich eine ruhige Oase. Auf dem Gelände des Spitals steht eine grosse Moschee osmanischer Bauart, daneben das Hauptgebäude, geschmückt mit Fahnen, die den weissen Halbmond zeigen. Seit der Wiedereröffnung 2015 durch die türkische Entwicklungshilfeorganisation heisst das Digfer «Erdogan-Spital».
«Wir bieten hier Behandlungen an, die sich ein öffentliches Spital nie leisten könnte», sagt Hussein Mohamed Nor, der stellvertretende Leiter. Sein Büro liegt gleich neben der Spitalapotheke, in der vergünstigt Medikamente verkauft werden. Fünf- bis sechshundert Patienten könne man täglich behandeln, sagt Nor. Das Spital verfüge über die modernste Ausstattung das Landes und verstehe sich in erster Linie als Ausbildungsstätte für einheimisches Medizin- und Pflegepersonal. Neben etwa siebzig türkischen Staatsangehörigen arbeiten gut vierhundert Einheimische hier. Hunderte Auszubildende werden jährlich für Studiengänge an den Bosporus geschickt. «Die Türken sind unsere einzigen wahren Brüder», sagt Nor. Er glaubt, dass es ihnen um das Wohl des Landes gehe, während etwa die Uno vor allem eigene Interessen verfolge. Als Beispiel für die hehren Absichten des Partnerlandes dient ihm die Art und Weise, wie das Erdogan-Spital geführt wird: Fünf Jahre lang teilen sich türkische und somalische Fachkräfte die Verantwortung, dann soll die Stadt den Komplex ganz übernehmen. Damit sich Mogadiscio den Betrieb leisten kann, würden gegenwärtig grosse Teile der Einnahmen auf die Seite gelegt, so Nor. «Wenn ich mir die Unterstützung der anderen Geberländer anschaue, habe ich nicht das Gefühl, dass die sich ein unabhängiges Somalia wünschen.»
Türkische Militärpräsenz
Die Türkei hat sich in Somalia erfolgreich als Alternative zu den traditionellen Partnern positioniert. Was 2011 als humanitäre Intervention begann, gilt heute als anschauliches Beispiel für die Bemühungen der Türkei, ihren Einfluss in Afrika zu erweitert. «Somalia ist ein Symbol für die brüderlichen Beziehungen, die wir auf diesem Kontinent aufbauen möchten», sagte Erdogan Anfang 2016. Dabei geht es Ankara auch um den Zugang zu Ressourcen, die Erschliessung neuer Märkte und geopolitischen Einfluss. Jüngstes Beispiel dafür ist der Bau des grössten Militärstützpunktes ausserhalb der Türkei. Für 50 Millionen Dollar wird am Rande Mogadiscios ein Camp errichtet, in dem türkische Offiziere somalische Soldaten für den Kampf gegen al-Shabab ausbilden sollen. Geht man davon aus, dass eine verbesserte Sicherheitslage Voraussetzung für die weitere Entwicklung des Landes ist, scheint dieser Schritt konsequent. Er kommt aber auch einem riskanten Rollenwechsel gleich: Aus dem muslimischen Bruder, der den Somali zu Hilfe eilt, wird ein Land, das Krieg führt gegen somalische Bürger. Die Türkei verliert ihre Unschuld – und nähert sich so der Position westlich geprägter Organisationen an, die als bevorzugtes Ziel der al-Shabab gelten.
Ob das türkische Modell dem Engagement traditioneller Geberländer in Somalia längerfristig überlegen ist, wird sich zeigen. Klar ist, dass es den Menschen neuen Mut gegeben hat. «Auch die Hilfe des Westens ist unentbehrlich», sagt Sheik Bashir Ahmed Salad, Vertreter des somalischen Dürre-Komitees. «Aber die Menschen sehen kaum Fortschritte. Man hat so lange so viel versucht und doch nur wenig Sichtbares erreicht.» Der Uno sage man etwas zugespitzt nach, sie fliege am Morgen aus Nairobi ein und sei zum Mittagessen wieder zu Hause. Die Türken hingegen würden mehr Risiken eingehen, zeigten Präsenz und vermittelten einen Hauch von Normalität. In einem Land wie Somalia ist das eine ganze Menge.
Quelle: nzz
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