Sebastian Kurz mischt Österreichs Politik auf

  23 Mai 2017    Gelesen: 1456
Sebastian Kurz mischt Österreichs Politik auf
Die Alpenrepublik gerät nach langem politischen Stillstand in Bewegung. Der junge Außenminister will mit aller Macht seine ÖVP aus der Rolle als Juniorpartner der SPÖ herausführen. Und das könnte Sebastian Kurz im Herbst gelingen.
Ein glühender Anhänger einer Großen Koalition war Sebastian Kurz noch nie. "Wenn wir als ÖVP den Wählerwillen richtig deuten, dann bleibt uns jetzt nur der Weg in die Opposition", sagte der damals 22-Jährige nach der vorgezogenen Parlamentswahl 2008, bei der die Konservativen auf 26 Prozent abstürzten. 8 Prozent hatten die Schwarzen im Vergleich zur Wahl 2006 verloren. Aber Kurz, damals Vorsitzender der ÖVP-Nachwuchsorganisation Junge Volkspartei, war noch kein politisches Schwergewicht. Die ÖVP legte sich erneut in das Koalitionsbett, um dann bei der Wahl 2013 auf 24 Prozent zu schrumpfen.

Nach weiteren vier Jahren gemeinsamer Regierung mit den Sozialdemokraten und zwei verschlissenen Parteivorsitzenden setzt man bei ÖVP nun zum großen Wurf an. Großer Hoffnungsträger ist jetzt Kurz, der seit ein paar Tagen auch mächtigster Mann der Partei ist. Und der Außenminister, der auf internationalem Parkett eine gute Figur macht und mit starken Sprüchen aufwartet, ist im Begriff, den verkrusteten österreichischen Politikladen kräftig aufzumischen.

Nachdem nun die Weichen in Richtung Wahl im Herbst gestellt sind, wird die ÖVP in den Umfragen regelrecht nach oben gespült. Das Institut Neuwal errechnet in seiner jüngsten Umfrage für die Zeitung "Oesterreich" 35 Prozent für die ÖVP, ein Plus von sage und schreibe 14 Prozent im Vergleich zur vorigen Veröffentlichung. Die bislang führenden rechtspopulistischen Freiheitlichen (FPÖ) von Heinz-Christian Strache spielen mit 27 Prozent (minus 7) nur noch die zweite Geige. Noch schlimmer erwischt es die SPÖ von Bundeskanzler Christian Kern, die auf 20 Prozent (minus 8) abstürzt. Auch das Institut Unique sieht die ÖVP mit 33 Prozent vorn. In dieser Umfrage sind SPÖ und FPÖ mit je 26 Prozent gleichauf.

Mitterlehners Rache

So erleben die Österreicher nach Jahren des Stillstands und rot-schwarzen Postengeschachers einen regelrechten politischen Sturm. Die ÖVP will sich mit aller Macht aus der Umklammerung der SPÖ befreien und auch auf Bundesebene stärkste politische Kraft werden. Kurz könnte die letzte Chance sein, die die ÖVP auf absehbare Zeit hat, um stärkste Partei im Parlament (Nationalrat) zu werden. Kein Wunder, denn vor dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehner als ÖVP-Chef, Wirtschaftsminister und Vizekanzler dümpelte die Partei zeitweise unterhalb der 20-Prozent-Marke herum. Mitterlehner, der die Partei nie unter seine Kontrolle bekam, galt ohnehin als Auslaufmodell.

Dennoch war man im Kurz-Lager von Mitterlehners Rücktritt bereits zu diesem Zeitpunkt überrascht. Die Tageszeitung "Die Presse" spekulierte, dass sich der Vizekanzler über Äußerungen des forschen Außenministers geärgert habe. Er werde die Partei nicht "in diesem Zustand" übernehmen, hatte der ÖVP-Jungstar getönt. "Ich bin nicht der Platzhalter, der auf Abruf, bis jemand Zeitpunkt, Struktur und Konditionen festlegt, hier agiert", stellte Mitterlehner klar und schuf damit vollendete Tatsachen.

Starke Landesfürsten, schwache Zentrale

Ist die ÖVP in einem desolaten Zustand? Eigentlich sieht es für die Partei auf regionaler Ebene gar nicht schlecht aus. In sechs der neun österreichischen Bundesländer (Niederösterreich, Oberösterreich, Steiermark, Salzburg, Tirol, Vorarlberg) ist sie stärkste politische Kraft. In Kärnten ist sie in der Landesregierung vertreten. Nur in der Hauptstadt Wien und im Burgenland ist die ÖVP in der Opposition. Allerdings befand sie sich im Bund im freien Fall, und dementsprechend selbstbewusst präsentierten sich die Landesfürsten gegenüber der schwachen Wiener Parteizentrale. Parallelen zur Lage der SPD, die bis zu den Wahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen die CDU auf Länderebene klein hielt, waren durchaus erkennbar.

