Fast hätte Trump die Opioid-Krise gelöst

  24 Dezember 2017    Gelesen: 607
Fast hätte Trump die Opioid-Krise gelöst
Für Donald Trump endet 2017 politisch erfolgreich. Alle Versprechen hat er allerdings nicht erfüllt: Das massive Drogenproblem der USA schwelt unverändert weiter.
Keine 400 Einwohner hat die Kleinstadt Kermit in West Virginia. Dennoch machte die dortige Apotheke einen spektakulären Umsatz. Über einen Zeitraum von sechs Jahren versorgten Großhändler den Laden mit mehr als zwölf Millionen Tabletten des Schmerzmittels Hydrocodon, einem künstlichen Morphin-Derivat.

Es liegt auf der Hand, dass der Apotheker nicht nur die Bürger von Kermit als Kunden hatte. Süchtige kamen aus allen umliegenden Bundesstaaten, aus Virginia, Ohio und Kentucky, um sich mit Tabletten einzudecken. "Die ganze Stadt war ständig mit Autos verstopft", sagte der örtliche Feuerwehrchef einer Lokalzeitung.

Kermit ist nur die Spitze des Eisbergs. Von 2007 bis 2012 wurde West Virginia mit 780 Millionen Pillen der Schmerzmittel Hydrocodon und Oxycodon überschwemmt. Umgerechnet waren das 433 Schmerztabletten für jeden Einwohner des Bundesstaates.

Nicht nur West Virginia, die USA insgesamt haben ein massives Problem. Bis in die 1980er hatten der Missbrauch von Medikamenten und der Konsum illegaler Drogen nicht viel miteinander zu tun. Es gab zwar die von den Rolling Stones besungenen "Mother's Little Helpers", die kleinen gelben Pillen mit Benzodiazepinen, in den USA verniedlichend "Benzos" genannt. Aber die Welten von Hausfrauen und Junkies hatten nichts miteinander zu tun.

Medikamente sind in den USA Einstiegsdrogen

Das hat sich geändert. Heute beginnt der typische Heroinsüchtige in den USA seine Drogenkarriere nicht mit illegalen Drogen, sondern mit legal erhältlichen Mitteln. Studien aus dem Jahr 2013 zeigen, dass fast 80 Prozent der Heroin-Abhängigen mit verschreibungspflichtigen Opioiden angefangen haben. Zur härteren Droge gehen sie über, weil Heroin billiger ist als die Tabletten. Die Folge: Täglich sterben mehr als 140 US-Bürger an einer Überdosis. Es ist die häufigste Todesursache für Amerikaner unter 50 Jahren. Schätzungen zufolge gibt es in den USA 2,6 Millionen Drogenabhängige.

Glaubt man US-Präsident Donald Trump, liegt die Schuld vor allem im Ausland. Die USA hätten ihre Grenzen "weit offen" gelassen, so dass Drogen "in ungekannter Menge" hereinströmen konnten, sagte er einen Monat nach seinem Amtsantritt bei einem Auftritt vor dem Kongress. Im Wahlkampf hatte er versprochen, das Drogenproblem zu lösen. Meist ging es dabei um seinen Plan, eine Mauer an der Grenze zu Mexiko zu bauen. "Wir müssen den Zustrom illegaler Drogen in unser Land stoppen", sagte er bei einem Wahlkampfauftritt in Maine im Oktober 2016.

Aber Trump machte auch deutlich, dass er den Zusammenhang zwischen

Medikamentenmissbrauch und dem Konsum illegaler Drogen verstanden hatte. Und er versprach Abhilfe: "Wir verschreiben reichlich Opioide wie Oxycontin [ein Medikament auf der Basis von Oxycodon], aber wenn Patienten nach diesen Medikamenten süchtig werden, dann hindern wir Ärzte daran, den Patienten die Behandlung zu geben, die sie brauchen." Er sicherte zu, als Präsident dafür zu sorgen, die Zahl von Verschreibungen für Medikamente wie Oxycontin zu senken. "Wir haben fünf Prozent der Weltbevölkerung, aber wir benutzen 80 Prozent der verschreibungspflichtigen Opioide", kritisierte er.

Die Zahl stimmt. Zwar werden in den USA seit 2013 weniger Rezepte für Opioide ausgestellt. Doch in den zwei Jahrzehnten zuvor waren die Verschreibungen regelrecht explodiert. Nach einer Statistik der US-Behörde für Krankheitskontrolle und Prävention vervierfachte sich die Zahl der Verschreibungen opioider Schmerzmittel zwischen 1999 und 2010. Diese Zunahme verlief parallel zum Anstieg der Todesfälle infolge von Überdosierung, die sich zwischen 1999 und 2008 ebenfalls vervierfachte.

