Willkommen in Russlands neuem Superknast
Acht Jahre lang dauerte in Kolpino bei St. Petersburg die Arbeit am wohl größten Untersuchungsgefängnis Europas mit Platz für rund 4000 Häftlinge. Mit Folter, Kälte und gegenseitiger Denunziation gelten Russlands Gefängnisse als Hölle auf Erden. Nun hoffen Menschenrechtler mit der Eröffnung von "Kresty-2" auf eine Humanisierung des Strafvollzugs.
"Der Neubau berücksichtigt europäische Standards", sagt Kornijenko. Erstmals gibt es in einem russischen Gefängnis abgetrennte Toiletten, die Zellen sind heller, und jedem Häftling stehen mindestens sieben Quadratmeter zur Verfügung. Zugleich entsteht die Infrastruktur einer Kleinstadt: Neben Wohngebäuden für Mitarbeiter und einem Hotel für Besucher der Häftlinge wurden eine Klinik und Gebetsräume sowie Sporthallen und eine Sauna gebaut.
System roher Gewalt
"Wir scheuen den internationalen Vergleich nicht", meint Kornijenkos Kollege Waleri Bojarinzew. "Kresty-2" soll mit seinem düsteren Vorgänger "Kresty" (Kreuze) nur noch die kreuzförmige Anordnung der Gebäude gemeinsam haben. In der mittlerweile stillgelegten Anlage waren blutige Misshandlungen der Alltag - wie in so manchen Gefängnissen des Landes.
Sogar Justizminister Alexander Konowalow verglich die Zustände dort mit dem Gulag - Straflagern zu Zeiten des Sowjetdiktators Josef Stalin. Wie brutal es zugehen kann, beschrieb auch Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn (1918-2008) in seinem Werk "Der Archipel Gulag". Aus der Haft entlassene Gefangene wie die Frauen der kremlkritischen Punkband Pussy Riot berichten aus erster Hand von einem System roher Gewalt.
Nadeschda Tolokonnikowa und Maria Aljochina beklagen auch, dass der Staat die Zwangstätten nach wie vor zur Ausbeutung billiger Arbeitskräfte nutze, die oft bis zu 14 Stunden am Tag schuften müssten. Die Pussy-Riot-Musikerinnen haben nach ihrer Entlassung Ende 2013 eine Organisation gegründet, die weltweit auf Missstände in Gefängnissen hinweisen will.
Verschimmelte Speisen und Prügelstrafen
Der kremlkritischen Zeitung "Nowaja Gaseta" zufolge schreiben Angehörige brutal misshandelter oder sogar getöteter Gefangener immer wieder flehend an Präsident Wladimir Putin, er möge gegen "sadistische Knastaufseher" vorgehen. Doch Anwälte, Menschenrechtler und die Vereinigung der Gefangenen in Russland beklagen, diese Beschwerden blieben meist folgenlos für die genannten Peiniger. Nun soll mit dem rund 170 Millionen Euro teuren Neubau "Kresty-2" alles besser werden.
Mehr als 500 Kameras in den beiden achtstöckigen Gebäuden sollen Misshandlungen durch Wärter verhindern helfen. "Das komplett elektronische Überwachungssystem macht den Verzicht auf Wachtürme möglich, die sonst für Gefängnisse so typisch sind", sagte Strafvollzugschef Kornijenko dem Radiosender Echo Moskwy. Eine fünf Meter hohe Betonmauer säumt das etwa 35 Hektar große Areal. Auf der Fläche von umgerechnet 50 Fußballplätzen brauchen die Angestellten Fahrräder, um zu den einzelnen Abteilungen zu kommen.
Bereits vor Jahren wurden Reformen im Strafvollzug eingeleitet. So führte der damalige Präsident Dmitri Medwedew 2010 neue Regeln für Hausarrest als alternative Strafform ein. Damit sollte die Zahl der landesweit fast eine Million Häftlinge drastisch sinken. Eins der größten Probleme sei aber, dass das Personal zum Großteil dasselbe bleibe, meinte das kremlkritische russischsprachige Magazin "The New Times" einmal. Und so gibt es weiter Klagen über Ernährung mit verschimmelten Speisen oder Schutzbehauptungen, das Personal habe sich mit Prügelstrafen nur gegen gewalttätige Insassen verteidigt.
Kornijenko zufolge sollen die ersten Häftlinge Anfang 2016 aus teils überfüllten Einrichtungen des Landes in das neue Riesengefängnis verlegt werden. Mag "Kresty-2" in den Augen des Strafvollzugschefs auch ausbruchsicher sein - die erste Flucht gab es bereits. Zwei 19-jährige Häftlinge, die zum Helfen auf der Baustelle der modernen Anlage abkommandiert waren, konnten unbemerkt verschwinden.