Nun arbeitet allerdings die Große Koalition in Berlin im Vergleich zu der in Wien äußerst geräuschlos. De facto gibt es in Wien seit geraumer Zeit kein "Regierungsbündnis" mehr. SPÖ-Kanzler Kern, der erst im vergangenen Jahr den Zauderer Werner Faymann abgelöst hatte, ließ in den zurückliegenden Monaten keine Gelegenheit aus, den Juniorpartner vorzuführen. Im Zusammenhang mit stärkeren Umfragewerten für die Sozialdemokraten, die mit der Person des früheren Bahnchefs zusammenhingen, preschte er im Januar vor und drohte mit Neuwahlen. Es hakte bei den Themen Bildung, Sicherheit, Arbeitsmarkt und Wirtschaft. Damals wollte die ÖVP aus eigennützigen Gründen von Neuwahlen nichts wissen. Auf wichtige Reformen konnten sich beide Parteien nach diesem Sturm im Wasserglas nicht einigen.

Auch der der Präsidentschaftswahl fielen sowohl SPÖ als auch ÖVP durch. Ihre Bewerber kamen nicht einmal in die Stichwahl. Der Grünen-Politiker Alexander Van der Bellen setzte sich nach monatelangem Gezerre gegen den FPÖ-Mann Norbert Hofer durch. Es ist das erste Mal seit Kriegsende, dass ein Mann in der Wiener Hofburg sitzt, der nicht von beiden Volksparteien gestellt beziehungsweise unterstützt wird.

Wildern in FPÖ-Gefilden

Doch nun ist in Österreich politisch in Bewegung geraten und eine neue Situation entstanden. Bei der SPÖ hätte man gewarnt sein müssen, denn der - in vielen Augen langjähriger Funktionsträger - Jungspund ist ein ideenreicher Wahlkämpfer. So hatte Kurz mit seiner Geil-O-Mobil-Kampagne für Aufsehen gesorgt. 2010 kämpfte er in Wien mit dem Slogan "Schwarz macht geil" um Wählerstimmen und verteilte dabei Kondome. Bereits mit 24 Jahren gelang Kurz der erste große Karrieresprung: Begleitet von hämischen Kommentaren wurde er zum Integrationsstaatssekretär ernannt.

Jetzt lästert niemand mehr. Kurz versucht nun mit taktischen Manövern zu punkten. So lehnte er das in Österreich wichtige Amt des Vizekanzlers im sterbenden Kabinett Kern ab. Die vielen Reisen als Außenminister machten es ihm unmöglich, Vizekanzler zu sein, so Kurz. Das ist allerdings nur vorgeschoben, denn im Wahlkampf benötigt Kurz schlichtweg mehr Beinfreiheit. Deshalb schob er den parteilosen Justizminister Wolfgang Brandstetter auf diesen Posten. "Politik ist immer auch ein Rendezvous mit der Realität", sagte Kurz lapidar.

Zudem wildert Kurz eifrig in Gefilden der Rechtspopulisten. Mit seinem scharfen Asylkurs gräbt er der FPÖ einen großen Teil ihres Wassers ab. Der junge Außenminister war eine treibende Kraft hinter der Schließung der Balkanroute für Flüchtlinge. Die thematische Annäherung in der Flüchtlingsfrage lässt aber auch die Wahrscheinlichkeit einer Koalition aus ÖVP und FPÖ größer werden.

Bundespräsident mahnt bereits

Um in das Kanzleramt am Ballhausplatz einziehen zu können, versucht Kurz die Emanzipation - von der amtierenden Koalition und auch von seiner Partei. Der Sohn einer Lehrerin und eines Technikers, der sein Jurastudium noch nicht abgeschlossen hat, startet mit der "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" in den Wahlkampf. Ein Hauch Frankreich, wo Emmanuel Macron mit seiner Bewegung "En Marche!" den Etablierten von links und rechts die Rücklichter zeigte? Wohl kaum, denn die Liste ist nur eine neue Hülle für die alte ÖVP, die ihre Vorsitzenden seit langer Zeit nicht besonders gut behandelt. Bleibt abzuwarten, ob sie dem Polit-Yuppie über längere Zeit folgt.

So lange der Erfolg da ist, wird es so sein. Kurz will im Herbst Bundeskanzler werden - mit dann 31 Jahren. Noch ist unklar, ob der Hype um ihn anhalten und die ÖVP wirklich stärkste Partei im Nationalrat wird. Wichtig wird sein, wie Kurz in den Auseinandersetzungen vor der Wahl auf Attacken der politischen Gegner reagiert.

Er, Kanzler Kern und FPÖ-Lautsprecher Strache garantieren einen harten Wahlkampf, bei dem es mitunter auch unter die Gürtellinie gehen wird. Bundespräsident Van der Bellen, der eine Schlammschlacht gegen den FPÖ-Mann Hofer hinter sich hat, scheint dies zu befürchten, denn nicht ohne Grund mahnt der 73-Jährige eine von gegenseitiger Wertschätzung und gegenseitigem Respekt geprägte politische Auseinandersetzung an. Das Ansehen Österreichs in Europa und der Welt dürfe nicht zu Schaden kommen, so das Staatsoberhaupt. Es ist aber ziemlich unwahrscheinlich, dass die Warnung aus der Hofburg Beachtung finden wird.

Quelle: n-tv.de

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