Facebooks psychische Störung

  29 Dezember 2015    Gelesen: 1210
Facebooks psychische Störung
Wieder ein Dopamin-Ausstoß. Wieder diese unechte Kommunikation. Wieder dieser Neid. Wie ich lernte, dass soziale Medien Gift sind für depressive Menschen.
Zum ersten Mal löschte ich die Facebook-App im Oktober 2014 von meinem Telefon. Es war keine wohl überlegte Entscheidung. Es fühlte sich eher so an, als würde ich eine halb geleerte Packung Eiscreme wegschmeißen, um mir nicht an dem Rest den Magen zu verderben. Oder so, als würde ich die Nummer eines Typen löschen, der ganz sicher nicht mein Bestes im Sinn hat. Es war eine Panikreaktion meines Verstands, der meine tierischen Instinkte daran hindern wollte, mir weiteren Schaden zuzufügen.

Kati Krause, geboren 1982, lebt nach London und Barcelona nun in Berlin. Sie ist Autorin, Magazinmacherin und Medienberaterin, vor allem im digitalen Bereich.
Kati Krause, geboren 1982, lebt nach London und Barcelona nun in Berlin. Sie ist Autorin, Magazinmacherin und Medienberaterin, vor allem im digitalen Bereich. © Lisa Rank
In besagtem Oktober hatte ich den ersten Depressionsschub seit mehr als zehn Jahren. Sobald ich verstanden hatte, was los war (es dauerte eine Weile), zog ich mich schnell aus der Arbeit zurück und begab mich in die Obhut meiner engsten Freunde und in die sichere Ruhe meiner Wohnung. Ich versuchte, Bücher zu lesen – und scheiterte. Ich versuchte, Filme zu gucken – und konnte mich nur wenige Minuten lang darauf konzentrieren. Meine Aufmerksamkeitsspanne war zu einem Würmchen zusammengeschrumpft. Also klammerte ich mich an mein Smartphone und wechselte stundenlang zwischen Facebook, Instagram und Twitter hin und her. Nicht um etwas zu posten – ich konnte ohnehin keinen Gedanken fassen –, sondern um zu konsumieren. Und mit jeder Aktualisierung der Timeline wurde es schlimmer.

Es war ein mir völlig neues Gefühl, wie eine besonders bösartige Droge: Mein Herzschlag wurde schneller, eine Welle der Wärme und Geborgenheit überkam mich und gleich nach ihr eine trostlose und angespannte Leere. Egal wie sehr ich das Gefühl festzuhalten versuchte, es floss mir durch die Finger, jede schwindende Welle hinterließ noch größere Verzweiflung – und doch wollte ich nichts mehr, als dass die wohlige Wärme zurückkehrte. Pull to refresh.

Ich musste raus aus diesem Teufelskreis. Niemand konnte mir dabei helfen, weil ich gar nicht wusste, wie ich es erklären sollte. Es gab nur ab und zu Momente, in denen sich der Nebel kurz lichtete und ich erkennen konnte, dass gerade etwas Schlimmes passierte. Ich wartete auf einen dieser Momente, sammelte all meine Energie und traf, zumindest erschien es mir damals so, eine der wichtigsten Entscheidungen in meinem Leben: Ich löschte die Facebook-App. Danach Instagram. Dann Twitter. Ich stellte alle Benachrichtigungen aus, und das waren viele. Bis auf SMS und Anrufe meiner besten Freunde und Familie war mein Telefon nun still. Plötzlich war die Welt viel kleiner, viel besser zu bewältigen, viel vertrauter. Ich konnte mich erholen. Und ein paar Wochen später, ohne dass ich groß darüber nachdachte, war ich zurück in den sozialen Netzwerken.

Vielleicht suchte ich nach Halt

Es hätte das Ende der Geschichte sein können, wenn meine Depression nicht im Frühjahr mit aller Macht zurückgekehrt wäre. Sie stieß mich wieder zurück in den schrecklichen Teufelskreis. Weg mit den Apps. Vielleicht suchte ich nach Halt und vielleicht erschienen mir pseudowissenschaftliche Untersuchungen als stabiler Strohhalm – jedenfalls wollte ich diesmal verstehen, was mit mir geschah.

Schnell stellte sich heraus, dass ich nicht die Einzige war, der es so ging. Meine Freunde und Bekannten, die Phasen der Depression hinter sich hatten, erzählten alle Ähnliches: Während einer Depression sind soziale Medien tabu. Manche hatten sich Auszeiten genommen. Andere hatten ihre Konten gelöscht. Einer hatte von seinem Therapeuten die Anweisung bekommen, Facebook zu verlassen. Keiner von ihnen hat sich darüber tiefere Gedanken gemacht. Die meisten sahen darin nur ein weiteres Mysterium der Depression, dieser merkwürdigen Krankheit, von der man nicht viel mehr kennt als die üblichen Symptome und allgemeine Statistiken.

Übliche Symptome: Sie haben sehr wenig Energie. Sie können sich nicht konzentrieren. Sie sind nicht in der Lage, mit anderen Menschen umzugehen. Sie können keine Belastungen ertragen. Möglicherweise haben Sie Kopfschmerzen, Rückenschmerzen, Schlafstörungen und sehr schwankenden Appetit. Meistens sind Sie nicht einmal besonders traurig, sondern eher katatonisch. Sie fühlen eigentlich gar nichts. Nur, dass Sie ein Verlierer sind. Und Sie können dem nicht entkommen, wie schon Sylvia Plath schrieb: "... egal, wo ich saß – ob auf dem Deck eines Schiffes oder in einem Straßencafé in Paris oder Bangkok –, immer saß ich unter der gleichen Glasglocke in meinem eigenen sauren Dunst."

Allgemeine Statistiken: Das Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung gibt an, dass jeder Deutsche mit einer Wahrscheinlichkeit von 16 bis 20 Prozent einmal in seinem Leben eine größere Depression erleidet. Das US-amerikanische National Institute of Mental Health hat erhoben, dass im Jahr 2012 16 Millionen Amerikaner, also 6,9 Prozent aller Erwachsenen mindestens einen starken Depressionsschub erlebt haben. Die Weltgesundheitsorganisation geht davon aus, dass weltweit 350 Millionen Menschen an Depressionen leiden – bis 2020 wird es die zweithäufigste Krankheit der Welt sein.

Das ist jetzt vereinfacht gerechnet, aber 350 Millionen Menschen sind ein Viertel aller Facebook-Nutzer.

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