In Schweden ist zum 1. Juli ein Gesetz in Kraft getreten, das Geschlechtsverkehr ohne ausdrückliche Zustimmung der Beteiligten als Vergewaltigung einstuft. Damit ist es für eine Anklage wegen Vergewaltigung nicht mehr erforderlich, "dass Gewalt oder Drohungen eingesetzt wurden oder der Angreifer die besonders verletzbare Lage des Opfers ausgenutzt hat", wie die schwedische Regierung erläuterte. Das Gesetz zur Verschärfung des schwedischen Sexualstrafrechts war Ende vergangenen Jahres beschlossen worden.
Bei Vergewaltigungsprozessen müssen die schwedischen Richter nun prüfen, ob bei dem Geschlechtsverkehr die Beteiligten ihr Einverständnis durch Worte, Gesten oder auf andere Weise zum Ausdruck gebracht haben. Wie genau das gerichtsfest belegt werden kann, ist unter Juristen umstritten. Das Gesetz war im Mai mit Unterstützung der Regierungskoalition aus Sozialdemokraten und Grünen verabschiedet worden.
Verschiedene Formen von "Ja"
Richterin Anna Hannell, die an der Ausarbeitung des neuen Gesetzes beteiligt war, erläutere, es bestehe "absolut keine Erfordernis, formell 'ja' zu sagen, einen Knopf in einer App zu drücken oder irgendetwas anderes dieser Art". Für Paare, die sich im gegenseitigen Einverständnis nahekommen, ändert sich demnach durch die neue Rechtslage überhaupt nichts. "Sich einfach körperlich zu beteiligen, ist ein Zeichen der Zustimmung", sagte die Juristin der schwedischen Nachrichtenagentur TT.
Kritiker sehen genau hier das Problem: Sie machen geltend, dass Richter auf Grundlage des neuen Gesetzes willkürliche Entscheidungen in Vergewaltigungsprozessen treffen könnten. Für Beschuldigte, die sich zu Unrecht angeklagt fühlen, könne es zudem schwer werden, ein wahrgenommenes Einverständnis des Partners im Nachhinein zu beweisen.
Vergewaltigung wird in Schweden mit bis zu sechs Jahren Gefängnis bestraft, bei minderjährigen Opfern sind bis zu zehn Jahre Haft für den Täter möglich. Vergangenes Jahr wurden in Schweden nach offiziellen Angaben mehr als 7000 Vergewaltigungsfälle gemeldet und damit zehn Prozent mehr als 2016. Den Anstieg der Fallzahlen werten Beobachter auch als Zeichen des gesellschaftlichen Wandels: Die öffentliche Debatte erleichtere es Betroffenen, in Fällen der sexuellen Gewalt an die Öffentlichkeit zu gehen und die Täter anzuzeigen.
Skandale, die die Gesellschaft verändern
Wichtige Anstöße dazu kamen zuletzt auch aus den USA: Die sogenannte #MeToo-Debatte über sexuelle Übergriffe wird auch in Schweden, in dem die Gleichberechtigung von Frauen besonders weit vorangeschritten ist, auf unterschiedlichen Ebenen geführt. Mehr als 10.000 Frauen in dem skandinavischen Land - darunter Schauspielerinnen, Musikerinnen, Journalistinnen, Juristinnen und Ärztinnen - beteiligten sich an der Kampagne gegen sexuelle Übergriffe.
Prominentestes Beispiel für ein Klima, in dem verdrängte Missbrauchsfälle jahrzehntelang im Verborgenen blieben konnten, ist die Schwedische Akademie, die den Literaturnobelpreis vergibt. Dort führte ein Aufsehen erregenden Missbrauchsskandal zuletzt dazu, dass in diesem Jahr keine Auszeichnung in der Kategorie Literatur vergeben werden kann.
"#MeToo ändert die Verhaltensweisen und die Leute verstehen jetzt, wie verbreitet sexuelle Gewalt ist", erklärte Ida Ostensson von der Stiftung Make Equal, die sich maßgeblich für das neue Vergewaltigungsgesetz eingesetzt hatte. Nun gebe es "endlich eine Gesetzgebung, die die körperliche und sexuelle Integrität schützt". Der schwedische Anwaltsverband sieht die Reform hingegen kritisch.
Quelle: n-tv.de
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