Inselurlaub auf São Miguel

  24 Mai 2017    Gelesen: 812
Inselurlaub auf São Miguel
Seit Billigflieger die Azoren ansteuern, sind die Atlantikinseln so beliebt wie nie zuvor. Dauersonnenschein gibt es zwar nicht, aber: magische, azurblaue Kraterseen.
São Miguels größter Segen ist das wechselhafte Wetter. Meint zumindest Yves Decoster. "Es bewahrt uns vor Massentourismus à la Madeira", sagt der Belgier, der vor fast 30 Jahren auf die Insel gezogen ist. "Wer all-inclusive mit Sonne pur möchte, kommt nicht auf die Azoren." Auch wenn das portugiesische Archipel mitten im Atlantik für sein Hoch bekannt ist: Nicht selten fährt man bei strahlendem Sonnenschein los und steht zehn Minuten später im Nieselregen.

Trotz des launigen Wetters zieht es immer mehr Besucher hierher, seitdem Easyjet und Ryanair Mitte 2015 die Verbindung nach Ponta Delgada aufgenommen haben: 2016 zählten die Statistiker 1,9 Millionen Übernachtungen - 52 Prozent mehr als noch 2014. Die Zahl der Touristen schnellte um mehr als 200.000 auf fast 621.000 nach oben. Jüngster Beleg für den Hype: Der Reiseführer-Verlag "Lonely Planet" kürte die Region zu einer der "Must See"-Destinations in diesem Jahr.

Yves Decoster hat die Azoren schon in den Achtzigern als "Must see" und "Must live" entdeckt. Der Belgier - Mitte 50, ansteckendes Lächeln, grauer Pferdeschwanz - ist so etwas wie ein Promi auf São Miguel, der Hauptinsel des Atlantikarchipels. Zusammen mit seinem Partner Roland Pelfrene hat er nach dem sechsten Azoren-Urlaub beschlossen, dorthin auszuwandern, und sich seitdem als Künstler einen Namen gemacht.

Wer mit dem Auto über die Insel fährt, entdeckt überall seine Herzgemälde - auf Häuserfassaden, Ruinen und alten Straßenschildern. 300 Bilder sind es über die Jahre geworden. "Die Ideen dazu kommen spontan", sagt Decoster. "Mal ist es ein Walfisch, mal einfach nur Blumen. Mein Ziel sind 365 - für jeden Tag im Jahr eins."

Blaugrüne Kraterseen, Wasserfälle im Dschungel

Inselwetter und Herzgemälde - das ist es nicht, warum die Azoren gerade so hoch im Kurs stehen. Sondern: Vulkankessel mit azurblauen Kraterseen, Wasserfälle im Dschungel, heiße Quellen und Europas einzige Teeplantage auf São Miguel. Auf Pico der höchste Berg Portugals, der berühmte Käse auf São Jorge oder Faial als Hotspot der internationalen Segler-Community.

São Miguel selber umweht eine gewisse Mystik. Zu spüren ist das beim Blick auf den Kratersee Lagoa do Fogo vom Monte Redondo aus, der nicht selten von eilig vorbeiziehenden Wolken verschleiert wird. 1949 zerschellte hier ein Flugzeug mit dem damaligen Freund von Edith Piaf an Bord. Heute steigen Touristen den Pfad runter zum See, der im Sommer sogar umrundet werden kann.

Auch der Sete Cidades hat etwas Magisches: ein gigantischer, bis zu 850 Meter hoher Krater mit riesigem See. Den schönsten Aussichtspunkt, den "Boca do Inferno", erreicht man nach einer Serpentinen- und Schotterpistenfahrt. Ein Teil des Gewässers schimmert blau, der andere grün. Der Legende nach füllten einst die Tränen einer Prinzessin den See in ihren Augenfarben. Die weniger romantische Erklärung: Himmel und Bäume spiegeln sich im Wasser.

Nur ein paar Höhenmeter weiter unten liegt die verlassene Ruine des Fünf-Sterne Hotels Monte Palace. Die Betreiber konnten die einzigartige Lage mit Blick auf Sete Cidades nicht gut genug vermarkten und mussten Anfang der Neunziger Insolvenz anmelden - nur ein Jahr nach der Eröffnung. Heute sind die Eingangslobby und die Suiten moosbewachsen, Wasser tropft von der Decke. Wenn dann auch noch die Wolken durch die Hotelruine ziehen, wird auch dieser "Lost Place" zum mystischen Ort.

"Fang neu an"

Yves Decoster und Roland Pelfrene leben rund 40 Autominuten von Sete Cidades entfernt in Livramento. Ihr Anwesen haben sie "Vila Pavillon" getauft. Fünf Hunde, ein Pferd und ein Esel gehören dazu. Jahrzehntelang haben die beiden ein Restaurant auf dem Grundstück betrieben. À la carte, 14 Gäste maximal, fünf Vorspeisen, fünf Hauptgänge, fünf Nachspeisen. Vor ein paar Jahren haben sie sich dann gedacht: "Wir wollen was Neues." Seitdem kocht Roland Pelfrene in der Vila Pavillon nur noch auf Reservierung.

Yves Decoster serviert und plaudert mit den Gästen. In Wohnzimmer-Atmosphäre mit seinen Kunstwerken, einem Schallplattenspieler und einem knisternden Ofen in der Ecke. Fünf Gänge für 30 Euro - Wasser, Wein und Espresso inklusive. "Wir haben unser Hobby zum Beruf gemacht, was willst du mehr? Du darfst kein Job machen, der dir nicht Spaß macht. Dann fang neu an. Das ist unser Erfolgsgeheimnis", sagt Pelfrene augenzwinkernd.

Aber die beiden Belgier hadern mit der gestiegenen Popularität ihrer Wahlheimat. "Vor drei Jahren waren Badestellen wie in der Caldeira Velha oder auch der Poca da Dona Beija noch umsonst. Damals sind wir abends nackt reinspaziert, wie wir wollten. Jetzt zahlst du drei Euro, und alles ist abgesperrt."

Durch den Tourismus hätten außerdem die Grundstückpreise kräftig angezogen. Viele Portugiesen vom Festland kämen nach São Miguel, würden Häuser kaufen und dann an Urlauber vermieten. "Klar, das ist irgendwie der Lauf der Dinge, aber für die Einheimischen ist das schlecht", sagt Pelfrene.

Auch fürchten die Insulaner, dass ihre Landschaft durch Hotelburgen verunstaltet wird. 13 Projekte sind auf den Azoren laut Tourismusbehörde zurzeit in Planung - neun davon auf São Miguel. Geplante Bettenkapazität: 1154.

In den zehn Kilometer entfernt liegenden Inselhauptort Ponta Delgada fährt Roland Pelfrene seine Gäste in seinem betagten Landrover. Auf der Fahrt entlang der alten Küstenstraße zeigt er auf ein leer stehendes Haus: das Hotel, in dem das Paar auf seinen Reisen in den Achtzigern übernachtet hat. "Die Anreise war damals sündhaft teuer, das hier war das einzige Hotel. Abends saßen wir alleine im Speisesaal - die Kellner haben uns mit weißen Handschuhen bedient. Wir haben uns gefühlt wie die Könige!"

Die Zeiten haben sich geändert. Heute sorgen fast 40 Hotels und Dutzende Airbnb- Appartements allein in Ponta Delgada für Übernachtungsmöglichkeiten. Der Tourismus ist angekommen auf den Azoren - mit all seinen Vor- und auch Nachteilen.

Quelle : spiegel.de

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