Vor 120 Jahren fuhr sie durch diesen Tunnel aus gelben Ziegeln, der sich in engen Kurven unter dem Berliner Ortsteil Gesundbrunnen windet. "Ein einzigartiges Denkmal", schwärmt Happel. Seit Kurzem führt er Besucher durch das feuchte Bauwerk und gibt Einblicke in die Zeit der U-Bahn-Pioniere. Damals erschlossen sie Neuland unter der Erde. Heute werden kilometerlange Netze wie selbstverständlich in den Untergrund getrieben - in der Regel aber weit weg von Berlin. In der Golfregion etwa und den Megastädten Ostasiens. Doch auch in Deutschland wird wieder gebohrt.
Deutsche Städte rüsten nach
Nürnberg, Düsseldorf, Hamburg, Berlin - sie alle haben in den vergangen Jahren ihre Netze ausgebaut. Prominentes Beispiel ist die U-Bahn unter dem Berliner Boulevard Unter den Linden. Eine 74 Meter lange Maschine hat dort zwei Röhren gebohrt, um eine Lücke in der Linie U5 zu schließen. Für die Strecke mit drei Bahnhöfen werden mindestens eine halbe Milliarde Euro fällig.
Die Anfänge vor 120 Jahren waren bescheidener. Arbeiter gruben den knapp 300 Meter langen ersten Tunnel auf dem Gelände der Allgemeinen Elektricitäts-Gesellschaft. "Die AEG wollte in das Geschäft des Metro-Baus einsteigen", sagt Happel. Die Gleise am Tunnelgrund hat Happels Verein Berliner Unterwelten in wochenlanger Knochenarbeit freigelegt, denn der Tunnel stand jahrelang unter Wasser. Jetzt können ihn Besucher besichtigen. Am Ausgang zum Gewerbehof darüber hängen fingerlange Tropfsteine.
London hatte im Jahr 1897 längst eine U-Bahn. Und brauchte sie auch, weil die Straßen mit Pferdekutschen verstopft waren und die Fernbahnhöfe am Rand der schnell wachsenden Metropole lagen. Die erste U-Bahn fuhr 1863 von Paddington bis zur sechs Kilometer entfernten Farringdon Street. Die erste Strecke machte die Bewohner nicht recht zufrieden, denn Dampfloks zogen die Züge. "Die Umgebungsluft war so giftig, dass ich, obwohl Bergbauingenieur, beinahe erstickt wäre und mir aus dem Zug geholfen werden musste", schrieb ein Londoner 1879. Die ersten Elektroloks kamen 1890.
AEG-Gründer Emil Rathenau wollte zeigen, dass auch im nassen Berliner Sand tiefe Tunnel möglich sind. Mit Erfolg. Zur Jungfernfahrt am 31. Mai 1897 ging es mit Anzug und Zylinder in den Schacht. Die offenen Wagen fuhren bis zu 30 Stundenkilometer. Doch die Stadtväter blieben skeptisch. "Sie hatten Angst um ihre neue Kanalisation", erklärt Happel. Den Zuschlag bekam schließlich die Konkurrenz: Werner von Siemens überzeugte zunächst mit einer Hochbahn, baute dann aber auch Tunnel, jedoch dicht unter dem Straßenpflaster.
Deutschlands Städte stiegen schubweise auf die U-Bahn um, Berlin und Hamburg als erste, noch zu Kaisers Zeiten, weil die Einwohnerzahlen nach oben schnellten. Erst in den 1960er- und 1970er-Jahren ging es weiter, dieses Mal der Autos wegen, deren wachsende Zahl die Innenstädte nicht überlasten sollte: Essen, Frankfurt, Köln, München, Nürnberg - immer mehr Städte schickten den Verkehr unter Tage, teils indem sie ihre Straßenbahnen in Tunnel verlegten. Inzwischen gibt es eine weitere Welle, wie Roland Leucker bemerkt, Geschäftsführer der Studiengesellschaft für Tunnel und Verkehrsanlagen in Köln. "Die Städte, die wachsen, verdichten nun ihr Netz", erklärt der Ingenieur.
Deutsche Ingenieurskunst ist gefragt
So plant Hamburg eine neue Linie, um den Norden und Nordwesten der Stadt besser ans Zentrum anzubinden - mit führerlosen Zügen, wie auf zwei Linien in Nürnberg. Der Ingenieur Leucker ist überzeugt, dass sich die Automaten-Bahnen durchsetzen werden. "Viele Unfälle werden durch menschliches Versagen herbeigeführt", meint er. Die richtig großen U-Bahn-Projekte gibt es heute dennoch außerhalb Europas. Aber die hiesigen Firmen mischen mit: Der badische Maschinenbauer Herrenknecht, dessen Technik auch Unter den Linden bohrte, lieferte gleich 21 Tunnelvortriebsmaschinen nach Katar. Durch die Hauptstadt Doha sollen künftig vier neue Metrolinien mit zusammen 111 Kilometern Länge führen.
Der Tunnel der AEG in Berlin war anfangs nur knapp 300 Meter lang. Er blieb eine Versuchsanlage, wurde später Transporttunnel von der Apparate- zur Großmaschinenfabrik. Obwohl der Tunnel also nie ans U-Bahn-Netz ging, wurde er dennoch zum Spiegel der Geschichte. Im Ersten Weltkrieg füllten Arbeiterinnen unter der Erde Granaten, im Zweiten suchten die Beschäftigten hier Schutz vor den Bomben. In den Tunnelwänden ist noch zu sehen, wo Trennwände und Sitzbänke der Luftschutzanlage eingelassen waren.
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