Die Zeit der Zurückhaltung endet

  28 November 2015    Gelesen: 896
Die Zeit der Zurückhaltung endet
Bundeskanzlerin Merkel verabschiedet sich zusehends von der Kultur militärischer Zurückhaltung. Widerwillig. Jetzt gibt es auf dem Weg zu deutschen Bomben keinen Zwischenschritt mehr.
Im Jahr 2011 sprach die Welt von der Westerwelle-Doktrin. Doch die Annahme, dass die Haltung der Bundesrepublik im Libyen-Krieg vor allem die Haltung des damaligen Außenministers Guido Westerwelles war, führt in die Irre. Sie war auch die Haltung von Kanzlerin Angela Merkel.

Die CDU-Politikerin verabschiedet sich nun zusehends von der sogenannten Kultur der militärischen Zurückhaltung. Der geplante Einsatz von Tornado-Aufklärungsflugzeugen in Syrien markiert einen weiteren Schritt, wohl den letzten, bevor Deutsche wieder mit Bomben intervenieren.

Größtes außenpolitisches Debakel?

Die militärische Zurückhaltung Deutschlands im Libyen-Krieg wusste die damalige Bundesregierung nie plausibel zu erklären. Als sich mehrere Nato-Partner 2011 in einen Kampfeinsatz gegen den libyschen Despoten Muammar al-Gaddafi stürzten, wollte die Bundesrepublik den Einsatz der Bundeswehr um jeden Preis verhindern. Im Weltsicherheitsrat enthielt sie sich. Das Aufbegehren des libyschen Volkes im arabischen Frühling, die Angriffe der Nato und den Sturz Gaddafis bewertete sie wiederum als richtig. Gutheißen, aber nicht mitmachen, das nahmen ihr nicht nur die Verbündeten im Ausland übel. Merkels Kollegen in Deutschland mussten nicht auf diplomatische Gepflogenheiten achten und fällten verheerende Urteile.

Ex-Kanzler und Ziehvater Helmut Kohl sagte: Deutschland sei "keine berechenbare Größe mehr - weder nach innen noch nach außen".

Der frühere grüne Außenminister Joschka Fischer sprach vom vielleicht "größten außenpolitischen Debakel seit Gründung der Bundesrepublik".

Kanzler a.D. Helmut Schmidt sagte: "Unsere Nachbarn können sich im Augenblick nicht mehr unbedingt auf die Deutschen verlassen; sie rätseln, was die Deutschen wollen."

Die so beklagte deutsche Unentschiedenheit hatte einen Grund. Sie war das Ergebnis leidlicher Erfahrungen. Auf den Nachkriegspazifismus der jungen Bundesrepublik folgte Ende der 1990er Jahre der Einsatz der Bundeswehr im Kosovo - im Bewusstsein, schwerste Menschenrechtsverletzungen verhindern zu müssen. Schon der Isaf-Einsatz in Afghanistan, der darauf folgte, zeigte allerdings: Interventionen können in ein zähes Ringen um Minimalfortschritte ausarten. Der Irak-Krieg, an dem sich Deutschland wohlbegründet nicht beteiligte, offenbarte dann in epischer Breite, dass Raushalten durchaus die richtige Entscheidung sein kann.

Solidarität mit den Nato-Partnern hin oder her - vier Jahre später lässt sich auch das Nein der Bundesrepublik zu Libyen durchaus anders bewerten. Der Despot ist zwar weg, doch im Land herrscht noch immer Bürgerkrieg. Die nach Freiheit und Demokratie strebenden Kräfte, die der Westen unterstützt hat, sind nicht die Triumphierenden, der Islamische Staat (IS) erstarkt.

Eher widerwillig löst sich Merkel wohl auch deshalb von ihrer halbherzigen Haltung, die Machenschaften von Despoten und Terroristen zwar zu verurteilen, den Kampf gegen sie zu preisen, aber selbst nicht daran teilzunehmen.

Neue Rekruten für den IS?

Im Kampf gegen den IS setzte Merkel zunächst verstärkt darauf, regionale Mächte zu "ertüchtigen". Die Bundesrepublik unterstützt die kurdischen Peschmerga im Irak mit Waffen und Ausbildung.

Nach dem Anschlag in Paris versprach Merkel zwar "jedwede Unterstützung", Äußerungen ihrer Verteidigungsministerin ließen aber darauf schließen, dass sie darauf hoffte, es bei mehr Ausbildung und Waffen für die Peschmerga und ein ohnehin geplantes größeres Engagement in Mali belassen zu können.

Bei ihrem Besuch in Frankreich am Mittwoch sagte sie dann: "Der Islamische Staat muss mit militärischen Mitteln bekämpft werden." Da dürfte ihr schon klar gewesen sein, dass Frankreichs Präsident François Hollande mehr von ihr verlangen würde. Die Bündnispartner nach dem Libyen-Erlebnis wieder allein zu lassen, und das auch noch angesichts eines derart verheerenden Anschlags, war aller Bedenken zum Trotz offenbar keine Option mehr. Die aufgrund der Euro- und Flüchtlingskrise ohnehin angekratzen deutsch-französischen Beziehungen dürften dazu beigetragen haben. Am Tag darauf folgte die Bestätigung, dass Tornados in Syrien zum Einsatz kommen sollen, zwar nur zur Aufklärung, doch damit geht Merkel schon sehr weit. Sollte je noch mehr gefordert werden, hieße die nächste Eskalationsstufe nach der Markierung von Zielen, Bomben abzuwerfen.

Offensichtlich ist: Mit dem Einsatz von Tornados ist Deutschland endgültig in den syrischen Bürgerkrieg verwickelt. Und es gibt große Zweifel, ob die Allianz gegen den IS den richtigen Weg geht. Zum Beispiel von Jürgen Todenhöfer, einem der wenigen Journalisten, die das sogenannte Kalifat von innen erlebt haben und noch davon berichten können. Todenhöfer fürchtet, dass der Westen in eine Falle des IS tappt - genauso wie nach 9/11. Der IS wolle die Luftangriffe des Westens. "Der Hauptgrund dafür, dass wir uns Terror ausgesetzt sehen, ist, dass Bomben vor allem Unschuldige töten und so dafür sorgen, dass Terroristen neue Rekruten bekommen." Neue Rekruten könnte dem IS auch eine Ankündigung Frankreichs bescheren. Ausgerechnet am Tag nach der deutschen Tornado-Zusage ließ Außenminister Laurent Fabius die Welt an seinen Gedankenspielen über eine Zusammenarbeit mit Bodentruppen des syrischen Machthabers Baschar al-Assad teilhaben. Der war schließlich der Grund für den Ausbruch des Bürgerkriegs und ist mehr denn je in der syrischen Bevölkerung verhasst.

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