Flagge auf den Ozeanen zeigen, Macht und Stärke demonstrieren, Nationalinteressen schützen – kann die russische Marine das nach den vergangenen Krisen in vollem Umfang gewährleisten?
Der russische Präsident Wladimir Putin verkündete im Mai dieses Jahres nicht ohne Stolz, Russlands Marine habe ihre Präsenz auf den Weltmeeren massiv ausgeweitet, insbesondere im Mittelmeer, im Nordatlantik und im asiatisch-pazifischen Seeraum. „Im laufenden Jahr sind 102 Fernfahrten von Schiffen und U-Booten geplant“, sagte er.
Fachleute geben dem russischen Präsidenten offensichtlich recht. Zum Beispiel sagte der Vize-Admiral Petr Swjataschew, ehemaliger Stabschef der Schwarzmeerflotte: „Was wir heute sehen, ist ein Zeichen dessen, dass unsere Flotte sich nach der Katastrophe der 1990er Jahre wieder hochgerafft hat.“
Sein rangniedererer Kollege, Marinekapitän Michail Nenaschew, nennt ein konkretes Beispiel: „Vor kurzem noch fuhren unsere Schiffe höchstens 60 Meilen vor der Küste. Und das wurde als Großmanöver gemeldet! Heute sind wir auf allen fünf Weltmeeren ständig präsent.“
Zum großen Teil wird wohl stimmen, was die Experten sagen. Dass die russische Marine wieder zu Kräften gefunden hat, ist nicht zu übersehen – man denke nur an den Einsatz vor der syrischen Küste. Dort sind konventionelle, dieselgetriebene U-Boote stationiert, von denen aus Dschihadisten-Stellungen in Syrien mit Marschflugkörpern angegriffen wurden.
Insgesamt ist ein russisches Geschwader im Mittelmeer im Einsatz, bestehend aus 15 Kriegsschiffen, darunter auch aus den beiden neuesten Fregatten „Admiral Essen“ und „Admiral Grigorowitsch“.
In den Weiten anderer Meere sieht die Lage aber schon anders aus. Im Grunde werden alle großangekündigten Fernfahrten von nur zwei Schiffen unternommen. Eins davon ist ein Schulschiff – das andere ist die schlagkräftige Fregatte „Jaroslawl Mudryj“.
In den letzten vier Jahren war sie bereits im Mittelmeer, im Indischen Ozean und vor dem Horn von Afrika. Dort war das Schiff an Anti-Terror-Einsätzen gegen somalische Piraten beteiligt. Nach einer Überholung im letzten Jahr patrouilliert die Fregatte wieder im Mittelmeer, wo sie den amerikanischen Flugzeugträgerverband überwacht.
Auf Fernfahrt befinden sich gegenwärtig außerdem zwei Zerstörer der Pazifikflotte: die „Admiral Tribuz“ und die „Admiral Winogradow“. Diese Schiffe waren in Thailand, Vietnam und Kambodscha zu Besuch.
Insgesamt waren letztes Jahr 34 russische Kampfschiffe unterschiedlicher Klassen in fernen Gewässern unterwegs. Nun hat Wladimir Putin angekündigt, es würden in diesem Jahr drei Mal mehr Fernfahrten unternommen. Wie wird das gehen?
Womöglich werden ein paar Korvetten und ein schweres Landeschiff ins Mittelmeer entsandt, um das dortige Geschwader zu verstärken. Hierbei ginge es aber nur darum, im Mittelmeer Flagge zu zeigen, nicht auf den Ozeanen dieser Welt. Deshalb wäre es wohl zu früh, den Erklärungen über die Flotte, die sich „wieder hochgerafft hat“, voll und ganz zu glauben.
Vielmehr steht Russlands Marine erst am Anfang ihres Neuaufbaus. Das ist angesichts der schwersten Krisen der Vergangenheit zwar schon nicht wenig, aber noch fehlt den russischen Seestreitkräften die nötige Anzahl an technisch reifen Schiffen für den Einsatz auf fernen Ozeanen.
Daran ändert auch die zahlenstarke U-Boote-Flotte der russischen Marine nichts. Die Atom-U-Boote allein können durch ihre Präsenz keine Kampfschiffen ersetzen. Und die dieselgetriebenen oder dieselelektrischen U-Boote sind für Patrouillen auf Weltmeeren gar nicht erst ausgelegt.
Insofern: Erst wenn man die Versorgungs-, Aufklärungs- und Schulschiffe mit den großen Kampfschiffen auf Reise schickt, kommt man auf über 100 Fernfahrten in diesem Jahr.
Was nötig ist, damit die Andrejewski-Flagge – die Flagge der russischen Marine – Russland wieder auf allen Weltmeeren vollgültig vertreten kann, ist eine massive Modernisierung. Außerdem müssen Stützpunkte her, nicht nur in Syrien.
Auch in Vietnam und auf Kuba müssen ehemals sowjetische Flottenbasen reaktiviert werden, sagt der Marinekapitän Igor Kurdin vom Verein ehemaliger U-Boot-Fahrer. Es sei auch wichtig, den Grad der Einsatznutzung der Schiffe zu erhöhen.
Mit zusätzlichen Stützpunkten „können wir die Kampfschiffe längere Zeit im Einsatzgebiet behalten und zusätzlich auch noch ihre Motoren in Bezug auf die Laufleistung schonen. Es macht schon einen Unterschied, ob man ein Schiff in einem Dock an der syrischen Küste repariert oder es dafür erst an ganz Europa vorbei in einen russischen Hafen überführen muss“, so der Experte.
Ja, die russische Kriegsmarine hat sich bisweilen in wichtigen Weltregionen sehen lassen. Viele strategisch wichtige Gegenden bleiben aber immer noch „unerschlossen“. Ein gutes Signal wäre eine „Tournee“ der russischen Marine durch die Häfen Lateinamerikas, sagen Experten. In den Ländern waren russische Kriegsschiffe seit 2016 nicht mehr.
sputniknews
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