Es ist ein Zerwürfnis zweier politischer Schwergewichte, das den ukrainischen Staat erschüttert. Präsident Petro Poroschenko und Saakaschwili kämpfen um die Macht. Es sieht ganz danach aus, dass der ehemaligen Sowjetrepublik erneut unruhige Wochen und Monate bevorstehen. In Kiew steht seit geraumer Zeit wieder ein Zeltlager, Barrikaden werden errichtet. Vor dem Parlamentsgebäude fordern Tausende Saakaschwili-Anhänger Poroschenkos Amtsenthebung.
Es brodelt wieder in der Ukraine: Tausende Menschen gehen auf die Straße, um gegen Korruption und für Reformen zu demonstrieren. Erinnerungen an den Euromaidan vor fast genau vier Jahren werden wach. Damals hatten die Proteste den prorussischen Kleptomanen Viktor Janukowitsch auf dem Amt gefegt. Der "Schokoladenkönig" Poroschenko galt damals als der große Hoffnungsträger, um die Ukraine in eine bessere Zeit zu führen. Ein Trugschluss, wie sich jetzt herausstellt.
Es hat sich so gut wie nichts verbessert in der Ukraine. Das Land machte in den vergangenen Jahren viel durch. Neben den politischen Wirren in Kiew verlor es die Krim an Russland und den industriellen Osten an die prorussischen Separatisten. Rund 10.000 Menschen wurden getötet, ein Ende des Sterbens ist nicht in Sicht.
Ein anderes großes Problem, das bereits zu den Maidan-Protesten führte, ist die in der Ukraine grassierende Korruption. Diese habe "unsere Armee geschwächt und das Land zu einer leichten Beute Russlands gemacht", sagte der Parlamentsabgeordnete Sergej Leschtschenko, Mitglied des Antikorruptionskomitees, der "Zeit": "Die Korruption hat die nationale Währung zerrüttet und Millionen Menschen ihrer sozialen Absicherung und ihrer Arbeitsplätze beraubt. Das zwingt uns dazu, jeden Tag für eine ehrliche Politik in der Ukraine zu kämpfen."
Geschäfte in der Werchowna Rada
Auch die EU-Kommission in Brüssel ist mit dem Stand der Korruptionsbekämpfung äußerst unzufrieden. Kürzlich stoppte sie die Auszahlung einer Finanzhilfe in Höhe von 600 Millionen Euro an die Ukraine. Das Land habe nicht genügend Fortschritte bei geforderten Reformen gemacht, hieß es. Bereits im März dieses Jahres hatte die Kommission die Kiewer Regierung dazu aufgefordert, sich auf die Bekämpfung von Korruption, Reformen im Energiesektor, den Abbau von Handelshemmnissen und die Versorgung von Flüchtlingen aus der Ostukraine zu konzentrieren. Viel geschehen ist seit dem Appell nicht, trotzdem flossen seit 2015 1,2 Milliarden Euro aus Brüssel nach Kiew.
Eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine ist auch deshalb in weiter Ferne. Der politisch wendige Poroschenko - er war unter dem prowestlichen Präsidenten Viktor Juschtschenko Außenminister und unter Janukowitsch Wirtschaftsminister - hat es auch nicht eilig mit der Korruptionsbekämpfung. Sie ist unter dem Präsidenten, der auch zur ukrainischen Oligarchenkaste gehört, ins Stocken geraten.
Das Parlament, die Werchowna Rada, ist ein Ort, in dem Geschäfte gemacht werden. Manchmal höre er, wie im Plenarsaal Unternehmensfragen besprochen werden, so der Abgeordnete Leschtschenko. Es heißt in Kiew, dass Sitzungen in der Rada oft bis zu den frühen Morgenstunden andauerten, um Geschäfte zu besiegeln. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Abgeordneten aus der Regierungskoalition oder der Opposition kämen. Geschäft ist Geschäft, die politischen Grenzen verschwinden.
Der georgische Hitzkopf
Dass gegen die Verquickung von Politik und Geschäft, die in Korruption mündet, nur schwer anzukommen ist, hat Saakaschwili bereits erfahren müssen. Von Poroschenko 2015 als Gouverneur des Gebiets Odessa eingesetzt, hielt er sich nur etwas mehr als ein Jahr auf dem Posten. Er wolle die Ukraine von dem "korrupten Pack" befreien, kündigte er damals an. Saakaschwili stieß sehr schnell an seine Grenzen, der Machtapparat verweigerte ihm jegliche Unterstützung. Saakaschwili verlor den Machtkampf gegen Odessas Bürgermeister Gennadi Truchanow, der Behörden, Wirtschaft und Sicherheitskräfte gegen Saakaschwili in Stellung brachte. Von Poroschenko kam keine Unterstützung, der Kiewer Machthaber ließ seinen langjährigen Freund sogar fallen und ging seinerseits zum Gegenangriff über. Als sich Saakaschwili im Sommer in den USA aufhielt, wurde ihm die ukrainische Staatsangehörigkeit aberkannt.
Saakaschwili ist ein Hitzkopf, der zu politischem Abenteurertum neigt. Er wollte Georgien mit aller Macht in die Nato bekommen. Vor fast zehn Jahren führte Saakaschwili Krieg gegen das übermächtige Russland, um die abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien unter georgische Kontrolle zu bekommen. Russlands Präsident Wladimir Putin ließ seine Truppen in Georgien einmarschieren, nach nur fünf Tagen mussten Saakaschwili klein beigeben.
Er bekämpfte auch die Korruption in seinem Land - schoss dabei aber mitunter über das Ziel hinaus. Viele Georgier meinen, dass ihr Staatschef verantwortlich gewesen sei unter anderem für Folter in Gefängnissen und willkürliche Enteignungen. Andere sagten, dass Saakaschwili die Korruption in eingedämmt habe. Tatsächlich stieg Georgien während seiner Amtszeit im Korruptionsindex von Platz 131 auf Platz 55. Allerdings bekam es Saakaschwili nach seinem Ausscheiden aus dem Amt mit dem georgischen Generalstaatsanwalt zu tun, der gegen ihn Ermittlungen auch wegen persönlicher Verfehlungen einleitete und Untersuchungshaft anordnete. Er emigrierte in die Vereinigten Staaten.
"Diktatur der Mittelklasse"
Nun gibt sich Saakaschwili in der Ukraine kompromisslos. Er ignorierte im September sogar ein Einreiseverbot und überquerte ohne gültige Papiere den polnisch-ukrainischen Grenzübergang bei Schehyni. Ihm drohen nun fünf Jahre Haft wegen "Beihilfe für eine kriminelle Vereinigung", er soll - so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft - mit dem Geld aus dem Umfeld von Ex-Präsident Janukowitsch Antiregierungsproteste finanziert haben. Nachdem Saakaschwilis Anhänger mit ihrer spektakulären Aktion seine Verhaftung verhinderten, will er den Kampf gegen Poroschenko fortsetzen.
Poroschenko sei "völlig verrückt geworden" und habe Angst, "dass ich ihm politisch gefährlich werde", sagt Saakaschwili. Damit hat er ohne Zweifel Recht. Nun fordert er für die Ukraine eine "Diktatur der Mittelklasse". Allerdings haben die Menschen im flächenmäßig zweitgrößten Land Europas genug von Diktaturen.
Ein Mann wird die Ereignisse in Kiew mit großem Interesse und einer gewissen Genugtuung verfolgen. Es ist Poroschenkos und Saakaschwilis gemeinsamer Gegner Wladimir Putin.
Quelle: n-tv.de
Tags: