“Russische Schlamperei schuld an Suchoi-Abschuss“

  05 Dezember 2015    Gelesen: 937
“Russische Schlamperei schuld an Suchoi-Abschuss“
Der international renommierte Militärluftfahrexperte Tom Cooper will den Hergang des Abschusses des russischen „Fencer“-Bombers durch türkische F-16 rekonstruiert haben. Demnach hätten die Russen den Flug nicht wie vereinbart angekündigt und auf Notrufe gar nicht reagiert.
Das Video war dramatisch: Eine graublaue Suchoi Su-24 „Fencer“ schoss wie ein Meteor über den blauen Himmel, eine Spur brennenden Kerosins nachziehend. Ihr Cockpit war schon leer, da kippte sie in Rückenlage, bevor sie in grünen Hügeln im Norden Syriens nahe der türkischen Grenze aufschlug.

Dieser Abschuss durch türkische F-16-Jäger am 24. November versetzte viele Beobachter in Aufregung. Umso mehr, als klar wurde, dass das Opfer ein russisches Flugzeug war: Da fürchteten manche, den Anfang des Dritten Weltkriegs gesehen zu haben. Immer noch steckt der Schrecken tief. Kombiniert mit Fehleinschätzungen, Vorurteilen der Türkei gegenüber und Falschmeldungen aus Moskau verursacht es fast eine Lähmung, die selbst angesehene Militärfachleute unfähig machte, vernünftige Schlüsse über die Ursachen zu ziehen. Dabei waren die Ursachen einfach, wie der Autor dieser Zeilen durch eine persönliche Recherche in türkischen, syrischen, russischen, US- und Nato-Quellen feststellen konnte. (Die Quellen möchten und müssen sich freilich bedeckt halten.) Dazu muss man nur wenig ausholen.

Vorankündigung vereinbart

Nach einer Reihe provokanter Verletzungen des türkischen Luftraums durch in Syrien stationierte russische Jets seit Oktober drohte Ankara mit Gewalt. Also besuchte der Vizechef der russischen Luftwaffe am 15. Oktober die Türkei. Man vereinbarte, dass jeder Flug, der in die Nähe der türkischen Grenze führte, mindestens zwölf Stunden zuvor angekündigt würde.

Eine Hotline wurde eingerichtet, die die Türken nutzen sollten, die russischen Militärs zu warnen, falls sie der Grenze zu nahe kommen. Derartige Maßnahmen waren vor allem nötig, weil die üblichen Funkgeräte älterer russischer Kampfflugzeuge, etwa der Fencer, unglaublicherweise keine der weltweit üblichen Notruffrequenzen (121,5 und 243 Megahertz) abhören können. Dazu ist ein Zusatzmodul nötig, das in dem Fall gefehlt haben muss.

Umständlicher Zielanflug

Und: Die veraltete Navigationsanlage der Su-24 (der Schwenkflügelbomber sollte einst in einem Dritten Weltkrieg rückwärtige Ziele der Nato etwa im Rheinland und den Benelux-Staaten bombardieren) verwandelt die an sich recht wendige Maschine zu einem fliegenden Ziegel, sobald sie zum Bodenangriff ansetzt. Für einen präzisen Zielanflug ist es nämlich nötig, mindestens eine Minute lang kerzengerade und möglichst gleichförmig zu fliegen, damit die Rechner den Waffeneinsatz exakt kalkulieren können.

Die Vereinbarung indes hielt nur etwa einen Monat. Am 23. November versäumten es die russischen Kommandeure in Syrien, den Anflug zweier Fencers für nächsten Morgen in Ankara anzukündigen. Als sie die türkische Grenze anflogen, blieben zehn über die üblichen Notrufkanäle übermittelte Warnungen unbeantwortet. Selbst dann gingen die taktischen Befehlshaber der Türken auf Nummer Sicher: Sie riefen die Zentrale an. Da seien unbekannte Flugzeuge im Anflug, man könne sie nicht kontaktieren und die Russen hätten nichts angekündigt.

Unlesbare Transpondersignale



Die von den Russen benutzten Transpondersignale zur Eigen-Identifikation waren und sind übrigens für die Türken und andere Luftwaffen momentan nicht „lesbar“, dahinter steckt ein gerüttelt Maß an Absicht, man bemerkt dasselbe bei Treffen zwischen russischen und Nato-Flugzeugen über der Ostsee.

Folgerung der Türken: Es konnte sich nur um Kampfflieger der verhassten syrischen Luftwaffe handeln. Mit Assads Militär haben die Türken Rechnungen offen: Das hat nicht nur eine türkische „Phantom“ im Juni 2012 in internationalem Luftraum abgeschossen, sondern auch Dutzende Male türkischen Luftraum verletzt und mit Raketen und Artillerie in die Türkei gefeuert. Mindestens sieben Menschen starben.

