Die Vereinigten Staaten halten das Mittelmeer seit langem schon für ihr eigenes Gewässer. Dort haben sie ihre 6. Flotte stationiert – eine Armada, die nicht nur die Mittelmeeranrainer unter Kontrolle hat, sondern praktisch ganz Europa und den Nahen Osten. Und die Schwarzmeerregion ist vom Mittelmeerraum auch gut zu erreichen.
Mit dieser Streitmacht sind die USA in der Lage, ihre Politik in Südeuropa, Nordafrika und im Nahen Osten auch im Alleingang durchzusetzen, ohne Rücksicht auf die Partner aus der nordatlantischen Allianz. Es gibt die Flotte und es gibt die Verbündeten, auf die die Vereinigten Staaten im Falle des Falles auch pfeifen können.
Eine der Hauptaufgaben der 6. Flotte ist es aber, der russischen Marine zu zeigen, wer der Herr im Hause sei. Eine „Waffe der Abschreckung“ nennt das Pentagon seine Armada: die 6. Flotte ist in ständige Gefechtsbereitschaft versetzt und ist selbst im Frieden nach der Maßgabe der Kriegszeit ausgerüstet.
„Das ist nun mal eine Standardtaktik der USA: erst Konflikte in einer Region schüren und sich dann als Friedensstifter dort positionieren“, erklärt der Chefanalyst des Zentrums für Strategie- und Technologieanalyse, Ruslan Puchow. „Jetzt versuchen die USA diese Taktik auch in Syrien anzuwenden, wo sie zwar ein Fiasko erlebt haben, es aber nicht zugeben wollen. Stattdessen versuchen sie, weiterhin militärischen Druck auszuüben, vorzugsweise vom Wasser aus. Natürlich setzt sich Russland dagegen zur Wehr, aber auch einige US-Verbündete aus der Nato teilen die Aggressionspolitik ihres ‚Schutzherrn‘ nicht.“
Russlands Abwehrmaßnahmen im Mittelmeer scheinen jedenfalls, selbst innerhalb der Nato Zweifel über die Vorherrschaft der US-Navy gesät zu haben. Die Allianz habe „eine deutliche Erhöhung der Anzahl russischer Schiffe vor der Küste Syriens“ festgestellt, erklärte die Nato-Sprecherin Oana Lungescu.
19 russische Kampfschiffe habe die Nato gezählt und gehe gar von der Anwesenheit russischer Atom-U-Boote im Mittelmeer aus. Eine klare Übertreibung, wenn man die Angaben des russischen Verteidigungsministeriums zum Mittelmeerverband der russischen Marine heranzieht.
Demnach patrouillieren in der Region derzeit zehn Kampfschiffe und zwei dieselelektrische U-Boote der Schwarzmeerflotte in der Region. Weitere Schiffe sind im Anmarsch. Der Raketenkreuzer „Marschal Ustinow“ hat das Anti-Schiffs-Raketensystem „Vulkan“ an Bord, weitere acht Kampfschiff verfügen über „Kalibr“-Raketen. Die sind es auch, die die Nato so nervös machen.
Zur Versorgung der vielen Schiffe hat die russische Marine eigens einen Tanker ins Mittelmeer entsandt.
Der russische Mittelmeerverband ist eine schlagkräftige Gruppe, gar keine Frage. Aber die 6. US-Flotte übertrifft er mit seinen Möglichkeiten natürlich nicht. Wir sehen also, dass die Einschätzungen der Nato-Sprecherin übertrieben sind. Aber vielleicht hat die Beunruhigung der Allianz einen Anlass?
Womöglich sind die Nato-Verbündeten der USA einfach nicht mehr bereit, sich für weitere Flops und Abenteuer im Nahen Osten einspannen zu lassen. Zumal die mit Marschflugkörpern bewaffneten Kampfschiffe des russischen Verbands selbst einem Flugzeugträger lebensgefährlich werden können.
Und außerdem hat die russische Marine noch den großen „Flugzeugträger“ im Schwarzen Meer: die Halbinsel Krim, von wo aus der Mittelmeerverband rasch aus der Luft unterstützt werden kann.
Ohnehin fliegen russische Bomberstaffeln permanente Patrouillen in der Region und sind, wie deren Einsatz in Syrien gezeigt hat, dazu fähig, höchstpräzise Schläge vorzunehmen – auch gegen Seeziele.
Ein zudem nicht zu unterschätzender Faktor ist die chinesische Präsenz in der Mittelmeerregion. Einen Präzedenzfall hat es im April dieses Jahres gegeben, als die chinesischen Kampfschiffe den Befehl erhalten haben, sich dem russischen Marineverband anzuschließen, sollten die Vereinigten Staaten Syrien angreifen.
Gegenwärtig patrouillieren drei chinesische Schiffe bei einer Anti-Piraten-Mission im Mittelmeer. Bei einem Angriff Washingtons sind sie angehalten, die russische Marinebasis in Tartus zu verstärken.
Im Mittelmeer zeichnet sich ein Gleichstand der Kräfte ab, der die Nato dazu bringt, zur „Mäßigung und Zurückhaltung“ aufzurufen, um die „ohnedies schwere humanitäre Lage in Syrien“ nicht zu verschlimmern. Eine Standardformulierung, die die Nato wählt, wenn sie spürt, dass sie nasse Füße bekommt.
sputniknews
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