Ein Wort macht den Unterschied

Wie konnte das passieren? In den späten 1990er-Jahren überredeten die Pharma-Konzerne die Mediziner, dass Schmerzmittel nicht abhängig machen. Was nach einer Verschwörungstheorie klingt, ist eine nüchterne Feststellung des Nationalen Instituts für Medikamentenmissbrauchs. Mit diesem Zusammenhang zwischen Tablettenmissbrauch und Drogensucht wollte Trump Schluss machen.

"Es ist ein ernstes Problem, das wir so noch nicht hatten", sagte der Präsident im August dieses Jahres und kündigte an, er werde wegen der Drogen-Epidemie den nationalen Notstand erklären. Am 26. Oktober war es so weit. "Im vergangenen Jahr haben fast eine Million Amerikaner Heroin genommen, und mehr als elf Millionen missbrauchten verschreibungspflichtige Opioide", sagte Trump in einer Rede im Weißen Haus. Hinter ihm standen Angehörige von Menschen, die an Drogen gestorben waren. "Die Vereinigten Staaten sind mit Abstand der größte Konsument dieser Medikamente. Wir nehmen deutlich mehr Opioid-Pillen pro Person als jedes andere Land dieser Welt." Und er fuhr fort: "Deshalb erklärt meine Regierung die Opioid-Krise mit sofortiger Wirkung zu einem nationalen Gesundheitsnotstand."

Aus dem "nationalen Notstand", den Trump eigentlich verkünden wollte, war ein "nationaler Gesundheitsnotstand" geworden. Trump hatte ein Wort ergänzt. Das war kein Zufall. Hätte er den nationalen Notstand ausgerufen, hätten die betroffenen Bundesstaaten unmittelbaren Zugang zu Bundesmitteln gehabt, ähnlich wie nach einer Naturkatastrophe. Durch Trumps tatsächliche Erklärung wurde zwar eine Reihe von Bestimmungen getroffen, um den Medikamentenmissbrauch zu bekämpfen. Freigegeben wurden jedoch nur Bundesmittel in Höhe von 57.000 Dollar. Trump habe dem Land "ein Pflaster geboten, obwohl wir die Wunde abbinden müssten", sagte der demokratische Senator Edward Markey.

Es wäre allerdings grundfalsch, das Missverhältnis von Worten und Taten als typisch für diesen Präsidenten abzutun. Das Problem ist weitaus grundsätzlicher. Keine andere Branche versorgt die amerikanische Politik so freigiebig mit Geld. Im vergangenen Jahr gaben Pharmakonzerne mehr als 152 Millionen Dollar für Lobbyarbeit in Washington aus. Rund 60 Prozent des Geldes ging an Republikaner, aber auch den Demokraten blieb genug. Die größte Einzelempfängerin von Pharma-Geld war 2016 die demokratische Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton. Auf Platz zwei folgt der republikanische Sprecher des Repräsentantenhauses, Paul Ryan. "Sie geben unglaubliche Geldsummen an Politiker", sagte Trump am 16. Oktober bei einer Pressekonferenz, auf der es eigentlich um Obamacare und die Kosten des Gesundheitssystems ging. Neben ihm stand Mitch McConnell, der republikanische Mehrheitsführer im Senat. "Ich weiß nicht, Mitch, vielleicht sogar an dich." McConnell lächelte still. Knapp 800.000 Dollar hat er seit 2013 aus der Gesundheitsindustrie erhalten. Die Senatoren, die von Pharma-Konzernen versorgt werden, stimmen dann auch immer brav gegen Initiativen, die ihren Geldgebern missfallen.

Bei seinem Auftritt im Weißen Haus Ende Oktober beließ Trump es bei einem Appell. "Wenn wir jungen Menschen - und Menschen im Allgemeinen - beibringen können, nicht anzufangen, dann ist es wirklich, wirklich leicht, sie [die Drogen] nicht zu nehmen. Und ich denke, das wird am Ende das Wichtigste sein. Wirklich harte, wirklich große, wirklich tolle Werbung, damit wir die Menschen erreichen, bevor sie anfangen." Fast eine Milliarde Dollar gebe der Staat schon jetzt für Suchtprävention und -behandlung aus, so Trump. Eine beeindruckende Zahl. Nur: Die Pharmakonzerne investieren mehr als fünf Mal so viel in Werbung.

Und so machte Trump es doch wie immer: Er gab Mexiko die Schuld. 90 Prozent des Heroins in den USA komme über die südliche Grenze ins Land, "wo wir eine Mauer bauen werden, die sehr dabei helfen wird, dieses Problem zu lösen".

Quelle: n-tv.de

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