Die EU-Regierungen stellen sich in der Affäre um den Giftanschlag auf den ehemaligen Doppelagenten Sergej Skripal klar an die Seite Großbritanniens - und damit gegen Russland. EU-Ratspräsident Donald Tusk teilte beim EU-Gipfel in Brüssel mit, dass sehr wahrscheinlich Russland für die Attacke in Salisbury Anfang März verantwortlich sei. Es gebe keine andere plausible Erklärung dafür.
"Wir stehen in bedingungsloser Solidarität zum Vereinigten Königreich angesichts dieser gravierenden Herausforderung auf unsere gemeinsame Sicherheit", heißt es in dem Entwurf der Gipfelerklärung. Damit verschärft die EU erheblich die Tonlage gegenüber Moskau. Noch am Montag hatten sich die EU-Außenminister nicht auf eine klare Schuldzuweisung an Russland einigen können.
Der ehemalige Doppelagent Skripal und seine Tochter waren am 4. März bewusstlos auf einer Parkbank im englischen Salisbury gefunden worden. Sie wurden nach derzeitigem Ermittlungsstand mit dem in der früheren Sowjetunion entwickelten Kampfstoff Nowitschok vergiftet. Beide befinden sich noch in einem kritischen Zustand. Russland streitet jegliche Verantwortung für den Anschlag ab.
EU ruft Russlandbotschafter für Konsultationen zurück nach Brüssel
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte bestätigte nach Beratungen des EU-Gipfels, dass die EU ihren Botschafter aus Moskau für Konsultationen zurück nach Brüssel beordert hat. Derzeit leitet der deutsche Diplomat Markus Ederer die EU-Vertretung in Russland.
Kanzlerin Angela Merkel, Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Premierministerin Theresa May teilten übereinstimmend mit, dass man eine starke europäische Antwort auf Russlands Vorgehen brauche.
Merkel brachte zudem weitere Schritte ins Spiel. Zunächst müsse aber die Bewertung durch die mit der Untersuchung beauftragte Chemiewaffenorganisation abgewartet werden, sagte die Kanzlerin. "Wir sind entschlossen, (...) gegebenenfalls auch durch weitere Maßnahmen einheitlich zu reagieren."
Bereits in der vergangenen Woche hatte es eine gemeinsame Erklärung der USA, Frankreichs, Deutschlands und Großbritanniens gegeben, in der Russland als mutmaßlicher Drahtzieher zur Aufklärung des Giftanschlags aufgefordert worden war. Russland hat die Verantwortung zurückgewiesen.
Konsequenzen der EU noch offen
Die EU-Staaten legen sich in dem Entwurf nicht auf Sanktionen gegen Russland fest. Allerdings heißt es, dass die Mitgliedsstaaten ihre Konsequenzen "im Lichte der Antworten geben werden, die Russland anbietet". Die EU solle zudem ihre Abwehrfähigkeiten gegen chemische, biologische und nukleare Risiken verstärken, heißt es weiter. Ungarn und Griechenland hatten nach Angaben von EU-Diplomaten Vorbehalte, Russland als verantwortlich für den Anschlag zu benennen.
Die britische Premierministerin May hatte der russischen Regierung dagegen vor Beginn des EU-Gipfels eine "dreiste und rücksichtslose Attacke" gegen Großbritannien vorgeworfen. Der Giftanschlag in Salisbury sei "ein weiteres Zeichen russischer Aggression vom Westbalkan bis zum Nahen Osten". Beim Abendessen des zweitägigen Gipfels forderte May nach Angaben aus britischen Regierungskreisen ihre EU-Kollegen dann auf, russische Geheimdienstmitarbeiter aus ihren Ländern auszuweisen. Deren Tätigkeiten seien nicht nur auf Großbritannien beschränkt.
Russischer Botschafter kritisiert Boris Johnson
Der russische Botschafter in London, Alexander Jakowenko, sagte, er habe keine Informationen über den Vorgang, der als geheim eingestuft sei. Um den Anschlag aufzuklären, brauche es einen Detektiv wie Hercule Poirot, sagte er am Donnerstag in London in Anspielung auf die Romanfigur von Agatha Christie.
Laut "Guardian" beklagte Jakowenko, dass Großbritannien sich geweigert habe, bei der Untersuchung mit Moskau zusammenzuarbeiten. Er habe Wladimir Putins Aussage wiederholt, dass Russland "nichts mit diesem Vorfall zu tun" habe.
Der Zeitung zufolge kritisierte Jakowenko die Äußerung des britischen Außenministers Boris Johnson, in der er die Fußballweltmeisterschaft in Russland mit den Olympischen Spielen der Nazis verglichen hatte. Laut "Guardian" hatte Johnson behauptet, Putin würde die WM in Russland genauso nutzen, wie es Adolf Hitler bei den Olympischen Spielen 1936 getan hatte. Jakowenko nannte die Äußerung Johnsons "inakzeptabel und völlig unverantwortlich".
Reuters
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