Millionen Syrer, die aus Angst vor ihrer Festnahme durch die syrischen Geheimdienste ins Ausland geflohen sind, suchen derzeit mit einer Mischung aus Furcht und Hoffnung auf einer Fahndungsliste der Regierung nach ihrem Namen. Rund 1,5 Millionen Einträge umfasst die Liste gesuchter Personen, die im März von dem oppositionsnahen Onlinemagazin "Zaman al-Wasl" veröffentlicht wurde. Seitdem gab es laut dem Magazin bereits mehr als zehn Millionen Suchanfragen in der Datenbank.
"Gesucht von: Generaldirektion der Geheimdienste. Angeordnete Maßnahme: Festnahme", steht bei dem Namen des Professors Amr al-Asm, der an einer Universität des US-Bundesstaats Ohio Geschichte des Mittleren Ostens unterrichtet. "Das Gegenteil hätte mich auch überrascht", sagt der Betroffene, der seit 2010 nicht mehr in Syrien war, da er die Politik von Machthaber Baschar al-Assad wiederholt kritisiert hat.
Für die Millionen Syrer, die seit Beginn des Bürgerkriegs 2011 ins Ausland geflohen sind, gibt die Liste Aufschluss, ob sie es wagen können, in die Heimat zurückzukehren. Wer seinen Namen auf der Liste findet, weiß, dass eine Rückkehr Festnahme, Folter oder Schlimmeres bedeuten kann. Von den hunderttausenden Syrern, die von Assads Sicherheitsdiensten festgenommen wurden, werden bis heute Tausende vermisst.
Das Dilemma mit der Rückkehr
"Zaman al-Wasl" gibt an, die Fahndungsliste 2015 von Quellen in Damaskus erhalten zu haben. Seit ihrer Veröffentlichung im Internet wurde der Link zu der Datenbank von Syrern tausendfach geteilt. Viele wussten, dass sie im Visier der Behörden stehen, doch wollten sie erfahren, welcher Dienst sie sucht, und ob es um ein Verhör oder um ihre Festnahme geht. Auskunft über den Grund der Fahndung gibt die Liste nicht.
Auch Seina wollte wissen, was ihr droht. Die Syrerin, die eigentlich anders heißt, war zwei Mal wegen ihrer Teilnahme an Protesten festgenommen worden, bevor sie Syrien 2012 verließ. Ihre Suche ergab kein Ergebnis, doch ganz beruhigen kann sie das nicht, da niemand weiß, ob die Liste aktuell ist. "Ich hoffe aus eigennützigen Gründen, dass sie echt ist", sagt Seina. "Denn: ich stehe nicht darauf und will zurück nach Syrien."
Nun steht sie jedoch vor einem Dilemma. "Soll ich zurück und eine Festnahme riskieren? Oder nicht zurückkehren, obwohl ich womöglich gar nicht gesucht werde?", sinniert Seina. Für Mohammed Cheder, der mit seiner Frau und drei Kindern seit zwei Jahren in Deutschland lebt, stellt sich die Frage der Rückkehr dagegen nicht, solange Assad an der Macht ist. Ihm war gleich klar, dass sein Name auf der Liste steht.
"Ich habe nicht mal nachgeschaut, da ich das Ergebnis schon kannte. Freunde haben mir einen Screenshot mit meinem Namen geschickt", sagt Cheder, der 2011 gegen Assad auf die Straße gegangen war. Obwohl eine Rückkehr für ihn derzeit zu riskant ist, ist er sicher, eines Tages zurückzukehren. "Ich versuche gar nicht, mich an das Leben hier zu gewöhnen, weil wir nach Syrien zurückkehren werden", sagt er bestimmt.
Professor al-Asm ist sich da nicht so sicher. Denn auch wenn der Bürgerkrieg auf sein Ende zuzusteuern scheint, deutet nichts darauf hin, dass Assad bald die Macht abgibt. "Es macht mich stolz, die Aufmerksamkeit der Behörden erregt zu haben, doch zugleich auch traurig", sagt al-Asm zu der Tatsache, dass er auf der Fahndungsliste steht. "Denn wenn es wahr ist, heißt es, dass ich Syrien niemals wieder sehen werde."
Quelle: n-tv.de
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