Militäreinsatz in Brasilien weckt Erinnerung an Diktatur

  26 Mai 2017    Gelesen: 823
Militäreinsatz in Brasilien weckt Erinnerung an Diktatur
Nach gewaltsamen Ausschreitungen in der Hauptstadt hat die brasilianische Regierung die Armee mobilisiert. Der Schritt sorgte für tumultartige Szenen im Kongress.
Nach Massenprotesten und Ausschreitungen im Regierungsviertel von Brasilia - Demonstranten legten unter anderem ein Feuer im Agrarministerium - forderte die brasilianische Regierung Soldaten an. Wie Verteidigungsminister Raul Jungmann erklärte, wurden Militärs zu allen Ministerien geschickt. Zunächst sollen insgesamt 1500 Soldaten bis zum 31. Mai die Regierungsgebäude schützen.

Als der Armee-Einsatz in der laufenden Kongresssitzung bekannt wurde, kam es zu tumultartigen Szenen und Handgreiflichkeiten. Die Opposition um die linke Arbeiterpartei warf Temer eine Eskalation und Militarisierung vor. Der Schritt ist heikel in einem Land, das von 1964 bis 1985 unter der Militärdiktatur lebte. Zuletzt kamen Soldaten in schwierigen Sicherheitslagen oder bei Großereignissen wie den Olympischen Spielen zum Einsatz.

"Das ist eine extreme Maßnahme der Regierung Temer und ein klares Signal, dass die Regierung die Kontrolle verloren hat, mit sehr schlechten Folgen für unsere Demokratie", sagte der Analyst des Konsultingbüros Hold, André Cesar, in Brasilia. Auch Senator Tasso Jereissati von der sozialdemokratischen Partei PSDB erinnerte der Einsatz von Soldaten an die Militärdiktatur in Brasilien.

Mindestens 30 Verletzte

Zuvor hatten 35.000 bis 100.000 Menschen an Massenprotesten gegen Staatspräsident Michel Temer teilgenommen. Einige Demonstranten drangen dabei in das Landwirtschaftsministerium ein und randalierten dort, wie ein Ministeriumssprecher sagte. Sie legten demnach ein Feuer, zerstörten Fotos früherer Minister und lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei. Auch andere Ministerien wurden laut Regierung angegriffen. Die Polizei setzte Tränengas ein, mehrere Gebäude wurden evakuiert. Rund 30 Menschen sollen Berichten zufolge verletzt worden sein.

Erst nach mehreren Stunden beruhigte sich die Lage am Mittwochabend (Ortszeit) - aber für Temer wird die Lage immer brenzliger. Tasso Jereissati, Interimschef der Sozialdemokraten (PSDB), des größten Koalitionspartners, vermied ein Bekenntnis zu dem durch einen neuen Korruptionsskandal schwer in Bedrängnis geratenen Politiker.

Die aktuellen Proteste in Brasilia waren die heftigsten seit langer Zeit. Dazu aufgerufen hatten Gewerkschaften und soziale Bewegungen. Temer hatte 2016 die des Amts enthobene linke Präsidentin Dilma Rousseff abgelöst - er hatte sich als ihr Vizepräsident mit der Opposition verbündet und so die notwendigen Mehrheit für die Absetzung erreicht.

Verhängnisvoller Mitschnitt

Der Protest richtet sich unter anderem gegen eine Reform, die eine Ausweitung von Arbeitszeiten, Beschneidung der Mitsprache von Gewerkschaften und die Zahlung von Kosten bei Arbeitsprozessen durch die Angestellten vorsieht. Als "Brandbeschleuniger" der Proteste gegen Temer wirkte aber ein vergangene Woche publik gewordener Gesprächsmitschnitt.

Dabei geht es um ein Gespräch zwischen Temer und dem Besitzer des weltgrößten Fleischkonzerns JBS, Joesley Batista, der heimlich alles aufgezeichnet hatte. JBS soll über Jahre Politiker bestochen haben - Batista zahlte 65 Millionen Euro in einem Vergleich und packte aus.

Die Aufnahmen nähren den Verdacht von Schweigegeldabsprachen, damit Ex-Parlamentspräsident Eduardo Cunha, der bereits im Gefängnis sitzt, nicht sein Wissen über das ganze Korruptionsnetzwerk preisgibt. Temer soll zudem für seine jüngste Wahlkampagne von JBS 15 Millionen Reais (4,2 Millionen Euro) erhalten und eine Million (280.000 Euro) davon in die eigene Tasche gesteckt haben. Temer lehnt einen Rücktritt ab, aber es kursieren bereits Nachfolgekandidaten wie Joaquim Barbosa, der der erste afrobrasilianische Präsident des Obersten Gerichtshofs war.

Der neuntgrößten Volkswirtschaft droht durch den Skandal eine Hängepartie, zu einem Zeitpunkt, wo man langsam die tiefe Rezession überwindet - seit 2015 brach die Wirtschaftsleistung um 7,4 Prozent ein. 13,5 Millionen Menschen sind arbeitslos. In Städten wie Rio de Janeiro haben Gewalt und Unsicherheit stark zugenommen.

Quelle : spiegel.de

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