Wenn die Unions-Bundestagsfraktion drei Stunden über ein Thema diskutiert, das gar nicht auf der Tagesordnung steht, müssen bei Kanzlerin Angela Merkel die Alarmglocken schrillen. Wenn der CDU-Chefin gleichzeitig aus verschiedensten Strömungen der Partei wachsende Unruhe über den Flüchtlingsandrang gemeldet wird und CSU-Chef Horst Seehofer sie offen attackiert, dann hat sie ein Problem.
Vor allem wenn auch noch Meinungsumfragen sinkende Popularitätswerte ergeben, wie im neuen ZDF-„Politbarometer“, dann ist mächtig Dampf im Kessel. Da nützt es auch wenig, dass Merkel bereits in die Vorwärtsverteidigung gegangen ist und innerhalb weniger Tage auf eine Entscheidung der EU-Innenminister zur Flüchtlingsverteilung, den EU-Sondergipfel und weitreichende Beschlüsse bei den Bund-Länder-Gesprächen gepocht hat.
Nun kämpfen zwar alle Parteien mit der Flüchtlingsfrage. Aber die CDU-Chefin ist derzeit in einer besonders heiklen Lage. Ihr Bekenntnis zur Aufnahme von Asylsuchenden aus Syrien entsprach zwar der Hilfsbereitschaft vieler Deutschen und überraschte Opposition und SPD positiv - wurde aber von vielen Konservativen in der Union als neue Zumutung empfunden. Denn diese hatten sich gerade der Erkenntnis gebeugt, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. In etlichen Landesgruppensitzungen der Union gab es zudem auch Warnungen, dass die Stimmung an der Basis kippen könnte.
Was die Lage für Merkel noch brisanter macht, ist der Umstand, dass sich nun auch noch der Bundespräsident gegen sie positioniert hat. Zwar zeigte Joachim Gauck Verständnis für Angela Merkels (CDU) Offenheit und Zuversicht in der Flüchtlingsfrage. Das Staatsoberhaupt betonte jedoch am Sonntag in einer Rede zum Auftakt der Interkulturellen Woche vor allem die Grenzen der Aufnahmebereitschaft und hob die Hürden bei der Integration hervor.
Anders als CSU-Chef Seehofer, der den Entschluss der Kanzlerin von Anfang September, in Ungarn fest sitzenden Flüchtlingen die Einreise nach Deutschland zu gewähren, als Fehler bezeichnet hatte, sprach Gauck zwar von einer „sehr verständlichen, menschlichen Entscheidung“ der Bundesregierung. Allerdings habe diese nicht nur „begeisterte Zustimmung“ ausgelöst, sondern sei auch „auf deutliche Reserve, ja sogar Ablehnung“ gestoßen. „Unser Herz ist weit, doch unsere Möglichkeiten sind endlich, sagte Gauck und warnte vor „Spannungen zwischen Neuankömmlingen und Alteingesessenen“.
Von den in der EU angekommenen Flüchtlingen haben dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) zufolge mehr als 411.000 das Mittelmeer überquert. Die Internationale Organisation für Migration (IOM) nannte sogar die Zahl von mehr als 430.000 Bootsflüchtlingen. Mehr als 2800 kamen demnach bei der gefährlichen Überfahrt ums Leben.
Vor Gauck hat sich auch schon Bundesinnenminister Thomas de Maizière kritisch zur großzügigen Willkommensgeste der Kanzlerin an die Flüchtlinge geäußert. Außer Kontrolle geraten sei die Lage mit der Entscheidung, dass man aus Ungarn die Menschen nach Deutschland holt, hatte de Maizière gesagt.
In dieser Gemengelage wächst der Unmut in der Union. So ist etwa der Vize-Vorsitzende der Unions-Bundestagsfraktion, Michael Kretschmer, regelrecht dankbar, dass Gauck einen anderen Ton in der Debatte anschlägt als Merkel. „Der Bundespräsident hat den Deutschen aus dem Herzen gesprochen. Die Sprachlosigkeit auf die Sorgen der Menschen, ob eine Integration wirklich gelingen kann und ob es nicht viel zu viele Menschen sind, die zu uns kommen, müssen wir überwinden“, sagte Kretschmer dem Handelsblatt.
Viele Ängste seien berechtigt. „Der Zustrom muss reduziert werden“, sagte Kretschmer, der auch Generalsekretär der Sachsen-CDU ist, weiter. „Außerdem müssen wir die Erwartungen an die Schutzsuchenden klar benennen und durchsetzen. Dann entsteht wieder Zuversicht.“
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