Gelten Scharia-Scheidungen in Deutschland?

  14 September 2017    Gelesen: 968
Gelten Scharia-Scheidungen in Deutschland?
Syrische Scharia-Scheidungen sind zu diskriminierend für Frauen, um in Europa wirksam zu sein. So lässt sich ein Gutachten des Generalbundesanwalts des EuGH zusammenfassen.

Soha S. musste zwischen zwei Übeln entscheiden. So schildert es ihre Anwältin. Sie war völlig mittellos, als ihr Ehemann einseitig die Scheidung bei einem syrischen Scharia-Gericht einreichte. Laut ihrer Anwältin blieb ihr deswegen nichts anderes übrig, als sich auf den Deal einzulassen, der ihr angeboten wurde: 20.000 US-Dollar. Dafür und für einige andere Zugeständnisse sollte sie ihren Gatten von allen weiteren Ansprüchen entbinden.

Als ihr Mann sich daran machte, der Scheidung auch in Deutschland Rechtskraft zu verleihen, fing sie an, sich zu wehren und sorgte dafür, dass ihr Fall am Europäischen Gerichtshof (EuGH) landete. Wahrscheinlich wird sie sich dort demnächst durchsetzen.

Der zuständige Generalanwalt am EuGH hat die Scheidung in seinem Schlussantrag für ungültig erklärt. Das Gutachten des Juristen ist nicht bindend, doch in der Regel folgt das Gericht diesen Empfehlungen.

In letzter Konsequenz lässt sich die Einschätzung des Generalanwalts wie folgt zusammenfassen: Scheidungen, die auf islamischem Recht in Syrien beruhen, sind so diskriminierend für Frauen, dass sie in Europa nicht wirksam sein können. Dahinter verbirgt sich ein hochkomplexer Fall.

Durcheinander bei binationalen Ehen

Soha S., geboren im Jahr 1960 in Syrien, heiratete im Mai 1999 im syrischen Homs. Ihr Gatte war der wohlhabende Arzt Raja M., ebenfalls geboren in Syrien, allerdings schon im Jahr 1943. Die Eheleute führten ein Leben, das zwischen Deutschland und Syrien pendelte – mit Stationen im Libanon und in Kuwait. Sie verbrachten aber ausreichend Zeit in der Bundesrepublik, um eingebürgert zu werden. Deshalb sind sie Doppelstaatler.

Es war im Jahr 2013, als M. nicht mehr wollte. Er beauftragte einen Bevöllmächtigten, der bei einem geistlichen Gericht in Latakia eine Privatscheidung einreichte. Das Scharia-Gericht stimmte zu.

M. setzte noch im selben Jahr alles in Bewegung, um der Scheidung auch in Deutschland Rechtskraft zu verleihen, und bat um Anerkennung. Das Oberlandesgericht München stimmte zu und verwies auf die EU-Verordnung 1259 aus dem Jahr 2010, die kurz "Rom III" genannt wird. Diese wurde erlassen, um mehr Ordnung in das Durcheinander zu bringen, das angesichts einer Vielzahl binationaler Ehen besteht. Es soll regeln, welches Recht wann zur Anwendung kommt. Im Fall S., so entschied es zunächst das Oberlandesgericht München, war es das syrische.

Artikel 8C der EU-Verordnung legt fest, was passiert, wenn Ehepartner wie Soha S. und Raja M. keinen klar auszumachenden Lebensmittelpunkt haben. Ausschlaggebend ist danach, dass das Paar "deutlich überwiegend" in Syrien gelebt hat und die Ehe auch dort geschlossen wurde.

Verstoß gegen als grundlegend angesehene Werte

Gegen dieses Urteil schritt Soha S. im Jahr 2015 ein. Sie forderte, die Entscheidung aufzuheben, und erklärte ihren Fall. Sie verwies laut ihrer Anwältin darauf, dass sie die 20.000 Dollar nie vollständig bekommen habe. Sie pochte demnach aber vor allem auf die Ungerechtigkeit, die ihr widerfahren sei. Das Münchener Gericht bat beim EuGH um Rat.

In seinem Schlussantrag verweist der Generalanwalt nun ebenfalls auf einen Artikel der Rom-III-Verordnung: Demnach muss ein Land, im Falle von Soha S. Deutschland, das eigene Recht anwenden, wenn das ausländische Recht gegen "als grundlegend angesehene Werte" verstößt. In diesem Fall ist damit die Gleichberechtigung von Mann und Frau gemeint.

Sollte der EuGH der Empfehlung des Generalanwalts tatsächlich zustimmen, wären die Folgen weitreichend. Zunächst einmal müsste ein neues Scheidungsverfahren nach deutschem Recht beginnen. Zugleich würde ein zweites Verfahren wieder anlaufen: Soha S. hat laut ihrer Anwältin am Amtsgericht München auf Unterhalt geklagt. Das Verfahren wird bis zur Entscheidung des EuGH ausgesetzt. M. müsste womöglich rückwirkend für seine Frau aufkommen. Und noch pikanter: Ehemann M. hat im Glauben, auch in Deutschland offiziell geschieden worden zu sein, erneut geheiratet. Soha S. Anwältin zufolge wäre diese Hochzeit ungültig.

Quelle: n-tv.de

Tags:


Newsticker