Kurz nach der Maueröffnung Anfang der 1990er war Berlin ein Paradies für Clubbetreiber: Grundstücke waren billig, der Tourismus nahm Fahrt auf und auch illegale Partys wurden oft von den Behörden geduldet. Doch diese Zeiten sind vorbei. Immobilienhaie treiben die Mieten in schwindelerregende Höhen, das Ordnungsamt kontrolliert genauestens jede winzige Auflage, und auch das Publikum hat sich verändert.
Verdrängung in Berlin gestoppt?
So mussten viele Clubs in der deutschen Hauptstadt bis heute schließen. Doch im europäischen Vergleich steht Berlin überraschend gut da. Das liegt nicht zuletzt an der jahrelangen Arbeit der Berliner Clubkommission, die 2001 als Sprachrohr der Clubszene gegründet wurde. Pressesprecher Lutz Leichsenring ist vorsichtig optimistisch:
„Je attraktiver eine Stadt wird, desto gefragter sind die Flächen. Heute haben wir diese Verdrängung der Räume weitgehend gestoppt, wir haben bei allen Beteiligten ein sehr hohes Bewusstsein schaffen können. Was wir aber jetzt haben, ist das Thema des qualitativen Clubsterbens. Die Frage ist also, wie können wir es weiterhin schaffen, dass auch die Qualität der Clubs hoch ist.“
Dabei soll vermehrt auf Künstler, Kunst und Kultur gesetzt werden, um sich von der Partyszene vieler anderer Großstädte abzusetzen.
Ein verbissener Kampf
Mehr als ein Drittel aller Berlin-Touristen kommt nicht wegen der Sehenswürdigkeiten oder zum Shopping in die Hauptstadt, sondern wegen der vielfältigen Clubszene. Doch im Hintergrund tobe ein verbissener Kampf zwischen Clubbetreibern und Bauwirtschaft, so Leichsenring:
„Da gibt es erst einmal sehr wenige Dialoge. Immobilienbetreiber schauen auf die Stadt von oben herab. Die überlegen sich, wo kann ich investieren, wie sind die einzelnen Strukturen. Die kreative Community in der Stadt schaut wiederum von unten nach oben. Die haben ihre eigenen Orte geschaffen, natürlich hängt da sehr viel Herzblut dran.“
Dieses Aufeinanderprallen unterschiedlicher Interessen führe häufig dazu, dass Clubbesitzer ihre höheren Mieten nicht mehr zahlen können. Im Fall des „Watergate“ in Kreuzberg hätten sich die Mietpreise sogar verdoppelt. Deshalb mussten die Preise in dem Berliner Club ebenfalls erhöht werden. Manch ein Gast kann sich den Eintritt nicht mehr leisten.
Auf die Politik kommt es an
Der Umsatz der Berliner Kreativwirtschaft liegt aktuell bei rund 16 Milliarden Euro jährlich und damit etwa doppelt so hoch wie der Umsatz der Bauwirtschaft in der Hauptstadt. Laut Lutz Leichsenring müsse die Politik noch mehr Druck auf die Immobilienbetreiber ausüben, um das kreative Alleinstellungsmerkmal für Berlin zu bewahren:
„Da ist es einfach wichtig, dass die Politik selbstbewusst auftritt und sagt: Für uns ist diese Clubkultur sehr wichtig. Das ist eines der Aushängeschilder dieser Stadt, und zwar nicht nur finanziell, sondern auch kulturell und sozial. Wenn man das erhalten möchte, dann muss man eben auch Immobilienbetreibern die Stirn bieten.“
Bisher sei der Berliner Senat nur teilweise aktiv geworden. So gebe es beispielsweise zahlreiche leerstehende Immobilien in Berlin, die die Stadt für eine mögliche Ansiedlung von Industrie freihalten wolle. Hier könne jedoch auch Raum für die Kreativwirtschaft entstehen.
Berlin ist Club-Hauptstadt
In Berlin gibt es mehr als 500 Musik-Veranstaltungsorte – die meisten davon in Kreuzberg, Friedrichshain und Neukölln. In der Hauptstadt werden rund 2700 Musikveranstaltungen pro Monat organisiert. Dabei ist Leichsenring stolz, dass Berlin es weiterhin schaffe, ein überdurchschnittlich musikbegeistertes Publikum anzusprechen:
„Das sieht man auch an der Werbung der Clubs: Die haben auf Plakaten und Flyern vor allem Künstler oder Bands und eher weniger eine Ladies Night oder eine Mottoparty. Aber klar, je mehr Gäste in die Stadt kommen, desto mehr muss man auch selektieren. Denn die große Masse verändert auch kleinteilige Strukturen eines Clubs.“
Ungern sähen Clubbetreiber deshalb große Gruppen, die in den Clubs ihre eigene Party feiern. Ein Club funktioniere am besten, wenn besonders viele Individualisten durch die gemeinsame Leidenschaft für Musik zusammenkämen.
Verheerender Irrglaube
Diese starke Kreativ- und Musikszene Berlins ist in Europa mittlerweile fast einzigartig. Durch steigende Mieten, Immobilienspekulanten und eine falsche Politik haben sich Struktur und Gesellschaft in vielen Hauptstädten geändert. Es fehle dort das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Kreativszene, so Leichsenring:
„Man hat gedacht, die Karawane zieht weiter: Wenn in einem Bezirk Luxuswohnen angesagt war, dann mussten die Clubs eben woanders hinziehen. Aber es hat sich herausgestellt, dass das sehr stark Strukturen verändert, dass junge Leute eher aus solch einer Stadt wegziehen.“
Die junge Generation ziehe dann weiter, in günstigere Städte mit einer größeren Club- und Kreativszene. Die Bevölkerungsstruktur ändere sich, ebenso der Tourismus.
London als trauriges Beispiel
Das Phänomen betrifft ganz Europa. In Österreich und der Schweiz gibt es kaum mehr eine erfolgreiche Club-Kultur. In England, wo das Konzept „Clubbing“ seinen Ursprung hat, ist die Clubszene komplett am Boden. Lutz Leichsenring bestätigt, dass London in den vergangenen sieben Jahren über 60 Prozent seiner Clubs verloren habe:
„Das hängt damit zusammen, dass die Clubs es sich nicht mehr leisten können, in so einer teuren Stadt ein Kulturprogramm zu bieten. Die Struktur verändert sich da so, dass sich zwar erst einmal wieder Subkulturstrukturen bilden, dass es illegale Clubs gibt, aber eben auch, dass die Leute einfach wegziehen.“
Da habe Berlin rechtzeitig gegengesteuert, so Leichsenring. Doch es gebe weiterhin viel zu tun. Als großes Projekt widmet sich die Clubkommission aktuell unter anderem den Open-Air-Veranstaltungen in Berliner Parks und Grünflächen. Hier habe der Senat im jüngsten Koalitionsvertrag die Möglichkeit geschaffen, diesen Party-Zweig weiter auszubauen.
Ein wichtiges Fazit …
Nicht nur Mieter in Großstädten haben also mit den steigenden Immobilienpreisen zu kämpfen. Auch die Clubszene ächzt unter der hohen finanziellen Belastung. Nur wenn die Politik Einsicht hat, den Wert einer florierenden Kreativwirtschaft für die Städte erkennt und Immobilienhaie in die Schranken weist, bleiben Städte auch für junge Menschen lebenswert. Und sicher wird sich auch die alteingesessene Bevölkerung stabilen Mieten nicht in den Weg stellen wollen.
sputniknews
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