In Zyoern wurden die ersten Fotos aus einem Krisengebiet geschossen, sie veränderten jedoch seine Haltung grundlegend. In Zypern lernte er schnell Momente einzufangen, die das wesentliche beinhalten, Emotionen unverhüllt zeigen. "Zypern hat mich in den Anfängen durch Emotionen erfasst, und der Anfang dessen, was man Empathie nennt, überkam mich", schrieb er in seiner Autobiographie "Unreasonable Behaviour". Er fühlte, dass er das Wesen des Schreckens, die er im Fokus sah, in Feinheiten isolieren und dies dem Betrachter vermitteln konnte. Seine Hoffnung, die doch so oft von Kollegen wiedergegeben wurde aber nie fruchtete, die schlimmsten Krisenherde zu dokumentieren und die Welt zu zwingen, sich mit einem unvergesslichen Bild zu beschäftigen, sie erfüllte sich nicht. Im Jahr 1964 gewann das Bild zwar den Pressefotografenpreis World Press Foto des Jahres 1964, doch der Bekanntheitsgrad des Bildes hat es nicht vermocht, dass die Krise noch zehn weitere Jahre anhalten konnte, bis die Türkei dem ein Ende setzte und intervenierte.
Das Elend der trauernden Frau in dem preisgekrönten Bild, hat die elementarsten Gesten der Szene erfasst, die Position der Hände, die Geste des Sohnes, die zwei Frauen die zu schreien scheinen, sie zeigen eine kollektive Ohnmacht und Trauer. Das Foto ist unbestreitbar aufdringlich und doch, Jahrzehnte später, erinnert sich der britische Fotograf an die Schrecken der Zeit, die er miterlebt hat. Sie verfolgen ihn Nacht für Nacht. In seiner Autobiographie schrieb McCullin, "es gab viele Gräueltaten in den abgelegenen türkischen Dörfern und [...] die Ereignisse waren im Begriff, eine noch schrecklichere Wendung zu nehmen."
Im Jahr 2013 sagte McCullin in einem Interview, dass er nicht mehr daran glaubt, Bilder aus dem Krieg die man für Menschen schieße. würden der Gesellschaft die Augen öffnen und der Wahrheit näher bringen. Die Schockbehandlung habe somit ihre Wirkung verloren. Was bringen also Bilder, auf die wir nicht reagieren können, die uns psychologisch sogar belasten und die wir verdrängen? Ein Kriegsfoto zeigt uns den schmerzlichen Widerspruch und es gibt keine Flucht vor ihm, sagt McCullin dazu.
Hintergrund des Bildes mit der trauernden Frau
Als McCullin im Frühjahr 1964 in Zypern ankam, hatten bereits schwere Kämpfe zwischen griechischen Zyprioten und türkischen Zyprioten stattgefunden. Die Unabhängigkeit Zyperns, veranlasst durch Großbritanien im Jahre 1960, stand auf wackligen Füßen. Im Dezember 1963 brach die Gewalt erneut aus, als der griechisch-zypriotische Erzbischof Makarios III. Verfassungsänderungen vorschlug, die die Position der türkischen Zyprioten bedrohten. Die Situation wurde derart gewalttätig, dass die Vereinten Nationen eine internationale Friedenstruppe (UNFICYP) mit einem Mandat ausstatteten, die am 13. März 1964 auf der Insel stationiert wurde. Am 19. März 1964 griffen die griechischen Zyprioten das türkisch-zypriotische Dorf Gaziveren an, eine türkische Enklave an der Morfou-Bucht (Güzelyurt Körfezi) im Nordwesten der Insel. Britische Truppen versuchten zwar zu intervenieren, wurden aber aus dem Dorf abgezogen, als die Dunkelheit einbrach.
In der Zwischenzeit wurden zwei Waffenstillstände ausgehandelt, um etwa 200 Frauen, Kinder und ältere Männer im örtlichen Schulgebäude unterzubringen und in Sicherheit zu wiegen. Die türkischen Zyprioten stimmten dem zu, versicherten zudem, keine bewaffneten Männer in das Schulgebäude einzuschleußen. Die griechischen Zyprioten nahmen das Waffenstillstandsabkommen an und versicherten die Schule von Gefechten auszuschließen. Am nächsten Morgen, als die britische Armee zurückkehrte, verließen die Frauen und Kinder die Schule im Schutze der Soldaten, um ihre männlichen Verwandten, Ehemänner und Söhne zu suchen. Sie fanden jedoch nur tote Jugendliche, Männer und ihre beschädigten oder zerstörten Häuser. McCullin schoß dabei dieses und andere Bilder.
Am 15. Juli 1974, also vor genau 40 Jahren, putschten mit Unterstützung der griechischen Militärjunta in Athen, organisiert vom "starken Mann“ des Regimes, dem griechischen Offizier Dimitrios Ioannidis, Offiziere der Zyprischen Nationalgarde gegen die Regierung von Erzbischof Makarios III. und machten Nikos Sampson zum Präsidenten von Zypern. Ziel dieses Putsches war der Anschluss Zyperns (Enosis) an Griechenland unter eindeutiger Verletzung der Zürcher und Londoner Abkommen, die zwischen der Türkei, Griechenland und Großbritannien ratifiziert wurden. Die Bewegung hatte die gleichen politischen Ziele im Visier, die von den EOKA-Guerillas verfolgt wurden, die in den späten 1950er Jahren die Briten unter Georgios Grivas, einem zyprisch-griechischen Offizier, bekämpften. Der Putsch gab der Garantiemacht Türkei alle Macht der Welt, die ihr durch Abkommen mit Griechenland und Großbritanien zustanden, um die militärische Operation "Attila" fünf Tage später zu starten. Am 20. Juli landeten die ersten Landungsboote der türkischen Marine im Norden der Insel und stießen innerhalb weniger Tage bis zur gegenwärtigen Demarkationslinie.
Obwohl die griechische Militärjunta aufgrund eines drohenden Krieges mit der Türkei am 23. Juli 1974 stürzte und auch Sampson sein Amt niederlegte, entschied sich die Türkei am 14. August 1974 dazu, die Invasion auszuweiten. Durch paramilitärische Zyperngriechen wurden am 14. August die Massaker von Maratha, Santalaris und Aloda (heute: Nordzypern) an Türken mit 126 Todesopfern verübt. Auch aus der bis dahin gemischt bewohnten Ortschaft Tochni (heute: Republik Zypern zwischen Larnaka und Limassol gelegen) wurden 85 türkische Einwohner am Abend des 14. August entführt und ermordet.
Im Ergebnis wurde die noch heute durch die UNFICYP und die unter britischer Hoheit stehende Souveräne Militärbasis Dekelia (Vereinigtes Königreich) kontrollierte Grüne Linie etabliert, welche von der türkischen Seite als Atilla-Linie bezeichnet wird. Sie erstreckt sich von Erenköy/Kokkina in der Bucht von Morfou über das seit 1964 geteilte Nikosia bis nach Famagusta. Im Dezember 1974 erlangte die Republik Zypern mit ihrer alten Regierung ihre volle Souveränität zurück. Die Türkei jedoch weigerte sich bis heute, ihre Besatzungstruppen abzuziehen und das besetzte Territorium zu räumen.
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