Der Boden des Mittelmeers ist demnach durch die Kollision der Afrikanischen Platte mit der Eurasischen in ein Puzzle aus kleineren tektonischen Blöcken und Fragmenten zerbrochen. Damit geht ein erhöhtes Erdbeben-Risiko einher – vor allem im östlichen Mittelmeer. "Für die West-Türkei besteht die Gefahr eines potenziellen Tsunamis, der die gesamte Küstenlinie beträfe", sagt GFZ-Forscherin Vasiliki Mouslopoulou im Gespräch mit n-tv.de.
Das östliche Mittelmeer ist die Region mit der höchsten seismischen Aktivität in Europa. Umso erstaunlicher ist, dass die Gegend seit mehr als 4000 Jahren nur zwei Großbeben hervorgebracht hat, von denen man weiß. "Das zerstörerischste Beben fand im Jahr 365 statt", erzählt Mouslopoulou, Leit-Autorin der Studie. "Damals entstand ein großer Tsunami, von dem Kreta und die Peloponnes sowie die südwestliche Türkei, Zypern, Libanon, Israel beziehungsweise Palästina, Ägypten, Malta, Sizilien und Kalabrien betroffen waren." Rund 1000 Jahre später, 1303, trafen Beben und Tsunami Kreta, Rhodos, abermals die südwestliche Türkei, Zypern, Libanon, Israel (Palästina) und den Norden Afrikas.
Kreta durch Beben 100 Meter angehoben
Südlich von Kreta taucht der afrikanische Teil des Meeresbodens unter die Ägäische Mikroplatte. Die Forscher untersuchten die Erdbebengeschichte dieser Subduktionszone, um besser zu verstehen, welche Prozesse die Entstehung von Erdbeben und ihre Wiederholungsintervalle steuern. 50.000 Jahre gingen die Wissenschaftler dabei zurück. "Das ist mehr als das Zehnfache des bisherigen Zeitfensters der Beobachtungen von Paläo-Erdbeben im östlichen Mittelmeer", so Mouslopoulou. "Wir konnten erstmals überhaupt das zeitliche und räumliche Verteilungsmuster kartieren, mit dem Mega-Erdbeben den Hellenischen Bogen durchbrechen."
Dazu identifizierten und kartierten die Geowissenschaftler alte Küstenlinien von ganz Kreta, die sich heute bis zu 23 Metern über dem Meeresspiegel befinden. Jede dieser Paläo-Küstenlinien spiegelt den Meeresspiegel der Vergangenheit wider zum Zeitpunkt ihrer Entstehung, so die Annahme. Die Höhe über Normal-Null gibt die gesamte vertikale Anhebung durch Erdbeben wieder. Durch eine Kohlenstoff-Datierung der Fossilien der damaligen Meeresfauna an diesen Paläo-Küstenlinien konnten die Forscher bestimmen, dass während der vergangenen 50.000 Jahre sowohl West- als auch Ost-Kreta durch mindestens 40 starke Erdbeben um etwa 100 Meter angehoben wurden. Die Quellen dieser Beben lagen vor der Küste in drei seismischen Bruchzonen, die sich entlang des westlichen und östlichen Teils des Hellenischen Bogens befinden. Offenbar gleitet das östliche Segment, anders als bislang angenommen, nicht ohne Erdbeben, sondern kann starke Erdbeben erzeugen. Daraus folgt, dass die seismische Gefährdung im östlichen Mittelmeer bedeutend höher ist als bisher angenommen.
Schwere Beben zu erwarten
Eine weitere Überraschung war die zeitliche Bündelung der untersuchten Erdbeben: "Wir entdeckten auch, dass – im Gegensatz zu den meisten Subduktionszonen auf der Erde – die starken Erdbeben in zeitlicher Häufung auftraten", erklärt Mouslopoulou. "Unsere Daten zeigen, dass die meisten der Paläo-Erdbeben in einer Zeitspanne von 10.000 Jahren stattfanden, während es auch Perioden von bis zu 20.000 Jahren mit relativer seismischer Ruhe gab." Wenn man die seismische Aktivität über die vergangenen 50.000 Jahre mittelt, brach die Störungszone unter West-Kreta anscheinend alle 4500 Jahre. Im Zeitraum von 5000 bis 20.000 Jahren vor heute geschah es in Abständen von 1500 Jahren; im Zeitraum von 0 bis 3000 Jahre v.Chr. geschah es gar nicht. Ähnliches gilt für die beiden anderen seismischen Zonen.
Damit ist es schwierig, die Wiederholungszeiten starker Erdbeben im östlichen Mittelmeerraum zu berechnen. Zurzeit durchläuft der Hellenische Bogen eine Phase relativer seismischer Ruhe. Dennoch sind, so die Forscher, unter West- und Ost-Kreta schwere Beben zu erwarten. Wann, das ist schwer zu sagen. Vorbeugungsmaßnahmen wie Tsunami-Frühwarnsysteme und erdbebensicheres Bauen müssen die erhöhte Gefährdungsberechnung auf jeden Fall berücksichtigen, resümieren die Wissenschaftler.
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