Präsident Juan Manuel Santos war stolz, als er die offizielle Zusammenarbeit seines Landes mit der Nato verkündete. Seit dem 31. Mai ist Kolumbien offiziell "globaler Partner" der Nato. Die Regierung des Nachbarlands Venezuela reagierte mit einem öffentlichen Protestschreiben: Die Zusammenarbeit sei eine Gefahr für die Stabilität und den Frieden in der Region.
Der Schritt mutet seltsam an. Das mächtigste Militärbündnis der Welt arbeitet nun offiziell mit einem Land zusammen, das es nicht schafft, weite Teile seines Territoriums, geschweige denn seine Grenzen zu sichern. Ein Staat, der sich trotz des Friedensvertrags mit der Farc-Guerilla weiterhin im permanenten bewaffneten Kampf befindet. Einer, dessen Kokainproduktion immer neue Rekorde erreicht, wo kriminelle Organisationen wie der Clan Úsuga Hunderte Tonnen der Droge illegal ausführen. Wo Menschen vertrieben oder getötet werden, wenn sie den Interessen der Konfliktparteien oder der Drogenmafia im Weg stehen. Und wo es mit Iván Duque wahrscheinlich bald einen Präsidenten geben wird, der den jahrelang und bis ins Detail ausgehandelten Farc-Frieden infrage stellt.
Was also hat Kolumbien davon, sich bei all den eigenen Problemen weitere Verantwortung aufzubürden? Und welchen Vorteil hat die Nato? Insbesondere bei der Antwortsuche für die zweite Frage stößt man bei Experten auf Ratlosigkeit. Da sind Sätze wie "Das würde mich auch interessieren" zu hören, "da muss etwas hinter den Kulissen stattfinden", oder "Sagen Sie mir bitte Bescheid, wenn Sie etwas erfahren sollten".
Anruf bei der Nato in Belgien. Die Pressesprecherin sagt, Kolumbien könne mit seiner Erfahrung bei der Entschärfung von Landminen und beim Friedens- und Versöhnungsprozess in Afghanistan helfen. Aber der kolumbianische Friedensvertrag nahm das nordirische Karfreitagsabkommen als Vorbild und mit der Minenentschärfung sollten die Nato-Länder selbst ausreichend Erfahrung haben, oder? Zudem ist Kolumbien seit den Unterschriften in seinem Friedens- und Versöhnungsprozess nicht weitergekommen. Sieht die Nato das anders? Keine eindeutigen Antworten.
US-Streitkräfte als Vorbild
Laut Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg war es das südamerikanische Land, das um engere Zusammenarbeit gebeten hatte. Dies könnte vor allem innenpolitische Gründe haben. "Als sich der Frieden anbahnte, bekam das Militär Angst, dass es überflüssig werden könnte, also suchte es sich andere Aufgaben", sagt Juan Ruiz von der Universität Rosario in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá. Dazu gehört etwa auch die Beteiligung Kolumbiens am Antipiraten-Einsatz der Nato vor Somalia oder die Entsendung Tausender Blauhelmsoldaten für UN-Einsätze. "Es geht auch darum, Unzulänglichkeiten im eigenen Land zu verstecken", sagt der Politikwissenschaftler. Die Zusammenarbeit mit der Nato sei ein weiteres Argument dafür, die Verteidigungsausgaben hoch zu halten oder sogar auszubauen. Und beim kolumbianischen Militär gelten die US-Streitkräfte in vielen Aspekten als Vorbild.
Seit dem Afghanistan-Einsatz infolge von 9/11 ist die Nato zudem nicht mehr ausschließlich auf konventionelle kriegerische Konflikte ausgerichtet. Will die Nato etwa in den Kampf gegen den Drogenschmuggel eingreifen, der das Kokain in seine Mitgliedsländer bringt? Vom Bündnis ist auch dazu keine klare Aussage zu bekommen. Das Southern Command, verantwortlich für die US-Streitkräfte in Karibik und Südamerika, ließ eine Anfrage von n-tv.de bis zur Veröffentlichung dieses Artikels unbeantwortet.
Treibende Kraft für die stärkere Anbindung Kolumbiens seien die Vereinigten Staaten gewesen, sagt Lateinamerika-Spezialistin Laura Carlsen von der US-Denkfabrik Center for International Policy. "Die Nato definiert sich derzeit neu, und insbesondere die USA haben diese Allianz gefördert." Dies wollte die Nato auf Anfrage von n-tv.de zwar nicht bestätigen, es läge aber nahe. Wird der "globale Partner" Kolumbien in internationale Aufgaben eingebunden, sinkt möglicherweise die Belastung für Nato-Mitgliedsländer.
