Er nominierte Ana Brnabic für den Posten der Regierungschefin. Sie ist Ökonomin, Finanz- und Marketingexpertin, bisher Ministerin für Verwaltung und: offen homosexuell. Falls die parteilose 41-Jährige in der nächsten Woche vom serbischen Parlament bestätigt wird, wäre sie nicht nur die erste Regierungschefin in der serbischen Geschichte, sondern auch die erste offen Homosexuelle in der gesamten Region.
Zwar war in Serbien bereits seit Wochen darüber spekuliert worden, wen der ehemalige Regierungschef Vucic, der Anfang April zum Staatspräsident gewählt wurde, zu seinem Nachfolger ernennen würde, dabei war auch Brnabics Name gefallen. Doch nur wenige hatten Vucic ihre Nominierung wirklich zugetraut. Denn wegen Brnabics sexueller Orientierung gibt es unter vielen Politikern und in der mächtigen orthodoxen Kirche starke Vorbehalte.
Kein Wunder also, dass sich serbische Medien nun mit Bewertungen zu Brnabics Nominierung als Regierungschefin überschlagen - sie sprechen von einer "historischen Entscheidung" und einer "Revolution in der serbischen Geschichte".
Ihr fehlt längere politische Erfahrung
Eine bemerkenswerte Entscheidung ist die Nominierung Brnabics nicht nur, weil sie eine Frau und lesbisch ist. Bis vor Kurzem hatte sie auch mit Parteipolitik und Arbeit in der Staatsverwaltung nichts zu tun. Brnabic, geboren 1975 in Belgrad, ging nach dem Abitur in die USA, studierte dort Betriebswirtschaft und später Marketing in England. 2001 kehrte sie nach Serbien zurück und arbeitete seitdem als Finanzexpertin und Beraterin.
Im vergangenen Sommer kam sie als Quereinsteigerin in die Politik - der damalige Regierungschef Vucic holte sie im August 2016 als Ministerin für öffentliche Verwaltung und lokale Selbstverwaltungen ins Kabinett. Schon damals sorgte ihre Ernennung für Schlagzeilen - Homosexualität ist in Serbien ein heikles Thema. Bei der Gay-Pride-Parade 2010 in Belgrad hatten Nationalisten und Rechtsextreme die Teilnehmer und die Polizei angegriffen, es gab Dutzende Verletzte.
"Brnabic ist nicht meine Ministerpräsidentin"
Danach fand erst wieder 2014 eine solche Parade statt - unter schweren Sicherheitsvorkehrungen und mit mehr Polizisten als Teilnehmern. Kurz zuvor hatte der Patriarch der serbischen orthodoxen Kirche Irinej eine schwere Überschwemmung als göttliches Warnzeichen vor Homosexualität bezeichnet.
Nach ihrer Ernennung als Ministerin kommentierte Ana Brnabic den Wirbel um ihre Homosexualität gelassen - sie hoffe, sagte sie im August 2016, dass sich die Aufregung nach drei Tagen legen und sie dann als Verwaltungsministerin wahrgenommen werde, nicht als lesbische Frau. Auch Vucic hatte damals betont, ihn "interessiere die sexuelle Orientierung seiner Ministerin nicht", er sei an ihrer Arbeit als Verwaltungsreformerin interessiert.
Doch Serbiens neuem Staatschef dürfte bewusst sein, wie heikel die Ernennung Brnabics als Regierungschefin ist. Einige Politiker aus dem Vucic-Lager äußerten bereits öffentliche Vorbehalte. Dragan Markovic Palma, Chef der Partei Vereinigtes Serbien, sagte etwa: "Brnabic ist nicht meine Ministerpräsidentin." Auch in Vucics Serbischer Fortschrittspartei (SNS) soll es viel internen Unmut über die Nominierung geben. Daher ist die Abstimmung im Parlament nächste Woche keine reine Formsache, sondern könnte für Vucic durchaus gefährlich werden.
"Ihre Nominierung sagt viel über Serbiens Demokratie aus"
Dass der serbische Staatspräsident die Nominierung dennoch wagte, hat mehrere Gründe. Brnabic gilt als äußerst loyal gegenüber ihm. Sie gibt nicht nur keine Kommentare zum zweifelhaften Zustand der serbischen Demokratie ab, sondern schweigt auch zum homophoben Klima in der Politik. Sie verfügt als Parteilose und als politische Quereinsteigerin nicht über die Macht, in größerem Maß eine eigene Politik zu gestalten. Vucic kann also praktisch mit verlängertem Arm regieren.
Zugleich gilt Brnabic als radikale wirtschaftsliberale Reformerin, die die undankbare und unpopuläre Aufgabe des Personalabbaus im aufgeblähten Staatsapparat effektiv erledigt - ein Vorhaben, mit dem sich der sehr aufs Image bedachte Vucic ungern in Verbindung bringen lassen will. Zudem genießt Brnabic einen hervorragenden Ruf in internationalen Finanz- und Unternehmenskreisen, was Serbien bei der Bewältigung seiner schweren Wirtschaftskrise helfen wird.
Und schließlich steckt hinter Brnabics Nominierung als Regierungschefin auch das Signal an die Europäische Union, dass Serbien einen pro-westlichen, pro-europäischen Weg verfolgt - und keinen eher pro-russischen wie der Außenminister Ivica Dacic von der Sozialistischen Partei, dem kleineren Koalitionspartner von Vucics SNS.
"Brnabics Nominierung ist auch eine starke symbolische Botschaft nach außen", sagt die Belgrader Politologin Jelena Milic, "eine Botschaft darüber, dass Vucic bereit ist, in vielen Fragen Flexibilität zu zeigen, zum Beispiel in der Kosovo-Frage. Anderseits ist sie eine Person, die noch niemals in ein öffentliches Amt gewählt wurde." Deshalb sage ihre Nominierung viel über Serbiens Demokratie aus.
Quelle : spiegel.de
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