In der Hand des Schiedsrichters

  03 Mai 2018    Gelesen: 1739
In der Hand des Schiedsrichters

Vor einem Studentenwohnheim in Leipzig steht eine Tischtennisplatte. Ein Fotograf hat dokumentiert, was Menschen damit so alles machen. Spoiler: Um Pingpong geht es nur am Rande.

 

Was für ein aufregendes Fußballspiel, dieses Rückspiel im Champions-League-Halbfinale. Und was für eine aufregende Szene. In der Nachspielzeit der ersten Hälfte flankt Bayernspieler Joshua Kimmich, der Ball springt Real-Verteidiger Marcelo an den Arm und verändert dadurch deutlich die Flugbahn. Klarer Strafstoß, oder? Marcelo selbst ist sogar nach dem Spiel dieser Ansicht. Der Schiedsrichter jedoch lässt weiterspielen.

Das Handspiel im Strafraum, Elfmeter ja oder nein - es ist eine unendliche Geschichte. Im Regelwerk heißt es unter Regel 12: "Ein Handspiel liegt vor, wenn ein Spieler den Ball absichtlich mit der Hand oder dem Arm berührt. Folgendes ist dabei zu berücksichtigen: die Bewegung der Hand zum Ball (nicht des Balls zur Hand), die Entfernung zwischen Gegner und Ball (unerwarteter Ball), die Position der Hand (das Berühren des Balls an sich ist noch kein Vergehen)."

Traf das im Fall Marcelo zu? Ehrlich gesagt: keine Ahnung. Und genau das ist das Problem dieser Regel. Ein deutlich absichtliches Handspiel im eigenen Strafraum, das gibt es (fast) nie. So dumm ist annähernd kein Profi mehr, die Hand zum Ball ersichtlich auszustrecken. Schließlich weiß jeder, welche Konsequenzen das hat. Ein Foul kann taktisch sein, es kann aus Ungeschicklichkeit passieren, oder weil man zu spät in den Zweikampf gegangen ist. Beim Handspiel vor dem eigenen Tor dagegen ist das fast immer das Ergebnis einer unglücklichen Bewegung.

Ein gewaltiger Graubereich

So bleibt ein riesiger Graubereich übrig, größer als Schwarz und Weiß. Ist die Aktion mit dem Arm eine natürliche Bewegung im Sprung? Wird der Spielerarm angeschossen? Ist es ein Reflex, den eigenen Körper zu schützen? Hätte der Spieler anders reagieren können? Alles Fragen, die in dem Spieltempo, mit dem sich Real und der FC Bayern am Dienstagabend bearbeiteten, kaum zufriedenstellend beantwortet werden können. Manchmal werden solche Aktionen geahndet, manchmal, wie im Fall Marcelo, nicht.

Wahrscheinlich gibt es keine Regel, die das Wort Ermessensspielraum so weit dehnt wie die über das Handspiel im Strafraum. In einer Zeit, in der der Fußball gerade den bisher zugegeben untauglichen Versuch unternimmt, Fehlerquellen durch Technikeinsatz auszumerzen, ist die Handspielregel ein Relikt. Eine Regel, bei der in zwei identischen Fällen zwei komplett unterschiedliche Entscheidungen getroffen werden können. Und beide können berechtigt sein.

Wenn man es positiv sehen möchte: Die Handspielregel wird vermutlich irgendwann das letzte Überbleibsel auf dem Platz sein, bei dem der Schiedsrichter tatsächlich noch nur seiner Wahrnehmung und seiner Entscheidung vertrauen muss. Es menschelt. Selbst in einem Champions-League-Halbfinale. Wie schön.

spiegel


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