Die Rücksicht auf die eigenen Finanzen definiert Donald Trumps Außen- und Sicherheitspolitik. Der US-Präsident hatte sogar die Mitgliedschaft in der Nato infrage gestellt, weil andere Bündnismitglieder seiner Ansicht nach zu wenig militärische Kapazität bereitstellten. Auch deshalb versprachen Partner wie Deutschland und Frankreich dem Weißen Haus, ihre Verteidigungsetats zu erhöhen. Die Bundesrepublik etwa gibt derzeit 1,24 Prozent aus, das sind 37 Milliarden Euro. Erklärtes Fernziel sind zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts.
Ein Blick nach Kolumbien zeigt: Hier sind nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg ganz andere Zahlen im Spiel. Bogotá gab im Jahr 2017 fast neun Milliarden Euro für sein Militär aus, also 13 Prozent seines Staatshaushalts oder 3,83 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Nur für den Bildungsetat war mehr vorgesehen (10,6 Milliarden Euro). Der Sozialetat des Landes schrumpfte für dieses Jahr um 17,3 Prozent, die Ausgaben für Verteidigung wuchsen zugleich um 8,2 Prozent, so viel wie in keinem anderen Haushaltsteil. Kolumbien unterhält neben Brasilien die größten Streitkräfte Lateinamerikas, rund 450.000 Personen stehen unter Waffen. Für die US-Wirtschaft ist das Engagement des karibischen Landes auch eine Geldfrage: Der Großteil des kolumbianischen Militärgeräts stammt aus US-amerikanischer Produktion.
"Frieden ist ein Feind"
Kolumbiens Allianz mit der Nato bewertet Laura Carlsen als Schlag gegen den Vertrag mit der Farc. "Der Frieden ist ein Feind", sagt sie. Die Regierung in Bogotá versuche, ihre militaristische Strategie als Erfolg zu verkaufen und verstärke sie deshalb, sei aber damit gescheitert. "Die Armee hat im Bürgerkrieg Zivilisten getötet. Jetzt steigt die Kokainproduktion und der Drogenschmuggel wird intensiver." Im Jahr 2016 verdoppelte sich die Anbaufläche trotz des Friedens auf 146.000 Hektar und die potenzielle Produktion stieg um ein Drittel auf 866 Tonnen Kokain. Das war so viel wie nie zuvor.
Trotz des Vertrages mit der Farc ist die Lage in Kolumbien alles andere als friedlich, versöhnlich schon gar nicht. Andere Guerilla-Gruppen wie die ELN, Paramilitärs und Drogenschmuggler haben das hinterlassene Machtvakuum schnell gefüllt. Sie drohen Friedenshelfern, die Bauern nicht vom Koka-Anbau abzubringen, oder sie würden umgebracht. Laut Vereinten Nationen verdoppelte sich die Zahl der getöteten "sozialen Anführer", also Menschen- und Bürgerrechtler, im Jahr 2017 auf 121. Fast die Hälfte davon hatte an der Umsetzung des Friedensvertrages mit der Farc gearbeitet. Zugleich soll die Zahl der Kämpfer, die ihre Waffen entweder nicht abgelegt oder sich wiederbewaffnet haben, auf mindestens 1200 gestiegen sein. In rund der Hälfte von Kolumbiens 32 Provinzen sollen sie aktiv sein.
An der Südgrenze zu Ecuador etwa ließ der ehemalige Farc-Kommandeur "Guacho" zuletzt Journalisten entführen und töten. Im unwegsamen südöstlichen Guaviare hatten Teile der 1000 Kämpfer starken "Frente 1" von vornherein die Niederlegung der Waffen verweigert. Im Nordosten des Landes verwandelten sich vor rund einem Monat mehrere Orte zu Geisterstädten, weil die Guerilla-Organisation EPL eine unbefristete Ausgangssperre verhängt hatte. Sie kämpft in der Provinz Santander mit der ELN-Guerilla um die Kontrolle über den dortigen Drogenschmuggel. Auch entlang der Pazifikküste kann von Frieden keine Rede sein.
Ein Ziel des Vertrages mit der Farc war es, solche Entwicklungen zu verhindern. Aber abgesehen von der Waffenniederlegung ist davon bislang wenig umgesetzt. Dort, wo der Bürgerkrieg begann, wird er bis heute geführt. Der Schlüssel sind die ländlichen Gebiete. Für das dortige Viertel der Gesamtbevölkerung von rund 50 Millionen Einwohnern sollte es bessere Infrastruktur, staatliche Präsenz, ernsthafte Alternativen zum Koka-Anbau, Entschädigung von Vertriebenen geben. Die USA zahlten Kolumbien von 2000 bis 2016 im Rahmen des "Plan Colombia" rund zehn Milliarden US-Dollar, um die Vernichtung von Kokapflanzungen, die Bekämpfung von Guerillas und die Ausweitung der kolumbianischen Regierungspräsenz in ländlichen Gegenden zu unterstützen. Die Hilfen fließen weiterhin. Mit der Nato-Partnerschaft ist Kolumbien nun noch enger an die USA gebunden.
Quelle: n-tv.de
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