Der Islamrat hat intern mit seinen 450 Gemeinschaftsmitgliedern erörtert, ob wir an der Demonstration teilnehmen sollten. Der Beschluss spiegelt das Meinungsbild unserer Gemeinden wider. Und wir sprechen hier von großen Gemeinschaften. Ditib vertritt circa 900, wir 450. Zusammengenommen ist das fast die Hälfte aller Moscheegemeinschaften in Deutschland.
Welche Gründe waren für Sie ausschlaggebend?
Wir haben in der Vergangenheit schon häufig an solchen Aktionen teilgenommen oder sie sogar mitorganisiert: Im Koordinationsrat der Muslime im September 2014 den Aktionstag gegen Gewalt, Unrecht und Rassismus mit circa 1.500 Moscheegemeinden, 2015 waren wir auf der Mahnwache in Berlin nach den Anschlägen in Paris. Wir haben Pressekonferenzen organisiert, in denen wir unsere Position klar zum Ausdruck gebracht haben und für ein starkes gesellschaftliches Miteinander geworben haben. Nach dem Anschlag in Berlin Ende 2016 waren wir auf dem Breitscheidplatz, haben uns dort gegen Terror positioniert und unseren Beistand und unsere Trauer geäußert. Es ist jedes Mal so, dass wir um ein Zeichen gebeten werden. Aber das bringt wenig.
Woran machen Sie das fest?
Wenn man so einen Aktionstag macht, haben die Leute am Ende ein gutes Gefühl, weil sie aktiv waren. Aber die Ursachen für die Probleme sind weiterhin vorhanden. Von der Politik werden sie auch nicht angegangen, weil man denkt, jetzt haben sich ja schon mal einige tausend Menschen auf die Straße begeben und dagegen demonstriert. Und bei der nächsten Gelegenheit äußert sich dann wieder ein Politiker, dass sich die Muslime entschlossener gegen Krieg, Gewalt und Terror stellen müssten. Wir haben das Gefühl, dass Friedensdemonstrationen zu einer Sisyphusaufgabe geworden sind. Demonstrationen können durchaus sinnvoll sein, aber mittel- und langfristig haben wir eben die Erfahrung machen müssen, dass sie nicht besonders erfolgversprechend sind.
Was wären aus Ihrer Sicht geeigneter?
Solange die Probleme in Syrien oder auch im Irak nicht angegangen werden, sind auch die in Europa nicht gelöst. Es ist auch wissenschaftlich erwiesen, dass insbesondere da, wo das legitime staatliche Gewaltmonopol erodiert, ein Nährboden für terroristische Organisationen entsteht. Wenn die Ursachen, warum einige Jugendliche eine gewisse Affinität für Terror und Gewalt entwickeln, nicht angegangen werden, dann werden wir auch in fünf und in zehn Jahren immer wieder gefragt werden, ob wir an einer Aktion teilnehmen, die sich gegen Terror und Gewalt stellt.
Das heißt, Sie möchten mit der Absage an dem Friedensmarsch die Politik herausfordern?
Ich möchte die Politik dazu aufrufen, an sie appellieren, stärker an den Ursachen für den Terror anzusetzen, statt den Religionsgemeinschaften, die auf diese Schieflage zwischen Symbolpolitik und reeller Ursachenbekämpfung aufmerksam machen, ihre gesellschaftliche Relevanz abzusprechen.
Aber denken Sie nicht, dass eine Friedensbewegung ein guter Appell ist?
Ganz im Gegenteil. Schauen wir uns doch den Ausgangspunkt dieser Demo an: Wenn der Rock-Konzert-Veranstalter Marek Lieberberg in seiner Wut-Rede die Muslime nicht in unzulässig pauschaler Weise dazu aufgerufen hätte, auf die Straße zu gehen und gegen den Terror zu demonstrieren, hätten wir diese Demo heute nicht. In die anschließende Debatte haben sich Politiker eingeklinkt und den Druck auf Muslime erhöht, ein Zeichen zu setzen. Dem sind nun zwei Einzelpersonen nachgekommen und haben der Veranstaltung den Namen Friedensmarsch gegeben. Im Grunde ist es aber eine Demo, in der sich Muslime – wie gefordert - vom Terror distanzieren. Und je häufiger dieser Zusammenhang hergestellt wird, desto schwieriger wird es für Muslime, Vorurteile und Ängste zu beseitigen. Das Negativbild des Islams wird nicht über Symbolpolitik beseitigt werden können. Wenn wir die Ursachen der negativen Wahrnehmung des Islam und der Muslime in der Bevölkerung angehen wollen, dann müssen wir von den politischen Verantwortlichen auch erwarten können, dass dort konkrete Konsequenzen hin zu einer Richtigstellung folgen. Derzeit dürfen in einigen Bundesländern angehende Kopftuch tragende Juristinnen ihr Referendariat nicht antreten, weil es gesetzlich verboten ist.
Ihre Verweigerung wird von Islamkritikern aber gegen Sie verwendet. Sehen Sie das nicht als Gefahr?
Natürlich das ist eine Gefahr. Die haben wir auch intern abwägen müssen. Aber wir können jetzt nicht einfach unsere Argumente beiseiteschieben und sagen, wir machen das jetzt noch einmal. Wir haben einfach gesehen, dass es mittel- und langfristig nicht viel bringt. Und wenn wir jetzt auf alle Rücksicht nehmen müssen, die meinen, dem Islam gegenüber mit noch mehr Skepsis zu begegnen, weil die zwei großen islamische Religionsgemeinschaften nicht an einer Demo mitgemacht haben, dann muss ich davon ausgehen, dass man sie von ihrer Skepsis auch nicht mit einer Aktion wie die am Samstag hätte befreien können.
Murat Gümüş ist Stellvertretender Generalsekretär der IGMG e. V. Generalsekretär des Islamrates für die BRD
Quelle: FAZ.NET
Tags: