Merkel: Offene Grenzen sind lebenswichtig für Deutschland
Schon am Sonntagabend hatten Merkel und ihre Kritiker einen Kompromiss gefunden und den Leitantrag für den Parteitag etwas verschärft. Darin sind „Obergrenzen“ oder die Möglichkeit, Flüchtlinge an der deutschen Grenze zurückzuweisen, zwar nicht enthalten. Hinzugefügt wurde aber die Formulierung, dass die Zahl der Flüchtlinge „spürbar“ reduziert werden müsse. Über den Antrag soll der Parteitag noch am Montag abstimmen. „Auch ein starkes Land wie Deutschland ist auf Dauer überfordert mit einer so großen Zahl an Flüchtlingen“, sagte Merkel. „Deshalb wollen und werden wir die Zahl der Flüchtlinge spürbar reduzieren.“
Die sogenannte Karlsruher Erklärung zu Terror, Sicherheit, Flucht und Integration nahmen die etwa 1.000 Delegierten bei nur zwei Gegenstimmen und wenigen Enthaltungen an.
Deutschland müsse aber immer die Folgen seines Handelns auch für die EU bedenken. Statt eines Ausstiegs aus dem passfreien Schengen-Raum oder dem Dublin-System über Asylverfahren sei es gerade für Deutschland deshalb viel besser, daran zu arbeiten, dass die EU-Regeln eingehalten würden. Sie forderte zugleich europäische Solidarität etwa bei der Verteilung von Flüchtlingen ein. „Ich weiß, die europäischen Mühlen mahlen langsam. Aber wir werden sie zum Mahlen kriegen“, sagte sie und bat erneut um Geduld.
Merkel wies damit Forderungen auch aus der Union zurück, notfalls die deutschen Grenzen zu schließen. „Kein Land ist so sehr auf Schengen angewiesen wie Deutschland“, sagte sie. Die offenen Grenzen innerhalb von Europa seien für die Bundesrepublik „lebenswichtig“. Deshalb müsse dafür gekämpft werden, das System zu erhalten. „Es lohnt sich, den Kampf um ein einheitliches europäisches Vorgehen zu gehen.“
Aber auch innerhalb Deutschlands müsse daran gearbeitet werden, den Flüchtlingszustrom zu bewältigen – mit klaren Ansagen an die Neuankömmlinge. Flüchtlinge müssten Deutsch lernen, wenn sie dauerhaft Zuflucht suchten und sich an die Regeln des Grundgesetzes halten. Die Bundesregierung habe an etlichen Stellen zudem Fehlanreize für Flüchtlinge abgebaut und Länder und Kommunen stark unterstützt. Viele Reformen wie die Ausweitung der Liste sicherer Herkunftsländer habe die Union dabei erst gegen SPD und Grünen durchkämpfen müssen.
Kritik rot-grüner Landesregierungen am Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) wies Merkel zurück: „Das sind Ablenkungsmanöver, weil man seine Hausaufgaben, zum Beispiel bei der Rückführung von Flüchtlingen nicht richtig macht„, kritisierte sie. Viele rot-grüne Landesregierungen würden verabredete Reformen wie den Übergang zu Sachleistungen nicht umsetzen und Bundesmittel nicht an Kommunen weitergeben.
Differenzen zwischen CDU und CSU spielte Merkel dagegen herunter. Die Einheit der Schwesterparteien sei „die“ Erfolgsgeschichte Deutschlands. CSU-Chef Horst Seehofer wird am Dienstag auf dem Bundesparteitag sprechen. Er hatte Merkel auf dem CSU-Parteitag vor wenigen Wochen noch scharf wegen ihrer Ablehnung von Obergrenzen bei der Aufnahme kritisiert, sich aber in den vergangenen Tagen moderater geäußert.
Merkel skizzierte zudem die Anforderungen an ein Deutschland in 25 Jahren. Dazu gehöre neben dem Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit auch, dass das Land seinen Beitrag zur Globalisierung, und der Stärkung von EU, Nato und UN leiste. „Deutschland soll in 25 Jahren ein Land sei, das offen, neugierig, tolerant und spannend ist – mit einer starken eigenen Identität.“ Diese basiere auf dem Grundgesetz und der unantastbaren Würde jedes Einzelnen. Weder Antisemitismus, Zweifel am Existenzrecht Israels oder Homophobie dürften akzeptiert werden.
Immer wieder warb die Kanzlerin um Vertrauen in die Stärke des Landes. Es gehöre zur Identität Deutschlands, „Großes zu leisten“. Sie verwies etwa auf den Wiederaufbau des Landes nach dem Zweiten Weltkrieg und die Wiedervereinigung. Aber auch frühere CDU-Kanzler hätten immer betont, dass Deutschland nur in einem starken Europa eine Zukunft habe.