Türkische Vermutung: syrische Jets

Also fiel Präsident Tayyip Recep Erdogan die Entscheidung nicht schwer. Zwei über Adana kreisende F-16 (die Patrouillen dauern seit Jahren an) erhielten Befehl, einzugreifen. Sie kamen zu spät, die erste Fencer abzufangen. Sie schossen also auf die zweite. Der türkische Pilot setzte lediglich eine AIM-120 „AMRAAM“ Mittelstrecken-Luft-Luft-Rakete ein, über eine Entfernung, die eine optische Identifizierung des Ziels verhinderte. Erst die Bilder eines türkischen TV-Teams brachten Klarheit: Man hatte Russen, nicht Syrer getroffen.

Dass die Fencer übrigens 17 Sekunden lang über dem sehr schmalen Zipfel türkischen Gebiets geflogen sein soll, wird nicht nur von prorussischen Stimmen seither heftig hinterfragt. Die Passage von konkret etwa zwei Kilometer (!) Breite müsste von Düsenjets doch binnen weniger Sekunden zu durchmessen sein, 17 Sekunden seien Lüge und Anzeichen für Verschleierung.

Nur: Wegen der Waffencomputerprobleme beim Zielanflug flog die Fencer ungewöhnlich langsam, umso langsamer noch, da sie mit 6000 Meter sehr hoch blieb, um Flakfeuer zu entgehen, das verkomplizierte die Kalkulationen. Effektiv flog sie mit nur 390 km/h, das sind ca. 18 Sekunden für zwei Kilometer und ist nicht mehr weit weg von der „Stall"-Geschwindigkeit, wenn die Strömung an den Tragflächen abreißt.

Selbst türkische Offiziere können es nicht begreifen: Wie konnten ihren Kollegen solche Fehler unterlaufen? Die Vereinbarungen waren klar - und einfach zu befolgen. Eine Erklärung brauchen wir aus Moskau nicht erwarten: Zar Putin macht keine Fehler. Er konnte nicht einmal zugeben, dass es so eine Vereinbarung mit den Türken gegeben hat. Es scheint dagegen wichtiger denn je, die Crew der abgeschossenen Su-24 als „Opfer eines heimtückischen türkischen Hinterhalts im Interesse des IS“ darzustellen.

Von Schein und Sein

Tatsächlich ist es schwer zu erklären, warum der russischen Luftwaffe derartige Schlampereien passieren. Ihre Kommandeure in Syrien sollten doch fähig sein, ihre Einsätze für den nächsten Tag per e-Mail an die Türken weiterzuleiten. Auch das Abhören des internationalen (Not)Funkverkehrs dürfte keine Zauberei sein, es gibt heute ja Zusatzadapter für die Funkgeräte. Zudem sprach das russische Militär vor Medien noch Anfang Oktober von „modernster Ausrüstung“, die nach Syrien verlegt wurde. Man gab damit an, russische Kampfpiloten würden wieder bis zu 140 Flugstunden im Jahr bekommen – das können sich selbst einige NATO-Luftwaffen nicht leisten.

Man sprach von großangelegten Kampfübungen in Zusammenarbeit mit Bodentruppen und einigem mehr. Auch viele ausländische Beobachter (darunter bekannte österreichische Offiziere von der Militärakademie Wiener Neustadt) waren tief von der Kampfkraft und Ausrüstung beeindruckt.

Tatsächlich ist mehr als die Hälfte der nach Syrien verlegten Kampfflieger fast 30 Jahre alt. Schon in den 1980ern waren sie schwer zu warten und das dürfte sich wenig verbessert haben – zumal die Russen keine Erfahrung bei Operationen in Syriens Halbwüste haben. Es überrascht daher nicht, dass den Quellen zufolge mindestens ein Drittel der Jets auf der Basis nahe Latakia meist am Boden bleibt und auf Reparaturen und Ersatzteile wartet.

Mangel an moderner Bewaffnung offenkundig

Selbst die modernen Maschinen (etwa Suchoi Su-34 „Fullback"-Jagdbomber) erweisen sich als störungsanfällig und es gibt offensichtlich zu wenige gleichfalls moderne Waffen für sie: Offenkundig etwa ist der Mangel an lenkbaren Präzisionsbomben, und die hochgepriesenen Abfangjäger Su-30SM „Flanker-C“ müssen mit 30 Jahre alten Vympel R-27ER Luft-Luft-Raketen (Nato-Code: AA-10 „Alamo") fliegen. Fast überflüssig zu bemerken, dass jedes Detail dieser Raketen dem Westen seit Anfang der 1980er bekannt ist, nachdem Adolf Tolkachew, einer der leitenden Ingenieure im Konstruktionsbüro für die R-27, deren Details an die CIA verraten hatte.

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